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„Menschen wollen weniger Maschinen in ihrem Leben“

Das Smart Home von morgen muss mehr können, als nur die Waschmaschine und die Heizung fernzusteuern. Welche Rolle vernetzte Audiosysteme dabei spielen, erklärt Simon Schiessl vom Lautsprecherhersteller Raumfeld im Interview.

Herr Schiessl, können wir bald mit unseren Lautsprechern reden?
Oh ja, Sprachsteuerung wird bereits in Lautsprecher integriert. Aber auch bei der Steuerung durch Gesten sind wir mittlerweile einen deutlichen Schritt weitergekommen. Ich sehe in letzter Konsequenz auch keinen Grund dafür, warum unsere Lautsprecher nicht auch von sich aus zukünftig eine Person erkennen können sollen, wenn sie ins Zimmer kommt, um sie akustisch zu begrüßen, vielleicht mit dem Lieblingssong.

Connected Audio wird als Brückenkopftechnologie zum vollends vernetzten Heim gehandelt. Wünschen die Menschen sich das tatsächlich: die totale Vernetzung, von der Haustür bis zum Gefrierfach?
Bislang konnte man manchmal den Eindruck gewinnen, dass das sogenannte Smart Home eher eine Lösung auf der Suche nach einem Problem ist. Der Aufwand, eine Wohnung voll zu vernetzen, um sie von der Haustür über die Heizung bis hin zur Waschmaschine zu steuern, schien hier auch in keinem echten Verhältnis zum Nutzen zu stehen. Wir bei Raumfeld glauben aber, dass die bestehenden Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine bislang nicht der menschlichen Natur entsprechen. Ein Indiz: Trotz des Siegeszugs des Smartphones als Dreh- und Angelpunkt des modernen Lebens gibt es bereits die Gegenreaktion, dass Menschen sich wieder von ihrem Telefon entkoppeln wollen. 

Die Zeit ist also reif für neue Bedienkonzepte, die organischer, haptischer und insgesamt reibungsfreier sind?
Eindeutig ja. Wenn wir uns bei der Produktentwicklung an menschlichen Grundbedürfnissen orientieren, sehen wir, dass die Menschen weniger Maschinen in ihrem Leben wollen und nicht mehr. Und paradoxerweise ist genau das die spannendste Herausforderung, nicht nur beim Thema Smart Home: weniger Technologie einsetzen, was aber nur durch mehr technologische Innovationen im Vorfeld erreicht werden kann.

Die Vision von Raumfeld ist, ein perfektes Audioerlebnis im vernetzten Heim zu erschaffen.
Was wir auch erreichen können, weil mittlerweile sämtliche Bausteine dafür zur Verfügung stehen. In den letzten Jahren gab es diesbezüglich eine Reihe von Durchbrüchen in den Bereichen Cloud-Computing, Medienstreaming, HF-Funktechnologie oder eingebettete Systeme. Wir wollen Elemente aus diesen Feldern in einer solchen Art und Weise zusammensetzen, dass ein wirklich außergewöhnliches gesamtheitliches Produkterlebnis dabei herauskommt – und wir möchten diese Entwicklungsarbeit natürlich schneller schaffen als unsere Wettbewerber.

Das Unternehmen Raumfeld

Raumfeld entwickelt, fertigt und vertreibt Lautsprecher, die auf der einen Seite per WLAN in das heimische Netzwerk eingebunden sind und sich auf der anderen Seite direkt und selbstständig Audioinhalte aus dem Internet abrufen können. Da man auf diese Weise mehrere Lautsprecher im Verbund oder unabhängig voneinander betreiben kann, spricht man auch von Multiroom-Hi-Fi.

Raumfeld ist eine Schwestermarke von Teufel, Europas größtem Direktvertreiber von Lautsprechern und Audiogeräten. Das Unternehmen beschäftigt rund 60 Mitarbeiter, im Gros Softwareentwickler, aber auch Akustik- und Elektronikentwickler, die sowohl für Teufel als auch für Raumfeld tätig sind. Der Sitz ist Berlin. 

Aber auch im klassischen Lautsprecherbau, in dem bis vor einiger Zeit noch die Überzeugung vorherrschte, dass nur noch marginale Verbesserungen bewährter Akustikkonzepte möglich seien, sehen wir, welche Klangverbesserungen mit digitalem Handwerkszeug erreicht werden können – also wieder mit einer Neukombination von Bausteinen. 

Raumfeld hat von Anfang an auf Open Source und offene Standards gesetzt. Warum?
Weil es Ressourcen spart und Kompatibilitäten schafft. Sicherlich geben wir nicht alles weiter, es gibt proprietäre, also herstellerspezifische Komponenten, damit sich nicht jeder ein Raumfeld-System bauen kann, aber viele Entwicklungen aus dem Raumfeld-Team spielen wir unter einschlägigen Lizenzen zurück. Es ist ein Geben und Nehmen.

Sie entwickeln Ihre Produkte mit der Agile-Development-Methode. Inwiefern?
Der Innovationsprozess selbst ist lang und iterativ. Dabei wird agil gearbeitet, das heißt, wir entwickeln kontinuierlich und prüfen dabei fortlaufend: Wie kommen wir unseren Zielen näher, müssen wir dafür etwas ändern? Agile Development kommt ja aus der Softwareentwicklung und wir nutzen es inzwischen auch in der Hardwareentwicklung. Das führt dazu, dass unser Produktmanagement kein Pflichtenheft mehr Schritt für Schritt abarbeitet – es wird nicht mehr gebraucht.

