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„Mehr Deutungsintelligenz für immer mehr Daten“

Holger G. Weiss über technische Entwicklungshemmnisse, internationale Forscherteams und warum unser Verhalten immer exakter analysiert werden wird.

Wie entstehen Innovationen in Ihrem Unternehmen?
Innovation entsteht bei uns hauptsächlich in der Produktentwicklung. Wir starten mit Hypothesen, von denen wir glauben, dass etwas ein Produkt werden könnte. Daraus entwickeln wir Prototypen und arbeiten in Fokusgruppen intensiv an den einzelnen Komponenten wie zum Beispiel dem User-Interface. Eine agile Vorgehensweise und schnelle Iterationen sind ein wichtiger Teil des Innovationsprozesses bei uns.

Besitzt Ihr Unternehmen eine eigene Abteilung für Forschung und Entwicklung (FuE)? Welche Aufgaben hat diese und wie hoch sind Ihre FuE-Ausgaben?
Aufgrund der Größe des Unternehmens haben wir keine eigene FuE-Abteilung. Allerdings kann man uns im übertragenen Sinne als FuE-Abteilung von Panasonic Automotive & Industrial Systems sehen. Panasonic ist ein etabliertes Unternehmen, das im Bereich Connectivity/Connected Services sehr stark forscht und neue Lösungen entwickelt. Genau da kommen wir ins Spiel. Trotzdem sind wir natürlich keine richtige FuE-Abteilung, sondern ein eigenes Unternehmen mit einer eigenen Gewinn-und-Verlust-Verantwortung.

Welches sind die wichtigsten Entwicklungshemmnisse für Ihre Forschung und Entwicklung oder für die FuE-Aktivitäten Ihrer Auftraggeber?
In unserer Branche gibt es Hemmnisse in ganz unterschiedlichen Bereichen. Im technischen Bereich ist das ziemlich offensichtlich. Wir entwickeln eine Hypothese und dann ist die technische Umsetzung nicht immer einfach möglich. Ein weiteres Hemmnis in der Automobilbranche sind natürlich die branchenspezifischen Restriktionen. Man kann schlichtweg nicht alles umsetzen, denn es ist ein Unterschied, ob ich zu Hause auf der Couch sitze und einen Service nutze oder mit 50 Stundenkilometern dabei durch die Stadt fahre. Ein wirklich bedeutendes Hemmnis liegt aber im Bereich der Anwendung und der Akzeptanz des Endverbrauchers. Oft muss der Gebrauch des neu entwickelten Produkts erst beim Nutzer initiiert werden. Die internetfähigen Fernseher sind da ein gutes Beispiel. Selbst als die Geräte schon zwei bis drei Jahre auf dem Markt waren, stellte man fest, dass nur 10 Prozent der internetfähigen Fernseher tatsächlich mit dem Internet verbunden waren. Der Verbraucher muss erst dazu „erzogen“ werden, das Produkt auf diese Weise zu nutzen. Beim Autoradio war es ähnlich. Irgendwann konnte man via Bluetooth das Smartphone mit dem Autoradio verbinden und seine Playlist abspielen. Dass das Internet mir aber die Möglichkeit zur absoluten Personalisierung gibt und dass ich mir nicht nur die Farbe meines Autos personalisieren kann, sondern eben auch meine Radiostation – diese Erkenntnis musste erst einmal beim Verbraucher durchsickern, und dazu bedarf es dann einer Initialzündung.
 

Holger G. Weiss (Foto: Markus WŠchter/Waechter)

Holger G. Weiss ist Managing Director bei AUPEO, das in den Geschäftsfeldern personalisiertes Radio und vernetzte Informations- und Unterhaltungssysteme in Autos tätig („Connected Cars“) ist. "Aupeo! Personal Radio" ist ein nicht-lineares, personalisiertes Internetradio, das auf einer hybriden Empfehlungstechnologie basiert. Diese verfolgt einen hybriden Ansatz, der schnelle Zuordnung von musikalischen Attributen durch einen automatisierten Prozess mit menschlicher Verfeinerung verfolgt. Das Unternehmen wurde 2008 in Berlin gegründet und gehört seit 2013 zu Panasonic. Derzeit sind an den beiden Standorten Berlin und Detroit insgesamt 25 Mitarbeiter beschäftigt. 

