Manfred Prenzel, Vorsitzender des Wissenschaftsrates (Foto: Damian Gorczany)

Lehre muss Chefsache werden

Gute Lehre, die Studierende bestmöglich durchs Studium leitet – für viele Professoren ist das alles andere als selbstverständlich. Doch wie kann man das Bewusstsein der Lehrenden dafür schärfen? Ein Interview mit Manfred Prenzel, Vorsitzender des Wissenschaftsrates.

Der Wissenschaftsrat hat zuletzt 2008 ein umfangreicheres Papier mit Empfehlungen für eine gute Lehre veröffentlicht. In Kürze gibt es ein neues Positionspapier. Hat sich seither durch diverse Initiativen etwas zum Besseren entwickelt, zeichnet sich gar ein Kulturwandel an den Hochschulen ab?
Es ist sicherlich so, dass das Bewusstsein für die Bedeutung von Lehre gestiegen ist. Nehmen wir als Beispiel den Qualitätspakt Lehre: Ähnlich wie die Exzellenzinitiative für die Forschung hat er an vielen Hochschulen dazu geführt, erstmals gründlich über eine Lehrkultur nachzudenken und darüber, wie man diese in der Breite implementieren könnte. Das ist gut. Ein Problem könnte aber an etlichen Hochschulen werden, dass es sich bei den Förderungen eben nur um zeitlich befristete Projekte handelt, die anschließend von den Hochschulen in Eigenregie weiter am Leben erhalten werden müssen.

Forscher, die die nachhaltigen Wirkungen des Qualitätspaktes untersuchen, wenden außerdem ein, etliche der Projekte an den Hochschulen seien lediglich wegen des Mitnahmeeffektes zustande gekommen – um kurzfristig bis 2020 besser mit dem Studierendenansturm fertigzuwerden.
Tatsächlich haben die Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge und die Herausforderungen, die damit verbunden waren und sind, vielerorts dazu geführt, Lehre vor allem als technisches Problem zu begreifen und punktuell darauf zu reagieren. Das verdeckt die Tatsache, dass nachhaltig gute Lehre einen Kulturwandel mindestens in der Fakultät, besser noch an der gesamten Hochschule benötigt. Denn nach wie vor sind die Lehrenden im deutschen Wissenschaftssystem mit einem Grundkonflikt konfrontiert: der richtigen Balance zwischen Zeit für die Forschung und Zeit für die Lehre. Der Druck von außen ist groß, Leistungen in der Forschung sind für eine gelungene Professorenkarriere nach wie vor entscheidend und deutlich wichtiger, als etwa herausragende Konzepte für eine gute Lehre entwickelt zu haben.

Wirkliche Veränderungen kann es nur dort geben, wo die Hochschulleitung gute Lehre zur Chefsache erklärt und die Hochschule über alle Ebenen einbezieht.

Manfred Prenzel

Vorsitzender des Wissenschaftsrates

Interessanterweise legen all jene US-amerikanischen und britischen Eliteuniversitäten, denen deutsche Hochschulen als Vorbilder nacheifern wollen – Stanford, Harvard, Oxford – den größten Wert auf gute Lehre und fordern dies auch explizit von ihren Lehrenden ein. Warum orientiert man sich bei uns nicht auch an solchen Leistungen?
Eine berechtigte Frage – denn ein Gutteil des Renommees dieser Universitäten rührt tatsächlich von ihrer exzellenten Lehre her, die allerdings auch auf ausgewählte Studierende trifft. Wirkliche Veränderungen kann es meines Erachtens nur dort geben, wo die Hochschulleitung, wie in Stanford oder Harvard, gute Lehre auch zur Chefsache erklärt und die Hochschule über alle Ebenen einbezieht.

Was gehört alles dazu?
Das Bewusstsein dafür, den Studierenden gute Lehre zu bieten, die sie bestmöglich durchs Studium leitet, fällt nicht vom Himmel. Grundvoraussetzung ist ein funktionierendes Qualitätsentwicklungssystem, das alles, von der Studienberatung über die Curricula und Module bis hin zu den Lehrveranstaltungen, Methoden und Prüfungsformen, kritisch beleuchtet und Verbesserungen vorschlägt. Aber es muss auch eine gemeinsame Haltung sichtbar werden, die es nicht akzeptiert, wenn Kolleginnen und Kollegen ihre Lehraufgaben vernachlässigen.

Können regelmäßige Evaluationen der Lehre, etwa durch die Studierenden, helfen, auf dem richtigen Kurs zu bleiben?
Natürlich ist das Feedback der Studierenden wichtig. Ich persönlich bin jedoch kein Freund seitenlanger Evaluationsbögen. Die meisten Studierenden haben erfahrungsgemäß nur wenig Zeit und Lust, so etwas auszufüllen. Ob die Studierenden von der Veranstaltung profitiert haben und wo Probleme wahrgenommen werden, lässt sich auch mit wenigen Fragen erfassen.

In anderen Ländern funktioniert dieses System doch offenbar?
Ein entscheidender Unterschied ist, dass es für einen Lehrenden an den meisten deutschen Hochschulen keine ernsthaften Konsequenzen hätte, wenn er schlechte Bewertungen erhielte. Wenn sehr kritischen Beurteilungen der Lehre durch die Studierenden zum Beispiel von Studiendekanen nachgegangen würde, hätte das bereits Signalwirkung. Und besonderes Engagement in der Lehre könnte in leistungsorientierten Zulagen honoriert werden.

Kulturwandel in der Lehre?

Klaus Diepold mit seinen Studierenden. (Foto: Michael Herdlein)

Die Lehre galt lange als Stiefkind der Forschung. Zahlreiche Initiativen und Preise haben in den vergangenen Jahren versucht, genau das zu ändern. Doch hatten sie auch Erfolg? Zeit für ein Resümee.
Zum Beitrag 

Als eine wichtige Voraussetzung für gute Lehre gilt die Betreuungsrelation zwischen Lehrenden und Studierenden. Die sogenannte Kapazitätsverordnung (KapVO) sieht jedoch unter anderem vor, dass Hochschulen, die zusätzliche Professorenstellen schaffen, auch automatisch mehr Studienanfänger aufnehmen müssen. Was zu keinem besseren Betreuungsverhältnis führt. Hat sich hier in den letzten Jahren etwas bewegt?
Seit den WR-Empfehlungen von 2008 konnte bei der KapVO leider kein grundlegender Durchbruch erreicht werden, auch wenn verschiedene Modelle  gewisse Freiräume bei der Festlegung von Ausbildungskapazitäten bieten. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht inzwischen zu erkennen gegeben, dass es die „unzulässige Niveaupflege“ – das heißt eine vom Kapazitätsrecht abweichende Reduzierung der Studienplatzkapazitäten – heute wohl anders beurteilen würde, so sehen es zumindest einzelne Juristen.