Foto: istock/LIVINUS
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Den Wechsel wagen

Wirtschaftsgiganten als Präsidenten. Hochrangige Politiker, die in die Wirtschaft gehen. In extremer Form sorgt Personalmobilität häufig für Irritationen. In bestimmten Situationen kann der Seitenwechsel für Wirtschaft und Wissenschaft aber auch Vorteile bringen

Ob Personalmobilität zwischen den Sphären Wissenschaft, Wirtschaft und Politik in Deutschland tabu ist oder nicht – daran scheiden sich die Geister. Eindeutiger lassen sich die Hürden und Nachteile benennen, die Personalmobilität nach wie vor erschweren: Einbußen beim Einkommen, Verlust von Rentenansprüchen, Karriereknick, schlechtes Image, fehlender Rückhalt bei Vorgesetzten, schlechte Rückkehrchancen in den Bereich, den man zeitweise verlassen möchte. All das schreckt ab, es selbst zu wagen.

Wer den Wechsel dennoch angeht und durchsetzt, erzählt fast immer Gutes: Horizont erweitert, gute Netzwerke aufgebaut, mehr Verständnis für die andere Seite entwickelt, neue innovative Ideen bekommen, Erfahrungen gemacht, die bei zukünftigen Transfer- oder Kooperationsvorhaben helfen, aber auch bei ganz alltäglichen Arbeitsroutinen. 

Stimmen aus Wirtschaft und Wissenschaft

Kerstin Lührßen (Foto: Senatskanzlei/Anja Raschdorf)
Kerstin Lührßen (Foto: Senatskanzlei/Anja Raschdorf)

„Wegen der Arbeitsverdichtung in der öffentlichen Verwaltung und erhöhter Anforderungen an den Einzelnen, durch Stellenabbau beispielsweise, bleibt ohne konkrete Anreize kein Raum für Personalmobilität. Daher auch die Tabuisierung des Themas: Es wird häufig suggeriert, dass der wechselwillige Arbeitnehmer sein Aufgabengebiet nicht ernst nimmt beziehungsweise nicht genug zu tun hat.“
Kerstin Lührßen, Referatsleiterin Auswärtige Angelegenheiten, Orden und Ehrungen, Angelegenheiten der Streitkräfte, Senatskanzlei, Freie Hansestadt Bremen

Dirk Leuffen (Foto: Steffen Weigelt)
Dirk Leuffen (Foto: Steffen Weigelt)

„Fehlende Personalmobilität aus Wirtschaft, Politik oder Gesellschaft Richtung Universität ist weniger ein Tabuthema. Für den Wissenschaftsbereich zählt jedoch fast ausschließlich die harte Währung Publikationen. Wer keine vorzuweisen hat, fällt bei Bewerbungen direkt durch das Qualifikationsraster. Eine ansonsten möglicherweise durchaus spannende Vita von Bewerbern ist für Berufungskommissionen dagegen eher zweitrangig.“
Dirk Leuffen, Professor am Lehrstuhl für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Internationale Politik, Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs an der Universität Konstanz 

Bernd Stiegler (Foto: Bernd Stiegler)
Bernd Stiegler (Foto: Bernd Stiegler)

„Der Wechsel zwischen Wirtschaft und Universität ist – zumindest was die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften anbelangt – nach wie vor selten. Das liegt weniger daran, dass dies ein Tabu wäre, als vielmehr an den hohen Anforderungen und dem extremen Konkurrenzdruck bei universitären Auswahlverfahren. Um als Bewerber aus der Wirtschaft überhaupt eine Chance zu haben, muss man im Prinzip den kompletten Qualifikationszyklus bis zur Habilitation durchlaufen und einen wissenschaftsnahen Beruf haben, um wieder an die Uni wechseln zu können. Letztlich handelt es sich um zwei Systeme, die kaum kompatibel sind.“
Bernd Stiegler, Professor für Neuere deutsche Literatur mit Schwerpunkt 20. Jahrhundert im medialen Kontext an der Universität Konstanz und Leiter des wissenschaftlichen Verlags Konstanz University Press. Von 1999 bis 2007 war Stiegler im Suhrkamp Verlag Programmleiter Wissenschaft.

