Simone Bagel-Trah (Foto: Damian Gorczany)
Simone Bagel-Trah (Foto: Damian Gorczany)

„In der Vielfalt liegt eine große Stärke – wenn wir sie richtig nutzen“

Henkel-Chefin Simone Bagel-Trah war in Deutschland die erste Frau an der Aufsichts-Spitze eines Dax-Konzerns. Ein Gespräch über die Bedeutung von Diversity für Unternehmen, über die Schwierigkeiten der chancengerechten Bildung – und darüber, was sie selbst über Brennpunktschulen gelernt hat.

Frau Bagel-Trah, in Ihrem Konzern Henkel arbeiten Sie ja gerade besonders eng mit dem Stifterverband zusammen …
Das stimmt. Sie denken vermutlich an unsere Diversity-Managerin Sonja Kuch, die derzeit zwei Tage pro Woche beim Stifterverband mitarbeitet und ihre langjährige Erfahrung aus der Industrie einbringt …

… um das Diversity-Audit des Stifterverbandes so weiterzuentwickeln, dass es auch in Unternehmen angewendet werden kann. Was erhoffen Sie sich von dieser Kooperation?
Wir möchten eine Brücke schlagen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, um gemeinsam die wichtigen Themen Chancengerechtigkeit und Diversität voranzutreiben. Denn das ist nicht nur eine Aufgabe der staatlichen Institutionen, sondern wir brauchen auch ein starkes gesellschaftliches und unternehmerisches Engagement. Deshalb freut es mich besonders, dass Frau Kuch ihre langjährige Erfahrung bei Henkel in die Weiterentwicklung des Diversity-Audits einbringen kann.

Seit wann gibt es bei Henkel überhaupt die Position der Diversity-Managerin?
Wir haben bei Henkel bereits seit 2007 ein globales Diversity-Management und waren damals eines der ersten Unternehmen im DAX, das dafür eine eigene Position geschaffen hat. Das Thema ist heute nach wie vor auf unserer strategischen Agenda. Ich würde sogar sagen, heute mehr denn je. Diversity ist aber nicht nur Teil unserer Unternehmens- und Personalstrategie, sondern tief in unserer Kultur verankert.

Moment: Henkel ist ein typisch deutsches Unternehmen – mit einer Tradition, die bis ins Jahr 1876 zurückreicht.
Bei uns gibt es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 125 Nationen in fast 80 Ländern. 37 Prozent unserer Führungskräfte sind Frauen. Und es arbeiten Menschen aus vier Generationen bei Henkel. Ich bin davon überzeugt, dass in dieser Vielfalt eine große Stärke liegt – wenn wir sie richtig nutzen. Dazu braucht es eine inklusive, offene Führungs- und Unternehmenskultur, die Unterschiede wertschätzt und Chancengleichheit fördert. Wir sprechen daher immer von Diversity, Chancengerechtigkeit und Inclusion.

Zur Person

Simone Bagel-Trah (Foto: Peter Himsel)
Simone Bagel-Trah (Foto: Peter Himsel)

Simone Bagel-Trah ist Aufsichtsratsvorsitzende und Vorsitzende des Gesellschafterausschusses der Henkel AG & Co. KGaA in Düsseldorf mit weltweit mehr als 50.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Ururenkelin des Unternehmensgründers studierte in Bonn Biologie und promovierte zu einer mikrobiologischen Fragestellung. Mit Partnern gründete sie danach das Unternehmen Antiinfectives Intelligence, das sich vor allem mit Forschung im Pharmabereich beschäftigt. Sie ist die erste Frau an der Spitze des Aufsichtsrates eines DAX-Unternehmens. Bagel-Trah ist Vizepräsidentin des Stifterverbandes.

