Foto: Bussenius/Reinicke

Den Hummer im Kreuzverhör

Forscherkarrieren: Der Zoologe Helge Fabritius beschritt einen Ungewöhnlichen Karriereweg – und fand dank eines originellen Forschungsansatzes seine Berufung.

Helge Fabritius’ Karriere begann, wie man sich das bei einem typischen Biologen vorstellt: Schon als Kind liebte er den Umgang mit Tieren auf dem Land bei seinen Großeltern – und diese Liebe hielt an. An der Universität Ulm begann er sein Biologiestudium mit Schwerpunkt Zoologie. In seiner Diplomarbeit beschrieb er die „Morphologie und Systematik sessiler Rotatorien“, das sind vielzellige Tiere, die nicht die Fähigkeit besitzen, ihren Aufenthaltsort zu wechseln. Es war die Arbeit eines klassischen Biologen. „Leider ist zoologische Systematik kaum noch gefragt“, sagt Fabritius. Und damit nahm seine Karriere eine ungewöhnliche Wende.

Der Forscher

Helge Fabritius (Foto: Bussenius/Reinicke)

Helge Fabritius, geboren 1970 in Agnetheln, studierte Biologie an der Universität Ulm. 2008 promovierte er in Ulm über „Nanoarchitektur und Mineralisation der amorphen CaCO3-Speicher während der Häutung des terrestrischen Isopoden Porcellio scaber (Crustacea)“. 2005 erhielt Fabritius eine Postdoc-Stelle in der Abteilung „Mikrostrukturphysik und Legierungsdesign“ am Max-Planck-Institut für Eisenforschung. Seit 2009 ist er Leiter der Forschungsgruppe „Biologische Verbundwerkstoffe“.

Fabritius promovierte zunächst in Ulm mit einer Arbeit über Biomineralisation bei Asseln. Die Schalentiere haben ihre „Knochen“ außen statt innen. Ihr Exoskelett ist Bewegungsapparat und Schutzpanzer in einem. Allerdings kann es nicht mitwachsen, daher erneuern es die Tiere regelmäßig. Dafür hat die Natur sie mit einem Recyclingmechanismus für Calciumcarbonat, das Baumaterial ihres Exoskeletts, ausgestattet: Asseln lagern Mineral aus ihrem alten Panzer vor der Häutung in Form von Kalkkügelchen im Körper ab. „So brauchen sie nicht alles aus der Umwelt aufzunehmen“, sagt Fabritius. „Sie zapfen zur Härtung ihres neuen Panzers einfach ihre Reserven an.“

Nach einer Tagung im Jahr 2004 erreichte ihn eine Anfrage des Max-Planck-Instituts für Eisenforschung (MPIE) in Düsseldorf, ob er dort nicht seine Arbeit vorstellen wolle. „Ich habe die Nachricht mehrmals gelesen. Aber ich verstand nicht, warum man sich für meine Arbeit interessierte“, sagt er. Am MPIE erforscht man normalerweise Eisen, Stahl und ähnliche Materialien.

Mal Silikon, mal Plastik

Dierk Raabe, Direktor am MPIE, hatte allerdings auch Wissenschaftler beschäftigt, die die Schale von Hummern erforschten. Obwohl die Forscher viel über anorganisches Material und Chemie wussten, fehlte ihnen der besondere Blick des Biologen. Nach Helge Fabritius’ Besuch bot ihm Raabe eine Postdoc-Stelle an – der Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit. Aus dem Team wurde eine offizielle Forschergruppe, Fabritius ist inzwischen Gruppenleiter. Die Gruppe passte die Methoden der Materialwissenschaften so an, dass man damit biologisches Material untersuchen kann, etwa, indem die Hummerschalen noch in feuchtem Zustand analysiert werden. „Das ist ein großer Unterschied: Im feuchten Zustand fühlen sich Teile der Schale wie Silikon an, im trockenen jedoch wie Plastik“, sagt Fabritius.

Die Tiere bauen ihren Panzer als eine komplexe Schicht aus parallel angeordneten Fibrillen – das sind fünf bis sieben Nanometer dicke Fädchen aus Chitin. Darunter folgt eine weitere, im Winkel etwas versetzte Schicht. Dann noch eine und noch eine – das Schalenmaterial wird bei diesem Vorgang perfekt an seine Funktion im jeweiligen Bereich des Körpers angepasst. An den Scheren ist es hart, um die Gelenke herum weich, an Augen transparent. Bei manchen Krebsarten befinden sich unterhalb der Panzeroberfläche säulenähnliche Strukturen. Wenn starke Kräfte auf den Panzer einwirken, verteilen die Säulen den Druck auf eine größere Fläche. So hält der Panzer extreme Belastungen aus.

Foto: Bussenius/Reinicke

Aus den Daten der Materialanalyse erstellen die Experten für computergestütztes Materialdesign am MPIE Modelle, mit denen sich die mechanischen Eigenschaften biologischer Strukturen simulieren lassen. Helge Fabritius und seine Kollegen können darin einzelne Parameter verändern, um die Auswirkungen auf die Materialeigenschaften zu testen. „Wir sind eine der wenigen Forschergruppen, die die Eigenschaften komplizierter Materialien wie des Exoskeletts der Krebse vom Molekül bis zur fertigen Struktur simulieren“, sagt Fabritius. „Dabei konnten wir zeigen, dass von allen getesteten Parameterkombinationen die Struktur und Zusammensetzung des natürlichen Materials die bestmöglichen Eigenschaften hat.“

Inzwischen untersucht Fabritius auch die Exoskelette von Käfern, die das Licht unterschiedlich reflektieren und so besondere Farbeffekte hervorrufen. Der Biologe Fabritius ist somit in Düsseldorf der Tierwelt treu geblieben. Nur den Weg dorthin hätte er wohl nicht vorausgeahnt.