Wie lässt sich das im Alltag umsetzen?
Im Alltag ist das spannend, neu und anders, und diese Vorgehensweise bietet viele Chancen. In unserem Haus gibt es beispielsweise die Ansage, dass Produkte gemeinschaftlich konzipiert werden und jeder eigene Produktideen in den Ring werfen kann. Kollegen prüfen sie dann auf Wirtschaftlichkeit und Sinnhaftigkeit. Im nächsten Geschäftsjahr wird Raumfeld zum ersten Mal ohne klassische Produktmanager agieren, die in ihrem Kämmerchen vor sich hin konzipieren. Das ist in der Hardwarewelt noch nicht so üblich.

Was jetzt schon gut funktioniert: Jeden Freitag gibt es bei uns ein Stand-up-Meeting, wo sich die Kollegen treffen und Ideen zuwerfen. Die Laptops sind zugeklappt, die Stifte weggelegt und man nimmt sich gemeinsam Zeit für Ideen, wie wir uns weiterentwickeln können. Parallel nehmen Technologiepartnerschaften eine immer größere Rolle in unseren Entwicklungsprozessen ein, sodass wir an vielen Stellen auf der Arbeit Dritter aufbauen können. Das reicht von einer engen Zusammenarbeit mit Halbleiterherstellern bis hin zu Kooperationen mit Google, Apple oder Amazon.

Innovationen sind nur möglich, indem man fortlaufend hinterfragt, ob die bewährten Methoden noch die richtigen sind, um Produkte im notwendigen Rahmen von Zeit, Qualität und Kosten auf den Markt zu bringen.
Simon Schiessl (Foto: Raumfeld)

Simon Schiessl

Director Innovation & Development, Raumfeld

Vor welchen Herausforderungen stehen Sie ganz konkret in Ihrer Forschungsarbeit?
Als Entwickler von softwarebasierten Produkten fordert uns die zunehmende Komplexität, die Interdependenz und auch ein sich fortlaufend veränderndes Technologie- und Marktumfeld enorm heraus. Ganz konkret haben unsere bisherigen zwei Generationen Raumfeld-Lautsprecher zwei verschiedene Chips – und da ist es die Kunst, neue Features gleich für beide Plattformen zu entwickeln. Auch wenn die neue Plattform mächtiger ist als die alte, müssen wir die neuen Features auch auf der älteren Plattform zum Laufen bringen. Bislang schaffen wir diesen Spagat: Unsere Raumfeld-Lautsprecher der ersten Stunde sind noch voll kompatibel mit unseren aktuellen Modellen.

Aber das wird nicht so bleiben?
Die fortlaufende Softwareentwicklung für ein Produkt, das bereits seit Jahren im Markt ist und mit immer mehr Funktionen nachgerüstet wird, lässt sich nicht beliebig skalieren, irgendwann wird die ältere Plattform ihre Grenzen erreichen. Funktionen, die viel Rechenleistung beanspruchen, können dann nicht mehr dargestellt werden. Und die Vernetzung unserer Produkte bringt noch eine weitere Herausforderung mit sich: Wir müssen die Kompatibilität mit zahlreichen Drittprodukten sicherstellen – von WLAN-Routern über Smartphones bis hin zu Fernsehern. Daran hat unser Kundenservice sehr zu knabbern. Wenn der Raumfeld-Lautsprecher nicht funktioniert, kann das Problem auch daran liegen, dass etwas am WLAN-Access-Point nicht funktioniert. Wir hatten den Fall, dass ein WLAN-Router den mit ihm verbundenen Geräten verboten hat, miteinander zu kommunizieren – infolgedessen durften auch unsere Lautsprecher nicht parallel Musik abspielen. Da liefen bei uns die Telefone heiß, bis unser Kundenservice herausbekommen hat, was überhaupt das Problem ist, und sich der Hersteller des WLAN-Routers daraufhin bereit erklärt hat, dieses Feature zu deaktivieren. Einige Wettbewerber, vor allem auch globale Konzerne, begegnen diesem Problem dadurch, dass sie ihre Connected-Audio-Produktreihen regelmäßig komplett auswechseln. Ein vor einem Jahr gekaufter Lautsprecher landet dann einfach auf dem Abstellgleis.

Im Vergleich dazu wirkt die Hardwareentwicklung eines vernetzten Lautsprechers relativ trivial ...
... weshalb wir auch versuchen, die Entwicklung von Software und Hardware immer mehr voneinander zu entkoppeln. Neben Produktinnovation gibt es noch eine andere Ebene, die für uns fast ebenso wichtig ist: Innovation in Prozess und Organisation. Wir sind in den letzten Jahren massiv gewachsen, auch international. Dem lässt sich nur begegnen, indem man fortlaufend hinterfragt, ob die bewährten Methoden noch die richtigen sind, um Produkte im notwendigen Rahmen von Zeit, Qualität und Kosten auf den Markt zu bringen.

Ihr Standort ist Berlin. Wie halten Sie Ihre Mitarbeiter?
Insgesamt sind wir in der angenehmen Lage, eine Start-up-Kultur mit der Stabilität eines etablierten Mittelständlers zu verbinden. Es hat große Vorteile, mit dem gesamten Entwicklungsteam im Herzen von Berlin angesiedelt zu sein, aber auch einige Nachteile. Wir profitieren natürlich von der Attraktivität und der Vitalität des Technologiestandorts Berlin – gerade auch, was die Softwareentwicklung betrifft. Das heißt aber natürlich auch, dass wir im Wettbewerb um die besten Entwickler stehen. In der Vergangenheit standen wir in Berlin auch vor der Herausforderung, genügend Softwareentwickler für eingebettete Systeme zu rekrutieren. Hardwarenahe Entwickler und C++-Programmierer sind in Mitteleuropa mittlerweile Mangelware. Wir versuchen, diese Hürde zu nehmen, indem wir unsere Softwarearchitektur sukzessive auf alternative Frameworks ausweiten.