Illustration: Jens Bonnke
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Crowdfunding: finanzieller Rückenwind für ausgezeichnete Bildungs- und Forschungsprojekte

Neuen Ideen und Ansätzen zum Durchbruch verhelfen – das ist das Ziel der Stifterverbands-Kampagne „Wirkung hoch 100“. Dabei werden auch anderen Formen der Projektfinanzierung wie Crowdfunding ausprobiert. Doch wie können die am besten gelingen und worauf muss man dabei insbesondere in den Bereichen Bildung und Wissenschaft achten?

Visionen wahr werden lassen – das ist ein Zauber, der Crowdfunding-Kampagnen seit jeher umgibt. Im Herbst 2015 konnte das Bildungs-Start-up Kiron aus Berlin sein erstes Bachelor-Pilotsemester für 1.250 internationale Flüchtlinge starten – mit Support von 1.582 Unterstützerinnen und Unterstützern. Die damalige Crowdfunding-Kampagne zur Finanzierung der ersten 1.000 Stipendien für ein dreijähriges Studium ist eine der erfolgreichsten im deutschsprachigen Raum. Sie lief über zehn Wochen und brachte dem Gründerteam aus Social Entrepreneurs, Flüchtlingen, Studierenden und Akademikerinnen und Akademikern beachtliche 537.359 Euro ein.

Es war ein fulminanter Start, der bis heute nachhallt. Mit Partnerhochschulen und anderen Bildungsinstitutionen hat der digitale Kiron-Campus bis heute mehr als 10.000 Menschen die Möglichkeit geboten, zu studieren – selbst wenn sie sich in Flüchtlingslagern, im Exil oder in Krisengebieten befinden. Ohne die Crowd, die das Pilotsemester erst möglich machte, und ein starkes Wirgefühl wäre vieles davon wohl nicht möglich gewesen.

Nicht nur der Stifterverband half bei dieser Erfolgsgeschichte damals mit, sondern auch Ernst Neumeister. Er begleitete als Berater bereits 200 Kampagnen, die insgesamt fast 2 Millionen Euro über Crowdfunding einwarben. „Ich weiß noch, wie viel Angst ich hatte, mit meiner ersten Kampagne öffentlich zu scheitern“, erzählt Neumeister.

Was ist Crowdfunding?

Illustration: Jens Bonnke
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Mit einer Crowdfunding-Aktion können Projekte finanziell richtig Fahrt aufnehmen.

Die Idee hinter Crowdfunding ist schnell beschrieben: Viele Personen, also die Crowd, finanzieren zusammen ein Projekt, eine Idee oder aber ein Unternehmen. Wer sich so fördern lassen möchte, startet meist eine mehrwöchige Kampagne. Abgewickelt wird sie in der Regel über eine Crowdfunding-Plattform, von denen es weltweit viele gibt. Die Projektstarter stellen auf der Plattform ihr Vorhaben mit einem Video, mit Bildern und Texten vor.

Ernst Neumeister kennt mittlerweile alle Kniffe: Wie das Crowdfunding mit einem Knall startet und sehr viele Fans sofort mitmachen. Wie man den Mittelteil, das „Tal des Todes“, gut übersteht und am Kampagnenende noch einen Großteil der potenziellen Unterstützerinnen und Unterstützer zum Mitmachen motiviert. Er macht Projektteams Mut: Sie sollten ihre Begeisterung fürs Projekt unbedingt öffentlich zeigen, ihre funkelnden Augen, während sie die Ideen erklären – denn das zieht die Menschen mehr an als tausend Worte.

Initiative Wirkung hoch 100: Miteinander statt nebeneinander

Illustration: Jens Bonnke
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Fördern neu gedacht: Bei „Wirkung hoch 100“ unterstützen Unternehmenspaten und Experten bei der Weiterentwicklung der ausgezeichneten Projekte.

Nun bringt der Crowdfunding-Profi seine Expertise in „Wirkung hoch 100“ ein. Die Jubiläumsinitiative zum 100-jährigen Bestehen des Stifterverbandes fördert in einer ersten Phase 100 herausragende Ideen für bessere Bildung, Wissenschaft und Innovation. Hier lotet der Stifterverband gemeinsam mit der ProjectTogether gGmbH, die im Frühjahr 2020 den beeindruckenden #WirVsVirus-Hackathon mit mehr als 28.000 Teilnehmern mitorganisiert hatte, ein neues Förderformat aus. 
 

