Foto: iStock/ GAnay Mutlu

Europa gegen Google: kein guter Tag für Innovation und Wettbewerb

Kolumne,

Diese Geldbuße ist knackig: 2,42 Milliarden Euro soll Google wegen angeblichen Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung als Suchmaschine durch unzulässige Vorzugsbehandlung des eigenen Preisvergleichsdienstes zahlen. Eine schlechte Entscheidung, meint unser Kolumnist Justus Haucap.

Ende Juni hat die Europäische Kommission – nach einem fast siebenjährigen Verfahren – ein Rekordbußgeld von 2,42 Milliarden Euro gegen Google verhängt. Das ist mit Abstand die höchste Geldbuße, die jemals gegen ein Unternehmen wegen eines Kartellrechtsverstoßes verhängt wurde. Bisherige Rekordhalter waren Intel und Daimler, gegen die Kartellstrafen von jeweils rund 1 Milliarde Euro angeordnet wurden.

Während einige Kommentatoren die aktuelle Google-Entscheidung der EU-Kommission dezidiert begrüßten und gleich auf die Stärke Europas verwiesen, dürfte es für die europäischen Verbraucher – langfristig betrachtet – ein schlechter Tag gewesen sein. Intuitiv mögen es zwar einige als richtig empfinden, die großen amerikanischen Internetkonzerne endlich einmal in die Schranken zu weisen; gleichwohl sollte nicht einfach auf ein Unternehmen eingedroschen werden, weil es groß und erfolgreich ist. Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung sollte bei einer solchen Rekordbuße doch mit großer Sicherheit nachgewiesen werden, ebenso wie der Schaden für die Verbraucher. Genau hier hapert es aber in der Entscheidung der EU-Kommission.

Sollte die Entscheidung der Kommission auch vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Bestand haben, werden große Unternehmen kaum noch Anreize für Innovationen haben, wenn im Erfolgsfall entweder andere Unternehmen als Trittbrettfahrer an den Erfolgen partizipieren dürfen oder aber gegen den Innovator ein saftiges Bußgeld verhängt wird.

Worum es geht

Aber der Reihe nach: Worum geht es konkret in dem aktuellen Verfahren?

Die EU-Kommission ist der Auffassung, dass Google „seine marktbeherrschende Stellung als Suchmaschinenbetreiber missbraucht, indem es einem anderen Google-Produkt – seinem Preisvergleichsdienst – einen unrechtmäßigen Vorteil verschafft hat“. Google habe die Google-Shopping-Anzeigen zu prominent auf seiner Webseite platziert und zugleich konkurrierende Preisvergleichsdienste strategisch nach hinten in die Trefferlisten verschoben, also abgewertet.

Mit Google Shopping sind die Anzeigen gemeint, die mit Bildern der gesuchten Produkte oben oder rechts eingeblendet werden, wenn man bei Google nach Produkten sucht. Weil diese Anzeigen bei Google deutlich sichtbarer sind als Preisvergleichsdienste wie idealo.de oder ladenzeile.de, würden Letztere im Wettbewerb unzulässig behindert.

Das mag sich doch alles ganz plausibel anhören, wo also sind die Probleme der Analyse? Warum sollte das für Verbraucher ein schlechter Tag sein?

Es besteht die große Gefahr, dass die EU-Kommission mit ihrer Entscheidung nicht den Wettbewerb schützt, sondern geradezu behindert und zudem Innovationsanreize deutlich schmälert.
Justus Haucap
Illustration: Irene Sackmann

Justus Haucap

Weil die große Gefahr besteht, dass die EU-Kommission mit ihrer Entscheidung nicht den Wettbewerb schützt, sondern geradezu behindert und zudem Innovationsanreize deutlich schmälert.

Um etwas konkreter zu werden: In ihrer Entscheidung ignoriert die Kommission sowohl die Rolle von Marktplätzen wie Amazon Marketplace und eBay als auch die von Internethändlern wie Zalando oder Mister Spex. Die Kommission geht nämlich davon aus, dass es einen separaten Markt für Preisvergleichsdienste gibt, zu welchem Amazon, eBay und Zalando nicht zählen. Anders ausgedrückt: Amazon sei kein relevanter Konkurrent von Google Shopping, eBay, Zalando etc. auch nicht. Konkurrenten der Google-Shopping-Anzeigen seien nur die reinen Preisvergleichsdienste wie idealo.de, biliger.de und so weiter. Zwar könne man auch bei Amazon und eBay Preise vergleichen, aber man könne darüber hinaus auch direkt dort einkaufen. Weil dies aber bei Google Shopping nicht der Fall sei, sei Amazon für die Verbraucher kein Substitut für Google Shopping. Anders ausgedrückt nimmt die Kommission an, dass Verbraucher nicht zwischen Amazon, eBay und Google entscheiden, wenn sie anfangen, nach Produkten wie Turnschuhen oder Digitalkameras zu suchen.