Ein vielfältiges Team ist vielleicht das interessantere Team, aber noch nicht per se das erfolgreichere. Dazu bedarf es exzellenter Führung, einer wertschätzenden Kultur und Strukturen, die allen Menschen gleiche und faire Chancen zur Teilhabe bieten.
Simone Bagel-Trah (Foto: Peter Himsel)
Simone Bagel-Trah (Foto: Peter Himsel)

Simone Bagel-Trah

Hat sich Ihr Unternehmen verändert, seit Sie sich diese Themen noch aktiver vorgenommen haben?
Henkel ist in den vergangenen Jahren noch vielfältiger geworden. Unsere Belegschaft ist internationaler geworden und der Anteil von Frauen in Führungspositionen steigt kontinuierlich, wenn auch nicht mit der Geschwindigkeit, die ich mir wünschen würde: in den zurückliegenden zehn Jahren von 31 auf die 37 Prozent von heute. Gleichzeitig beschäftigen wir uns intensiver mit den Chancen und Herausforderungen, die sich ergeben, wenn Menschen verschiedener Generationen und Kulturen mit unterschiedlichen Erfahrungen, Fähigkeiten, aber auch Bedürfnissen zusammenarbeiten. Dabei geht es um moderne Konzepte des Wissenstransfers, lebenslanges Lernen oder Mentoring-Programme in beide Richtungen. Viele Entwicklungen, vor allem mit Blick auf flexible Arbeitsmodelle und digitale Zusammenarbeit, haben zudem durch die Pandemie einen deutlichen Schub erhalten.

Sehen Sie auch Aspekte, bei denen das Thema Diversity im Alltag an seine Grenzen stößt?
Ein vielfältiges Team ist vielleicht das interessantere Team, aber noch nicht per se das erfolgreichere. Dazu bedarf es exzellenter Führung, einer wertschätzenden Kultur und Strukturen, die allen Menschen gleiche und faire Chancen zur Teilhabe bieten.

Das klingt gut – aber wie lässt sich das in der Praxis umsetzen?
Diversity geht immer mit einer integrativen Kultur und Führung einher – und genau hier liegen auch die Herausforderungen. Das Phänomen der „Unconscious Bias“, der unbewussten Vorurteile, ist bekannt und vielfach untersucht. In unserer komplexen Welt laufen viele Denkprozesse automatisiert ab. Unser Gehirn nutzt erlernte Muster, und diese unbewussten Mechanismen beeinflussen unsere Entscheidungsfindung – auch in der Personalauswahl. Ähnlichkeiten schaffen Sympathie, und deshalb gibt es immer noch viel mehr Männer als Frauen in den Vorständen. Führungskräfte, Personalerinnen und Personaler durchlaufen deshalb bei uns gezielte Unconscious-Bias-Trainings.

Welche Erfahrungen haben Sie bei Henkel mit Flüchtlingen gemacht – ist es gelungen, sie einzubinden?
Der Schlüssel zur Integration ist Bildung. Deshalb unterstützen wir durch die Fritz Henkel Stiftung Bildungsinitiativen, die sich gezielt an Menschen mit Migrationshintergrund richten. Als die Migration von Geflüchteten nach Deutschland vor einigen Jahren einen Höhepunkt erreicht hatte, haben wir in unserem Ausbildungszentrum in Düsseldorf ein Integrationsprogramm gestartet. In Zusammenarbeit mit den Behörden haben wir Berufsorientierung und Hospitationen, Praktika, mehrmonatige Sprachprogramme und Coachings angeboten. Das Programm lief über mehrere Jahre, und bis heute unterstützt Henkel bei der Berufsintegration von Geflüchteten. Die Resonanz ist überaus positiv. Einige der Teilnehmerinnen und Teilnehmer arbeiten mittlerweile fest bei Henkel.

Gibt es weitere Projekte aus dem Bereich der Chancengerechtigkeit, mit denen Sie Erfahrungen gemacht haben?
Wir arbeiten mit der Fritz Henkel Stiftung seit vielen Jahren mit der Initiative „Teach First“ zusammen. Teach First beschäftigt Hochschulabsolventinnen und -absolventen, die als zusätzliche Lehrkräfte an sogenannten Brennpunktschulen arbeiten, um gezielt sozial benachteiligte Kinder zu fördern. Insgesamt 840 Fellows konnten die Stiftung und Teach First schon entsenden und damit 100.000 Schulkinder erreichen. Einen Teach-First-Fellow begleite ich als persönliche Mentorin. Es ist beeindruckend zu sehen, was für einen Unterschied die engagierten Kräfte an den Schulen machen können. Oft erleben die Schülerinnen und Schüler das erste Mal in ihrem Leben, dass sich jemand intensiv um sie kümmert und sie begleitet. Das mitzuerleben ist sehr berührend.

