(Abbildung: Unbekannter Künstler; bearbeitet von Hugo Heikenwaelder und Jaybear; C. Flammarion 1888 Ausschnitt, CC BY-SA 4.0

Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt

Kolumne,

Wir leben angeblich in postfaktischen Zeiten. Wissenschaftliche Erkenntnisse verpackt in Zahlen und Grafiken überzeugen da wenig. Eine Chance liegt in der menschlicheren Erzählung von Wissen und Wissenschaft.

Da ist es also, das Ende des Aufklärungszeitalters, das antiintellektuelle Zeitalter. Die postfaktischen Zeiten sind angebrochen. Und es zieht ein Jammern und Wehklagen durch die intellektuelle Welt: Was nur tun, wenn „die Gesellschaft“ auf einmal nicht mehr glaubt, was auf Erkenntnissen beruht?

Haben sich die Menschen wirklich auf einmal mehrheitlich in ihrer Rezeption von Nachrichten und wissenschaftlichen Erkenntnissen verändert? Verweigern sie wirklich wie von Zauberhand plötzlich die Anerkennung von Expertenwissen oder ganz banalen Wahrheiten wie jener, dass die Erde rund ist? (Hierzu äußerte sich jüngst jemand bei Jürgen Domian und machte diesen fast sprachlos.) 

Ist die Erde eine Scheibe?

Sendung von Jürgen Domian am 29. Oktober 2016; Gespräch beginnt bei Minute 30:50

Cherry-Picking statt Fakten

Nein, die Menschen haben sich nicht plötzlich verändert; aber die Medienwelt, die algorithmisch individualisierte Onlinewelt mit ihrem Gemisch aus Nachrichten von Profis, Laien, Spinnern und Spin-Doktoren – und Bubbles, die den „Bullshit“ im Netz schneller verbreiten als seriöse, trockene Nachrichten. Es ist zudem die sich selbst bestätigende Kraft in der Rezeption, die diese neue Form so gefährlich macht. „Cherry-Picking“ gibt es schon immer – ein Kognitionsfehler sozusagen, der uns Menschen per se Informationen herausfiltern lässt und in der Wahrnehmung stärkt, die der eigenen Meinung entspricht. 

Das bedeutet: Wenn jemand zu einem Thema wie beispielsweise Impfen eine ablehnende Haltung hat, so können wir ihn mit Fakten zuschütten; Hunderte Grafiken zeigen; falsche Fakten zerlegen, widerlegen, uns den Mund fusselig reden – wir werden ihn mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht überzeugen. Mit logischen Argumenten kommen wir hier nicht weiter, das zeigen Forschungsergebnisse nicht erst heute. Und es ist noch schlimmer: Indem wir beispielsweise falsche Wahrheiten wie Impfmythen nennen, um sie dann zu widerlegen, fördern wir alleine durch deren Nennung die Wahrnehmung des Falschen. Denn mit Fakten kommen wir gegen die Schicksalsberichte Einzelner, die Menschen auf emotionaler Ebene zu fassen bekommen, nicht an. 

Beatrice Lugger

Beatrice Lugger
Beatrice Lugger (Foto:NaWik/ Tim Wegner)

Wissen. Werte. Worte. ist eine Kolumne zur Wissenschafts­kommuni­kation von Beatrice Lugger. Die Wissenschafts­journalistin und Direktorin des Nationalen Instituts für Wissenschafts­kommunikation, NaWik, legt großen Wert auf eine verständliche Kommunikation von Wissen und Wissens­wertem. Diese gilt es zu stärken. Denn heute reden alle mit – mehr oder weniger qualifiziert, ambitioniert und motiviert. Es gibt eine Flut an Informationen, richtigen und falschen Behauptungen oder in die Irre leitenden Metaphern. Gerade deshalb plädiert Lugger für den Dialog, für die Nutzung interaktiver Formate und eine Debatten­kultur in der Wissenschafts­kommuni­kation auf Augenhöhe.
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Fakten vs. Emotionen