Matthias Schoof (Foto: www.michaelstephan.eu)
Matthias Schoof (Foto: www.michaelstephan.eu)

„Personalmobilität wird vom Umfeld nur als positiv wahrgenommen, wenn damit ein Karriereaufstieg verbunden ist. Andere Übergänge haben dagegen eher einen negativen Anstrich. Für einen Stimmungsumschwung brauchen wir an dieser Stelle viele positive und möglichst prominente Fallbeispiele. Wenn sich die Akzeptanz der Personalmobilität erhöht, wird die Gesellschaft sicher größere Potenziale heben können, als wenn jede Person in ihrer Situation verharrt.“
Matthias Schoof, seit 2008 Leiter der Wissens- und Technologietransferstelle und des Zentrums für Weiterbildung an der Hochschule Emden/Leer; zuvor Maschinenbauingenieur in einem mittelständischen Betrieb.

Berufserfahrung nutzen

Beispiel Konstanz University Press (KUP), wieder der Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften: Die KUP ist ein außergewöhnlicher Imprint-Verlag der Universität Konstanz und des Wilhelm Fink Verlags. Er entstand, weil Bernd Stiegler als neuer Universitätsprofessor sich im Verlagswesen auskannte und entsprechende Kontakte hatte – dank seiner langjährigen Arbeit beim Suhrkamp Verlag als Programmleiter Wissenschaft.

Alexander Schmitz, Lektor bei der KUP, erklärt die Besonderheiten: „Wir identifizieren und publizieren Themen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, die eine größere Leserschaft ansprechen können und möglichst auch im Feuilleton Anklang finden – und veröffentlichen eben nicht nur Dissertationen oder Habilitationen, die an der Universität Konstanz entstanden sind.“ Der Verlag realisiert, was sich viele wünschen: publikumswirksames Wissen, das in Elfenbeintürmen schlummert, endlich einer größeren Öffentlichkeit als bislang vertraut zu machen.

Diese Idee kursierte an der Universität Konstanz schon seit den Neunzigerjahren, blieb aber lange in der Schublade. Schmitz: „Das Thema kam immer mal wieder auf, dass man ein Forum schaffen müsste, dem es gelingt, auch direkt aus den Universitäten heraus Wissen publik zu machen. Ich glaube aber, man hat nie gewusst, wie das funktionieren kann.“ Bernd Stiegler wusste es.

Welche Kraft Personalmobilität in nur wenigen Monaten entfalten kann, verblüfft bisweilen auch jene, die sich davon schon Vorteile versprochen haben.

Reger Austausch

Beispiel Bremen: Kerstin Lührßen betreut als Referatsleiterin in der Senatskanzlei Bremen hauptsächlich Aufgaben im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten. Sie fragte vor fünf Jahren einen viermonatigen Aufenthalt beim International Office der Universität Bremen an: „Ich erhoffte mir durch den Austausch zusätzliche Informationen über internationale Projekte oder Kooperationen der Universität, die ich zum Beispiel bei Antrittsbesuchen von Botschafterinnen und Botschaftern verwenden oder ansprechen könnte.“ Gleichzeitig habe sie gehofft, dass auch die Universität von ihren Kontakten, Inhalten und Programmen profitieren könne.

Bis dato hatten Universität und Senatskanzlei in diesem Bereich nur wenig Kontakt gehabt, was sich durch Lührßens Anwesenheit an der Universität schlagartig änderte. Auch heute noch sei der Austausch rege, sagt die Beamtin: „Das Ergebnis meines Aufenthalts hat mich selbst positiv überrascht. Es gab deutlich mehr internationale Projekte an der Universität, als ich angenommen hatte. Und die Universität bezieht weiterhin mit großem Interesse politische Vertreter in ihre Besuchsprogramme mit Kooperationspartnern ein.“

Martin Heinlein, der an der Universität das Referat UniTransfer – Wissens- und Technologietransfer leitet, lobt die Resultate ebenso: „Als wir an der Universität unsere Internationalisierungsstrategie entwickelt haben, konnten wir vom Wissen und von den Erfahrungen aus der Senatskanzlei Bremen profitieren: Wie empfängt man Staatsgäste, wie baut man verlässliche internationale Partnerschaften auf und vieles mehr.“

Heinlein und Lührßen ziehen das eindeutige Fazit: Die inhaltlichen und strukturellen Vorteile, die sich aus einem Wechsel ergeben können, werden verkannt. 