Wir können es uns als Gesellschaft nicht leisten, auf das Potenzial von Frauen in der IT zu verzichten.
Simone Bagel-Trah (Foto: Peter Himsel)
Simone Bagel-Trah (Foto: Peter Himsel)

Simone Bagel-Trah

Wo sehen Sie bei deutschen Unternehmen die größten Herausforderungen bezüglich Chancengerechtigkeit und Diversität?
Oft beschränkt sich die Debatte in Deutschland auf Frauen in Führungspositionen. Wir brauchen aber einen holistischen Ansatz, der alle Dimensionen mit einbezieht. Wichtige Aspekte wie Chancenungleichheit aufgrund von sozialer Herkunft werden zu wenig thematisiert. Diversity und Inclusion müssen zudem als strategische Themen erkannt und behandelt werden, das heißt mit konkreten Zielen und Kennzahlen, einer klaren Strategie und den entsprechenden Ressourcen.

Wo muss man ansetzen, um mehr Frauen für IT-Berufe zu gewinnen – und welche Rolle können Unternehmen dabei spielen?
Wir können es uns als Gesellschaft nicht leisten, auf das Potenzial von Frauen in der IT zu verzichten, denn der Bedarf an Fachkräften steigt. Viele Unternehmen gehen die Herausforderung aktiv an. Sie gründen Communitys oder Frauennetzwerke, arbeiten mit Organisationen und Verbänden zusammen, präsentieren sich auf Messen und an Universitäten, um gezielt Kandidatinnen anzusprechen. Doch ich bin überzeugt, dass wir früher ansetzen müssen.

Noch früher?
Ja, denn Rollenstereotype, die sich später in der Studien- und Berufswahl zeigen, festigen sich oft schon im Teenageralter. Dabei sind Kinder im Grundschulalter in der Regel noch sehr offen. Sie sind neugierig auf die Welt. Aber es gelingt uns nicht gut genug, diese kindliche Neugierde weiter zu fördern. Das gilt auch für die Naturwissenschaften. Deshalb haben wir bei Henkel vor zehn Jahren die Forscherwelt gegründet, in der Kinder spielerisch naturwissenschaftliche Forschung erleben. Unternehmen können sich also aktiv durch eigene Bildungsinitiativen einbringen und gezielt unterstützen. Doch die größeren Hebel liegen sicherlich in der Schule und der frühkindlichen Erziehung.

Wie stehen Sie zu gesetzlichen Regelungen in Bezug auf Diversität – besonders auf der Führungsebene?
Ich hätte mir gewünscht, dass es ohne gesetzliche Quoten geht. Allerdings muss man konstatieren, dass sich in den letzten Jahren gerade beim Thema Frauen in Top-Führungspositionen nicht genug getan hat. Die Richtung stimmt, doch wir müssen das Tempo beschleunigen – sowohl in der Wirtschaft als auch im öffentlichen Sektor. Die Grundlage dafür ist ein professionelles Diversity-Management.

Daten zur chancengerechten Bildung

Cover: Stifterverband

Nach wie vor entscheidet aber in Deutschland die soziale Herkunft über den Bildungserfolg. Aber es gibt Lichtblicke: So hat sich die Chancengerechtigkeit für Kinder aus Nichtakademikerfamilien verbessert. Gelingt ihnen der Wechsel an eine Hochschule, dann sind sie sogar ähnlich erfolgreich wie Akademikerkinder. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Analyse von Stifterverband und McKinsey

Diese und mehr Ergebnisse gibt es im Hochschul-Bildungs-Report, der im Frühjahr 2022 erscheint. Mit dessen finaler Ausgabe schließt der Stifterverband seine Bildungsinitiative Zukunft machen ab. Auf sechs Handlungsfeldern, wie unter anderem der Chancengerechtehn Bildung, hatte er darin über einen Zeitraum von zehn Jahren untersucht, wie sich die deutsche Hochschulbildung entwickelt, dabei Herausforderungen identifiziert und selbst Programme und Initiativen aufgelegt, um die Hochschulbildung mehr Richtung und Substanz zu geben. Weitere Daten zum Hochschul-Bildungs-Report und zum Thema Chancengerechten Bildung gibt es auf dem Datenportal des Stifterverbandes.