Foto: iStock/ Martin Lang

"Fast jeder kann Organspender sein"

Während mehr als 10.000 Menschen in Deutschland dringend auf ein Spenderorgan warten, sinkt die Zahl der Organspender von Jahr zu Jahr. 2017 lag sie bei 797 und erreichte damit den niedrigsten Stand seit 20 Jahren. Ein Gespräch mit dem Transplantationsmediziner Johann Pratschke.

Wer kommt als Organspender überhaupt in Frage?
Fast jeder und mehr Menschen als viele denken. Es gibt beispielsweise grundsätzlich kein Alterslimit für eine Organspende. Eines des wenigen Ausschlusskriterien ist, wenn der potentielle Spender an einem bösartigen Tumor oder einer Infektionskrankheit litt. Denn in diesem Fall ist das Risiko, dass bei einer Organspende die betroffenen Zellen ebenfalls transplantiert werden, zu hoch.
Der klischeehafte Organspender ist immer der Motorradfahrer, der ein isoliertes Schädel-Hirn-Trauma hat. Den klassischen Unfallverunglückten gibt es als Organspender aber kaum. Heutzutage sind Organspender eher ältere Patienten, die  einen Schlaganfall erlitten haben.

Wie wird in den Krankenhäusern mit potenziellen Organspendern umgegangen?
Wenn ein Patient auf der Intensivstation den Hirntod erleidet, wird geprüft, ob ein Organspendeausweis vorliegt. Es wird aber ohnehin in allen Fällen mit den Angehörigen gesprochen. Liegt ein Ausweis vor, ist die Argumentation deutlich leichter. Liegt kein Organspendeausweis vor, muss in dieser schweren Situation mit den Angehörigen gemeinsam herausgearbeitet werden, was der Wunsch des Verstorbenen gewesen wäre und ob die Angehörigen auch damit einverstanden sind.

Heutzutage sind Organspender eher ältere Patienten, die einen Schlaganfall erlitten haben.
Foto: Charité – Universitätsmedizin Berlin

Johann Pratschke

Direktor der Chirurgischen Klinik der Charité – Universitätsmedizin Berlin

Wer führt diese Gespräche?
Die Gespräche werden zumeist von den Ärzten auf der Intensivstation geführt. Extra ausgebildete Teams sind dabei sehr selten. Letztlich braucht es dafür einen erfahrenen Arzt, der ein einfühlsames Gespräch führen kann.
Während all dieser Zeit wird der hirntote Patient weiter künstlich beatmet. So werden die Körperfunktionen für eine mögliche Spende noch am Leben gehalten. Würde man die künstliche Beatmung in dieser Zeit stoppen, würden auch die Organe zwangsläufig absterben.

Wie läuft die Organspende ab?
Willigen die Angehörigen einer Organentnahme ein, wird die Deutsche Stiftung Organstransplantation (DSO) benachrichtigt und der verstorbene Patient als Spender gemeldet. Am Spender werden verschiedenste medizinische Untersuchungen vorgenommen, um festzustellen, welche Organe sich überhaupt für eine Spende eignen und für wen sie zur Verfügung stehen.
Die Entnahme erfolgt dann durch die entsprechenden Teams. Das ist beispielsweise für Herz und Lunge ein anderes als für Leber und Niere. Sobald die Organe vom Blutkreislauf abgetrennt sind, werden sie auf Eis konserviert und zu den Organempfängern transportiert. Das alles passiert unter einem erheblichen Zeitdruck, denn je schneller transplantiert wird, desto besser funktionieren die Organe.

CC BY-SA 3.0 DE
Ablauf einer Organspende

Wie wird entschieden, wer ein Organ bekommt?
Die Vergabe der Organe erfolgt über separate Listen bei Eurotransplant. Dabei ist die Vergabe ein relativ komplexes System aus den Kriterien Wartezeit, Dringlichkeit und Aussicht auf Erfolg. Aber auch die übereinstimmenden immunologischen Merkmale zwischen Spender und Empfänger spielen eine erhebliche Rolle. Von Organ zu Organ werden die Kriterien unterschiedlich gewichtet. Bei der Niere beispielsweise lässt sich mittels der Dialyse besser etwas Zeit überbrücken, als bei einem Herz, wo innerhalb kürzester Zeit ein neues Organ transplantiert werden muss.

Was bedeutet die Organspende für die Krankenhäuser?
Eine Organspende ist für die entnehmenden Krankenhäuser nicht attraktiv und schon gar nicht finanziell lukrativ. Denn ein Patient, der bereits verstorben ist, aber seine Organe zur Spende freigegeben hat, benötigt die gesamte Infrastruktur im Krankenhaus, während andere Patienten nicht versorgt werden können. Der Organspender liegt weiterhin auf der Intensivstation und wird medikamentös behandelt, während der OP-Saal vorbereitet wird und die Gespräche mit den Angehörigen erfolgen. All diese Maßnahmen werden mit einer Pauschale von den Krankenkassen abgegolten, die zwar den tatsächlichen Aufwand, aber nicht den Wert der eingesetzten Ressourcen abdeckt.

Wie könnte die Situation in den Krankenhäusern verbessert werden?
Man müsste den Krankenhäusern einen finanziellen Anreiz geben, damit sie Organspenden verwirklichen. Die Krankenhäuser sind zwar verpflichtet Organspenden umzusetzen, doch wenn sie mit jeder Organspende ein finanzielles Minus machen, ist es verständlich, dass sie dieser Pflicht nur ungerne nachkommen. Es bräuchte den politischen Mut, um die Organspende wie eine teure Therapie zu sehen und pro Entnahme deutlich mehr zu zahlen - dann wäre ein Anreiz da, um die Strukturen innerhalb der Krankenhäuser zu überdenken.

Foto: Die Debatte

Dieser Artikel erschien zuerst auf Die Debatte. Das ist ein gemeinsames Projekt von Wissenschaft im Dialog (WiD), dem Science Media Center Germany (SMC) und der TU Braunschweig, gefördert vom Stifterverband. Das Projekt möchte zeigen, dass Wissenschaft zu aktuellen gesellschaftlichen Themen viel beizutragen hat. Die jüngste Debatte beschäftigte sich mit dem Thema "Organspende". Auf dem Blog finden sich vertiefende Hintergrundartikel und Interviews zu gesellschaftsrelevanten Themen. In regelmäßigen moderierten Live-Debatten beantworten zudem  Experten die Fragen des Publikums. Überzeugungen und Wissen werden hier einander gegenübergestellt. 

Straßenumfrage: Wie stehen Sie zur Organspende?