Justus Haucap

Justus Haucap
Illustration: Irene Sackmann

Justus Haucap ist einer der wenigen Ökonomen, die oft und gerne in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten. Allerdings gehört er nicht zu jenen bedauernswerten Wissenschaftlern, die in der Tagesschau als Experten 15-Sekünder zu einem immer gleichen Thema aufsagen müssen. Sein Themenportfolio ist genauso breit angelegt wie die Plattformen, die er für die Verbreitung seiner Positionen nutzt.  Man liest seine Texte genauso im Handelsblatt wie auf diversen Internetblogs oder gar der Huffington Post. Dort streitet er gerne über Themen wie die Abwrackprämie, Energiefragen oder das umstrittenene Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Als Kolumnist der ersten Stunde tut er seine Meinung auch auf MERTON kund. Wettbewerbs- und Energiepolitik, Regulierung oder Institutionenökonomik liegen dem Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Düsseldorf besonders am Herzen. 
Justus Haucap auf Twitter.

Diese recht heroische Annahme scheint – so viel ich bisher weiß – nicht durch eine Untersuchung des tatsächlichen Verbraucherverhaltens gestützt zu sein, sondern allein darauf zu beruhen, dass man bei Google Shopping – weil dies ja Anzeigen sind – nicht selbst einkaufen kann, bei Amazon aber eben schon. Wäre Amazon nämlich Teil desselben Marktes, würde die Theorie, dass Google den Markt monopolisiert, wie ein Kartenhaus zusammenstürzen. Die Sichtweise der Kommission impliziert im Übrigen auch, dass die Marktabgrenzung der Kommission sofort zusammenbricht, sollte Google noch weiter aufrüsten und – so wie Amazon – One-Click-Shopping anbieten. Dann wäre Google Shopping nämlich plötzlich ein Konkurrent von Amazon, der es heute angeblich nicht ist. Die Analyse kommt einem so vor, als wenn die Behörde argumentierte, Geschäfte, die neben Einkaufsmöglichkeiten auch eigene Parkmöglichkeiten anbieten, stünden überhaupt nicht in Konkurrenz zu Geschäften, bei denen ich in ein Parkhaus fahren muss, weil das Bündel aus „Shoppen + Parken“ eben nicht dasselbe ist wie Shoppen im Geschäft und Parken im Parkhaus. Sicher mag das Geschäft mit Parkhaus einen Wettbewerbsvorteil haben, aber im Wettbewerb stehen beide doch. Übertragen hieße dies zudem, dass Amazon (weil es Produktsuche und Einkaufsmöglichkeit anbietet) einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Google Shopping hat, weil ich dort eben nicht direkt kaufen kann, sondern nur auf die Seite des Händlers weitergeleitet werde. 

Würde ich etwa meine Studierenden (so wie heute in der Vorlesung geschehen) fragen, wo sie ihre letzten Interneteinkäufe getätigt haben und wie sie die Suche nach dem Produkt, das sie dann gekauft haben, begonnen haben, so berichtet die große Mehrheit, dass sie direkt bei Amazon, Zalando oder auch beim Hersteller angefangen haben, nach den Produkten zu suchen. Nur wenige beginnen die Produktsuche bei Google und noch weniger klicken dann auch auf die Google-Shopping-Anzeigen. 

Die bedeutendste (und aus Sicht vieler meiner Studenten auch bessere) Alternative zu Google Shopping ist damit Amazon, dies ist der wichtigste Konkurrent. Amazon und eBay komplett aus der Wettbewerbsanalyse auszublenden – so wie die EU-Kommission dies getan hat – ist somit mindestens gewagt. Dies auch noch – so viel ich bisher eben weiß – ohne eine tief gehende Studie des Verbraucherverhaltens zu tun, wäre fahrlässig und nicht überzeugend.

Die Kommission ignoriert, dass die Anzeigen bei Google Shopping ganz klar als Anzeigen gekennzeichnet sind und Google selbst sogar auf der Seite schreibt, dass es von den Firmen für die Anzeigen bezahlt wird – viel transparenter übrigens als dies bei manch anderen Preisvergleichsseiten der Fall ist. Ob Verbraucher daher erwarten, dass Google Shopping eine allumfassende und neutrale Preisvergleichsseite ist, ist jedenfalls anzuzweifeln. Zumindest suggeriert Google selbst nicht, dass Google Shopping eine neutrale Metasuchmaschine sei. Selbst wenn Werbeplattformen und Metasuchmaschinen als Substitute betrachtet werden sollten, wäre dies durch eine Studie des tatsächlichen Verbraucherverhaltens zu belegen und nicht einfach anzunehmen.