Wie halten Sie Ihre Mitarbeiter und wie finden Sie neue?
Das ist immer ein Konglomerat aus verschiedenen Dingen. Man muss ein attraktives Arbeitsumfeld bieten, und das fängt in der Regel damit an, dass sich Mitarbeiter gerecht bezahlt fühlen müssen. Das ist meiner Meinung nach immer der größte Wohlfühlfaktor, wobei wir alle wissen, dass das nicht das Einzige ist. Ein gutes Betriebsklima ist ebenso wichtig und dazu gehören unter anderem ein attraktives Büro, Teamevents und ein Umfeld, in dem sich die Mitarbeiter weiterentwickeln können. Bei der Mitarbeitersuche denken wir über die Grenzen Deutschlands hinaus, denn als Technologieunternehmen am Standort Berlin ist das Finden neuer Mitarbeiter eine Herausforderung. Die Konkurrenz ist riesig. Unsere Unternehmenssprache ist bewusst Englisch, um den Einstieg für ausländische Mitarbeiter zu erleichtern, und es funktioniert. Mittlerweile haben wir ein sehr buntes Team, bestehend aus Mitarbeitern aus Rumänien, Ungarn, Polen, Neuseeland, Finnland, Frankreich und natürlich Deutschland.

Was sind Ihrer Meinung nach im Moment die spannendsten Innovationstrends?
In den nächsten zehn bis 15 Jahren wird Innovation nicht mehr an Speicherkapazität oder Schnelligkeit von Computern gemessen werden. Innovation wird ganz stark in der Algorithmik passieren. Wir haben so viele Daten zur Verfügung, aber wie sich die darüberliegende Deutungsintelligenz entwickelt, das wird spannend. Hier wird vor allem das Thema „Vorhersagen“ führend sein. Wir werden in allen Lebensbereichen sehen, dass viel mehr Voraussagen und Annahmen aufgrund unseres Verhaltens getroffen werden. Da wird es das Navigationssystem geben, das die Destination schon eingibt, weil es glaubt zu wissen, wo man hinfährt, denn es ist Donnerstag und Donnerstag fährt man eigentlich immer erst ins Fitnessstudio und dann nach Hause. Auf das selbst fahrende Fahrzeug werden wir sicher noch ein wenig warten müssen, denn hier stellt sich wieder die Frage: Wann ist eine Gesellschaft dafür bereit? Trotzdem werden wir durch die technologischen Entwicklungen im Bereich connected mobility definitiv mehr Fahrsicherheit haben. Auch im Bereich der öffentlichen Verkehrsmittel werden wir eine Revolution erleben, die durch Unternehmen wie beispielsweise Uber oder ally hier in Berlin gerade initiiert wird. Ich werde zukünftig Zugang zu Mobilität haben, wenn ich sie brauche.

Ein weiterer Innovationstrend ist selbstverständlich der Bereich Internet der Dinge, der wiederum mit der richtigen Algorithmik zu spannenden Kombinationen führen kann. Da wird beispielsweise die Körperfunktion überwacht und aufgrund von Wahrscheinlichkeitsberechnungen können dann Herzinfarkte vorausgesagt und so verhindert werden. An diesem Punkt sind wir natürlich noch nicht, aber ich glaube, wir stehen vor den nächsten zehn bis 15 spannendsten Innovationsjahren, die wir bislang hatten. Alles, was bisher Internet war, diente nur zum Warmlaufen.

Was ist Ihr Erfolgsrezept für eine gelungene Innovation?
Innovation ist ein Prozess, von daher würde ich sagen: Wenn man mit einer Hypothese begonnen hat und sich diese am Ende bewahrheitet und ein verkaufbares Produkt dabei herauskommt, dann gilt die Innovation als gelungen. Ein Erfolgsrezept gibt es natürlich nicht, allerdings glaube ich, dass innerhalb dieses Prozesses ein sehr agiles Denken und eine agile Handlungsweise durchaus förderlich sind.