Mutigere Karriereplanung

Beispiel Transferstelle in einer Universität: „Es ist wirklich schwer, geeignete Persönlichkeiten für anspruchsvolle Transferaufgaben zu rekrutieren. Wir brauchen hier nämlich wirklich gewiefte, leidenschaftliche Köpfe, die einerseits wissen, was in den Laboren und Forschungsinstituten an der Uni bei unseren Geistes- und Sozialwissenschaften passiert“, so Birgitta Wolff, Präsidentin der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Und solche Einblicke bekämen Personen nur, wenn sie jahrelang in Fachbereichen und auch in der Leitungsebene der Universität beruflich unterwegs waren. „Andererseits müssen Experten für Transferstellen auch aus Erfahrung wissen, wie Unternehmen ticken, gerade auf der Entscheidungsebene.“

Wolff sieht die Universitäten in einem Dilemma: „Wir benötigen also sehr erfahrene und extrem qualifizierte Persönlichkeiten, bekommen das aber – wenn sich denn eine solche Person bewerben sollte – schon von der institutionellen Konstellation an der Universität gar nicht hin.“ Die Goethe-Universität könne höchstens E-13- oder maximal E-14-Stellen für solche Bewerber ausschreiben, während in der Wirtschaft ein Vielfaches für vergleichbare Anforderungsprofile gezahlt werde, berichtet die Präsidentin. „Es ist traurig, aber wir sind hier wirklich auf ein paar Idealisten angewiesen, die dennoch unbedingt an die Universität kommen und uns bei dieser wichtigen Aufgabe unterstützen wollen.“

Manchmal ist auch plötzlich und ganz unverhofft die Person mit den richtigen Schlenkern im Lebenslauf da – um an Hochschulen lang gehegten Ideen endlich Leben einzuhauchen.

Stimmen aus Wirtschaft und Wissenschaft

Martin Heinlein (Foto: Steffen Weigelt)
Martin Heinlein (Foto: Steffen Weigelt)

„Ich glaube, wer beide Seiten kennenlernen konnte, hat oft die besseren Argumente in Kooperationsverhandlungen. Es geht beim Transfer von Wissen und Technologie letztendlich auch um das Finden von Kompromissen. Man ist überzeugender, wenn man die Denkweise des jeweils anderen kennt, versteht und respektiert.“
Martin Heinlein, Leiter UniTransfer, Wissens- und Technologietransfer Universität Bremen

Birgtta Wolff (Foto: David Ausserhofer)
Birgitta Wolff (Foto: David Ausserhofer)

„Man muss seine Partner und die Berührungspunkte mit ihnen kennen. Das Budget der Goethe-Universität hängt zu zwei Dritteln vom Landeshaushalt Hessen ab. Da war es als Hochschulpräsidentin für mich sehr wertvoll zu wissen, wie Entscheidungsprozesse in Parlamenten und Finanzausschüssen funktionieren und wie wichtig ein Rechnungshof ist. Denn dieses Wissen war an der Goethe-Universität vor meiner Ankunft ziemlich verloren gegangen, da man ja 2008 autonome Stiftungsuni wurde. Zahlreiche Berührungspunkte mit dem Land bestehen jedoch selbstverständlich weiterhin.“
Birgitta Wolff, Präsidentin der Goethe-Universität Frankfurt und Mitglied im Hightech-Forum von Stifterverband und Fraunhofer-Gesellschaft. 2010 wurde sie Kultusministerin des Landes Sachsen-Anhalt. Von 2011 bis 2013 war sie Landesministerin für Wissenschaft und Wirtschaft des Landes Sachsen-Anhalt.