Es verlässt den klassischen Weg, der besagt: „Ihr bewerbt euch und wir geben das Geld.“ Stattdessen profitieren die Projektteams zusätzlich von Coachings, Workshops sowie Expertenwissen und bekommen unter anderem die Möglichkeit, an einer Gemeinschaftskampagne auf der Spendenplattform betterplace.org teilzunehmen. Sie wird von Mitte April bis Mitte Mai hoffentlich Tausende Unterstützerinnen und Unterstützer anziehen.

„Wirkung hoch 100“ ermöglicht eine sektorenübergreifende Kooperation nach dem Collective-Impact-Ansatz: Man lernt miteinander statt nebeneinander. Ein breites Qualifizierungsnetzwerk nimmt die Projektteams auf in eine Art großen, geschützten Lernraum, wo sie ihre Ideen weiterentwickeln können. Die Crowdfunding-Kampagne (siehe Kasten) ist nur ein Teil davon. Sie ist als reine Spendenkampagne angelegt. Jeder Euro geht an die Projekte, abzüglich einer kleinen Gebühr für die Plattform betterplace.org.

Crowdfunding-Wettbewerb

Neun Teams aus ganz Deutschland sammeln vom 14. April bis 14. Mai 2021 auf betterplace.org Fördermittel für ihre Projekte, mit denen sie das Bildungs-, Wissensschafts- und Innovationssystem von morgen gestalten. „Wir geben zu jedem Euro, den die Projekte einwerben, noch 50 Cent dazu – maximal 3.000 Euro pro Projekt“, erklärt Birgit Ossenkopf, Referentin beim Stifterverband und dort Leiterin des Crowdfunding-Projekts. Darüber hinaus vergibt der Stifterverband fünf Boni zwischen 3.500 und 1.500 Euro an die Projekte, die das meiste Geld einwerben können.

Wollen auch Sie eines der neun Projekte unterstützen? Mehr Infos 

Wie baue ich eine Crowd auf?

Seit Februar coacht Ernst Neumeister die interessierten Projektteams mit einem Workshop und Sprechstunden – damit ihnen die Kampagne bestmöglich gelingt. Ein zentrales Thema war dabei das Crowdbuildung. Denn einer der häufigsten Fehler ist, dass Projekte den Aufbau einer eigenen Crowd vernachlässigen – im Vorfeld der Kampagne wohlgemerkt. Deshalb sollte man sich zu Beginn immer erst fragen: Wer ist meine Crowd? Und wie komme ich mit ihr in Kontakt? Auf der einen Seite sind da Familie, Freunde und Fans, die man über Social Media oder E-Mail schnell und unkompliziert erreichen kann. Auf der anderen Seite sind da aber auch Personen wie Influencer, die für die Kampagne vielleicht nicht spenden werden, aber Reichweite generieren können.

Hat man potenzielle Crowd-Mitglieder identifiziert, gilt es nun, eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Dabei ist Fingerspitzengefühl gefragt: Weder sollte man mit der Tür ins Haus fallen, beispielsweise als Neuling in bestehenden Facebook-Gruppen gleich die Kampagne posten, rät Ernst Neumeister; noch sollte man ausufernd sofort von jedem Detail berichten. 

„Unserem Projekt tut es unglaublich gut, in dieser Community mit dabei zu sein."

Stana Schenck

Mitinitiatorin von WirfürVielfalt.de

Tobias Bork studiert Mathematik und ist Mitgründer der „Corona School e. V.“, einer Art Nachhilfeplattform, über die Studierende Schülern kostenlos beim Homeschooling helfen. Mit dieser Idee kam er mit seinem Team unter die ersten 100 ausgewählten Projekte bei „Wirkung hoch 100“. Das Crowdbuilding sieht Bork noch als Herausforderung: „Wir richten uns hauptsächlich an benachteiligte Kinder. Deren Eltern sind aber definitiv nicht unsere Zielgruppe fürs Crowdfunding.“

Das Team von Corona School baut seit dem Coaching eine andere Crowd auf. Für die Ansprache potenzieller Spender bricht das Team die Projektidee nun griffig und messbar herunter. „Indem wir konkret sagen, wie viele Kinder wir wie mit einer Summe X unterstützen können“, erklärt Bork. Das sei zwar ein großer Zeitaufwand, die Mühe könne sich aber gleich doppelt lohnen, glaubt der Student: „Nicht nur, weil wir hoffentlich mehr Spenden einwerben. Auch für uns intern werden die Organisationsabläufe wieder ein Stück weit klarer.“