Allgemeine versus spezialisierte Suchen

Ganz ähnlich geht die Kommission davon aus, dass Bing und Yahoo! die einzigen Wettbewerber auf dem Markt für allgemeine Suchanfragen seien. Das Problem ist nur: Nutzer haben meist spezielle Fragen oder Informationsbedürfnisse und stellen keine „allgemeinen Suchanfragen“. Verbraucher suchen nach Informationen über das Wetter, Börsenkurse, TV-Programme, Restaurants, Hotels, Politiker, Bücher und auch Turnschuhe, DVD-Player und andere Produkte, die bei Google Shopping gesucht und beworben werden. Für jede dieser speziellen Suchanfragen gibt es jedoch Alternativen zu Google: Bücher kann man bei Amazon finden, Restaurants bei Foursquare, Yelp oder im Gault&Millau, Hotels bei HRS, Politiker bei Wikipedia oder Spiegel Online, das Wetter bei wetter.com, Börsenkurse bei der Onlinebank oder bei finanzen.net und so weiter. Diese Alternativen werden ebenfalls von der Kommission ausgeblendet. Gibt es überhaupt einen Markt für allgemeine Suchen, wie die Kommission unterstellt, oder gibt es nicht viele kleine Märkte für spezialisierte Suchen? Und ist Google eben auf allen Märkten präsent, so wie auch Kaufhäuser (fast) alles anbieten? Daraus zu schließen, die Kaufhäuser stünden nicht in Konkurrenz zu anderen Händlern, die nicht alles anbieten, wäre mindestens gewagt.

Betrachten wir einmal exemplarisch die Suche nach Büchern, so dürfte Amazon die größte Buchsuchmaschine der Welt und im Bereich der Buchsuche marktbeherrschend sein. Wer sucht schon woanders online nach Büchern? Darf Amazon dann demnächst nicht mehr seine eigenen Bücher als erste Treffer angeben, sondern muss zuerst auf andere Buchhändler verweisen? Dies wäre offenkundig absurd und würde das Geschäftsmodell nachhaltig schädigen.

Stellen wir uns einmal vor, Amazons Alexa würde immer besser und erfolgreicher werden – dürfte Alexa dann demnächst keine Amazon-Produkte mehr liefern lassen?
Justus Haucap
Illustration: Irene Sackmann

Justus Haucap

Ob das prominente Anzeigen von Google Shopping den Wettbewerb überhaupt mindert, ist ebenso unklar. Bedenkt man, dass Amazon und eBay den Onlinehandel lange Zeit stark dominiert haben und es auch immer noch tun, dann erscheint das Schaffen einer sehr sichtbaren Werbeplattform (wie eben Google Shopping) geradezu als wettbewerbsförderlich, um die Dominanz von Amazon und eBay zu durchbrechen, und keineswegs als wettbewerbsdämpfende Strategie. Die Strategie wäre vielmehr prokompetitiv.

Schließlich scheint auch das Bußgeld unangemessen hoch zu sein. Im Vergleich zu MAN, Volvo/Renault, Daimler, Iveco und DAF, die 14 Jahre lang die Preise für etwa 30 Millionen Lkw in Europa abgesprochen haben, was ohne jeden Zweifel aufgrund von Kronzeugen belegt ist, erscheint der ökonomische Schaden aus dem Vorgehen von Google geradezu vernachlässigbar. Dass nun Google das fast 2,4-Fache des Bußgeldes von Daimler bezahlt, erscheint wohl kaum verhältnismäßig, zumal da gar nicht klar ist, ob Verbrauchern durch Google Shopping überhaupt Nachteile entstanden sind oder nicht sogar Vorteile entstehen, wenn es einen zweiten potenten Wettbewerber zu Amazon gibt.

Sollte die Ansicht der Kommission, dass Wettbewerbsvorstöße großer Unternehmen in dem Fall, dass sie erfolgreich sind, mit hohen Geldbußen belegt werden, ohne dass es irgendeine Evidenz dafür gibt, dass dies den Verbrauchern schadet, auch vor dem EuGh Bestand haben, so wird das die Anreize für Wettbewerbsvorstöße und Innovationen in der EU drastisch reduzieren. Langfristig wäre dies dann eben ein sehr schlechter Tag für die Verbraucher. Stellen wir uns einmal vor, Amazons Alexa würde immer besser und erfolgreicher werden – dürfte Alexa dann demnächst keine Amazon-Produkte mehr liefern lassen? Wenn dies die Konsequenz ist, werden die Anreize, Alexa immer weiter zu verbessern, erheblich eingeschränkt, denn gerade die Aussicht auf Gewinne reizt Innovationen an. Es bleibt zu hoffen, dass der EuGH die Entscheidung wieder einkassiert – bis dahin wird jedoch erhebliche Unsicherheit bleiben.