Marion Weissenberger-Eibl (Foto: Franz Wamhof/ Fraunhofer ISI)
Marion Weissenberger-Eibl (Foto: Franz Wamhof/ Fraunhofer ISI)

„Der Wechsel zwischen den Sphären erweitert den Blick und kann ein wertvolles Instrument des Wissens- und Technologietransfers sein. Gerade in den Hightech-Bereichen verläuft die Umsetzung von Wissensproduktion längst nicht mehr innerhalb der traditionellen Grenzen von Disziplinen oder Sektoren, sondern spielt sich in heterogenen Netzwerken ab. Hochmobile, flexible Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Erfahrungen aus anderen Bereichen mitbringen und auch zum Einsatz bringen können, sind zum Generieren von Wissen somit wichtige Voraussetzung.“
Marion Weissenberger-Eibl, Inhaberin des Lehrstuhls für Innovations- und TechnologieManagement iTM am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Institutsleiterin des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI. Weissenberger-Eibl ist in verschiedenen Positionen politisch beratend aktiv.

Thomas A.H. Schöck (Foto: Steffen Weigelt)
Thomas A.H. Schöck (Foto: Steffen Weigelt)

„Ich habe acht Jahre lang in zwei Ministerien gearbeitet. Das hat mir anschließend bei meiner Arbeit als Kanzler der Universität Erlangen-Nürnberg enorm geholfen. Wenn ich beispielsweise einen Antrag stellen wollte, wusste ich, in welcher Form er aufgesetzt werden muss, wo er genau hingeht, vielleicht auch, wie die Leute denken, die dort sitzen und ihn bearbeiten. Wenn man sich darauf einstellen kann, funktioniert vieles einfach besser.“ 
Thomas A. H. Schöck, Ehemaliger Kanzler der Universität Erlangen-Nürnberg. Vorher arbeitete Thomas A. H. Schöck im Bayerischen Staatsministerium der Finanzen und in der Bayerischen Staatskanzlei.

Innovationsprozesse voranbringen

Gerade der Kontrast von Hürden und Chancen zeigt: Personalmobilität wird in Deutschland äußerst widersprüchlich gesehen und praktiziert. Sie könnte aber eindeutig Transfer, Kooperationen und Innovationsprozesse voranbringen – wenn die zementierten Strukturen für Experten durchlässiger wären. Hierfür braucht der Wechsel zwischen den Sphären aber ein besseres Image und sicher auch kluge Anreizprogramme.

An dieser Stelle empfiehlt das Hightech-Forum, ein innovationspolitisches Beratungsgremium, das die Bundesregierung seit 2015 zur Hightech-Strategie berät, Personalaustauschprogramme, wie sie in Hessen bereits von mehreren Universitäten praktiziert werden: Vorbilder könnten das Science-Policy-Fellowship- und das Public-Service-Fellowship-Programm sein, heißt es in der Abschlusspublikation des Hightech-Forums, die im Mai 2017 erschienen ist. Mit Ende der Legislaturperiode 2017 endet auch die Arbeit des Forums, dessen Geschäftsstelle vom Stifterverband und von der Fraunhofer-Gesellschaft geführt wird.

Was bewirken die beiden empfohlenen Programme? Ersteres bringt speziell Führungskräfte der oberen operativen Führungsebene aus Wissenschaft, Politik, NGOs und dem öffentlichen Sektor zusammen. Das Public-Service-Fellowship-Programm gibt Spitzenwissenschaftlern Rückenwind und Freiräume für gemeinwohlorientierte Public-Service-Aktivitäten, damit sie auch aktiv und nicht nur theoretisch ihre gesellschaftliche Rolle als verantwortlicher Wissenschaftler angehen können. Beide Modelle entstanden in Zusammenarbeit mit der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, deren Präsidentin Birgitta Wolff auch als Expertin für Kooperation und Transfer im Hightech-Forum mitwirkte.

Das Hightech-Forum verspricht sich von neuen Personalaustauschprogrammen Multiplikator- und Langzeiteffekte mit großer Hebelwirkung für die beteiligten Institutionen. Personalmobilität und -austausch zwischen öffentlichem und privatem Sektor sollten erleichtert werden, heißt es in der Publikation: weil beides den erfolgreichen Transfer und ein wechselseitiges Verständnis zwischen diesen Sphären stärke. Das Forum empfiehlt hierfür generell mehr Teilzeit- und Jobsharing-Modelle, vereinfachte Quereinstiege und beiderseitige Sabbaticals.