Auch Stana Schenck glaubt, je abstrakter Projekte sind, umso wichtiger ist es, etwas Konkretes auszuwählen, was mit der Spendensumme erreicht werden soll. Sie ist Mitinitiatorin von WirfürVielfalt.de. Das Projekt ist ebenfalls beim „Wirkung hoch 100“-Crowdfunding mit dabei. Es entwickelt und vernetzt Bildungsaktivitäten im Bereich Antidiskriminierung. „Viele Interessierte denken, dass sie selbst nichts bewirken können. Oder sie glauben, dass es die Aufgabe der Politik sei, das Diskriminierungsproblem in unserer Gesellschaft zu lösen“, erklärt Schenck. Die Kampagne sei nun eine gute Chance, darauf aufmerksam zu machen, dass jede Stimme und jeder Beitrag zählt – sei er auch noch so klein: „Wir können damit Schulen helfen oder Projekte gegen Rassismus starten.“

Wie begeistert man die Crowd für das Projekt?

Illustration: Jens Bonnke
Illustration: Jens Bonnke

Wer seine konkreten Spendenziele erarbeitet hat und merkt, dass die Crowd daran Interesse hat und wächst, sollte spätestens jetzt mit einem „Crowdutainment“ beginnen. Ernst Neumeister rät, die Menschen auf dem Weg des Projektes mitzunehmen, sie zu unterhalten, mit Meldungen hier und da, wie sich die Dinge gerade entwickeln. Denn nichts sei schlimmer, so der Coach, als wenn die Teams über Wochen hinweg abtauchten: „So vergibt man sich die Chance, eine Beziehung aufzubauen.“ Beim Start der Kampagne wüssten dann womöglich viele nicht mehr, wer da überhaupt Spenden einsammeln möchte und wofür.

Es sind Ratschläge, die ankommen. Stana Schenck fühlt sich gut aufgehoben: „Unserem Projekt tut es unglaublich gut, in dieser Community mit dabei zu sein. Es ist spannend zu sehen, mit welchen Themen sich die Projekte gerade beschäftigen, was die Teams genau brauchen und wo sie ihre Lerneffekte sehen.“

Die Organisationsstruktur von „Wirkung hoch 100" ist so angelegt, dass sie einen intensiven Austausch unter den Projekten beflügelt. Hierfür werden sie in 14 Wirkungsfelder geclustert, wie zum Beispiel „Anti-Diskriminierung und Diversität“, „MINT-Bildung“ oder „Lehrinnovationen in der Hochschule“. Aus genau diesen Bereichen sind gleich mehrere Projekte bei der Crowdfunding-Kampagne auf betterplace vertreten, weshalb sich Sophie Stebner Synergieeffekte erhofft. Sie leitet „Wirkung hoch 100" beim Programmpartner ProjectTogether. „Wenn jeder seine Crowd aktiviert und diese Fans auf unserer Gemeinschaftskampagne klicken, gibt es für manche bestimmt auch Anknüpfungspunkte zu Projekten, die sie bis dato noch nicht kannten, die sie interessant finden und die sie hoffentlich, wie das ursprüngliche Lieblingsprojekt, unterstützen wollen.“

Finanzhilfe, die nachhallt und nachhaltig ist

Kurz vor Start der Crowdfunding-Kampagne sind noch neun der ursprünglich 22 interessierten Projekte mit an Bord, die anderen entschieden sich in den vergangenen Wochen aus den unterschiedlichsten Gründen gegen eine Teilnahme. Die Organisatoren von „Wirkung hoch 100“ sehen auch das als Erfolg – denn Ziel des Programms sei nicht, möglichst viele Projekte in eine „Spendenmeisterschaft“ zu pushen. Im Kern geht es um eine gemeinschaftliche Hilfe zur Selbsthilfe, ums Ausprobieren, gemeinsame Lernen – und auch ums Erkennen, dass für einzelne Projekte ein Crowdfunding vielleicht gar nicht geeignet ist. 

Was Birgit Ossenkopf vom Stifterverband besonders gefällt: Dieses neue Wissen rund ums Crowdfunding bleibe allen Projekten erhalten, könne also auch bei späteren Finanzierungsrunden eingesetzt werden. ,Wirkung hoch 100‘ bietet auf diese Weise eine Finanzhilfe, die nachhallt und nachhaltig ist“, so Ossenkopf.