Dass Emotionen in der Nachrichtenrezeption wichtig sind, ist ein alter Hut unter Journalisten. Für die reine Kurznachricht zu einer neuen wissenschaftlichen Erkenntnis genügen Fakten. Wenn wir aber wirklich vermitteln wollen, brauchen wir Protagonisten, Betroffene, eine emotionale Brücke zu den Lesern. Die Betroffenen können im Falle von medizinischen Therapien Patienten sein. Sie sind in Wissenschaftsreportagen aber oft die Experten selbst, die Wissenschaftler. Und diesen fällt es häufig extrem schwer, sich von Fakten zu lösen und über ihr Feld auch emotional zu berichten. Das liegt zu einem sehr großen Teil am notwendigen und wichtigen Sozialisationsprozess als Wissenschaftler. So erlernen Studierende Semester für Semester immer mehr von der für ihr Gebiet wesentlichen Fachsprache. Außerdem erlernen sie exakt, präzise und wissenschaftlich zu arbeiten. Das bedeutet Objektivität, rationales Handeln, sachliche Conclusio. Es sind keine emotionalen Ergebnisse erwünscht. Einzig was zählt, sind die Fakten.

Dies lässt uns denken, dass die Wissenschaften und damit auch die handelnden Personen stets rein sachlich sein müssten und seien. Natürlich kennzeichnet erfolgreiche Wissenschaftler aber auch, dass sie leidenschaftlich für ihr Thema brennen. Sie sind genauso Menschen mit Emotionen. Sie mögen bestimmte Theorien oder Forschungsansätze und andere nicht. Es gibt auch hier Ablehnung und Begeisterung. Und sie haben Intuition – und manchmal Glück. Davon etwas zu zeigen, könnte die Wahrnehmung von Erkenntnissen stärken. Wie also wäre es, wenn Forschende durchaus mehr Forschungsgeschichten erzählten und auch die eigene Begeisterung oder die eigenen Bedenken zeigten? 

Mensch. Haltung. Geschichten. Solche Elemente können die Wahrnehmung von Fakten aus der Wissenschaft in der Gesellschaft stärken.

Beatrice Lugger

Wenn Forscher ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit vorstellen oder direkt mit Bürgern diskutieren, ist eine verständliche Sprache ein Muss. Damit die Botschaften auch ankommen, könnten eine emotionale Note, Haltung und Persönliches eine Brücke bilden. Denn das Menschliche schafft Nähe und Vertrauen. Neben Fakten und Zahlen etwa zum Thema Klimawandel könnte eine Aussage wie „Ich forsche auf diesem Gebiet seit x Jahren und setze mich mit den Fakten auseinander und ich mache mir zunehmend Sorgen“ die Aufmerksamkeit der Zuhörer steigern. 

Mensch. Haltung. Geschichten. Solche Elemente können die Wahrnehmung von Fakten aus der Wissenschaft in der Gesellschaft stärken. Einige Wissenschaftler tun dies bereits. Communicator-Preisträger etwa bestechen nicht alleine durch ihre Eloquenz, sondern auch durch ihre sichtbare, ja spürbare Persönlichkeit. Andere Wissenschaftler sind regelmäßig in den diversen Onlinemedien aktiv. Sie bloggen, kommentieren auf Facebook oder Twitter, sie zeigen Haltung und halten im großen Datenstrom die Fahne der Wissenschaft hoch – als authentische Menschen. Wir brauchen mehr von ihnen, in der analogen und in der digitalen Welt.

Vorbildliche Wisssenschaftskommunikation

(Foto: Stifterverband)

„Was bereitet unseren Kindern so viel Kopfzerbrechen?“ - Ein Videoporträt von Boris Zernikow, Leiter des Deutschen Kinderschmerzzentrums. 2015 erhielt er den Communicator-Preis von Stifterverband und Deutscher Forschungsgemeinschaft. 
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