Foto: Screenshot Stifterverband
Foto: Screenshot Stifterverband

Millionen für die Wissenschaft

Wissenschaftsförderung vor 100 Jahren: In den ersten Jahren nach der Gründung flossen die vom Stifterverband eingeworbenen Mittel vor allem in Forschungsstipendien und große Expeditionen.

Während der Weimarer Republik wehte im Stifterverband und in der Notgemeinschaft ein preußischer Wind. Kein Wunder, denn Präsident der Notgemeinschaft war bis 1934 Friedrich Schmidt-Ott, der seine preußischen Prägungen pflegte und beibehielt, ab 1935 auch als Vorsitzender im Stifterverband.

Alsbald nach der Gründung führte Schmidt-Ott die Geschäfte der Notgemeinschaft sogar vom Berliner Stadtschloss aus, wo er in der zweiten Etage sein Büro einrichtete und weitere Räume mietete. Der frühere Wohn- und Herrschaftssitz der Hohenzollern hatte ab 1918 mehr oder weniger leer gestanden. Nun lud Schmidt-Ott in den früheren großen Kinderspielsaal der Prinzen zu parlamentarischen Abenden ein. Hauptausschuss und Kommissionen der Notgemeinschaft trafen sich dort für ihre Sitzungen. Auch die Verwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zog 1921 ins Schloss ein. So war man Tür an Tür, was Vorteile brachte. Die Ortswahl entsprach aber auch dem damaligen Verständnis, dass Wissenschaft nun die Macht ersetzt beziehungsweise hervorbringt.

Foto: Gemeinfrei/Unknown: [Berlin Nationaldenkmal Kaiser Wilhelm mit Schloss 1900]( https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Berlin_Nationaldenkmal_Kaiser_Wilhelm_mit_Schloss_1900.jpg), via Wikimedia Commons
Gemeinfrei/Unknown: Berlin Nationaldenkmal Kaiser Wilhelm mit Schloss 1900, via Wikimedia Commons
Im Berliner Schloss - hier ein Bild um 1900 - hatte der Stifterverband in den 1920er-Jahren seine ersten Büroräume.

Neue Wissenschaftsförderung

Es ist damit auch nicht verwunderlich, dass die preußische Tradition der Wissenschaftsförderung, die sich an Exzellenz orientierte, auch in der Notgemeinschaft und im Stifterverband Anklang fand: Man konzentrierte die Mittel auf die exzellenten Köpfe. Beim Verteilen ersparte sich der Stifterverband in den Anfangsjahren einen eigenen Gutachterapparat und dockte sich diesbezüglich an die Notgemeinschaft an. Beide Partner installierten ein Peer-Review-Verfahren mit angesehenen Vertretern aus den akademischen Fächern, die berieten und vorschlugen, wer Förderung bekommen sollte. Die endgültige Entscheidung lag dann im Präsidium der Notgemeinschaft, also bei Friedrich Schmidt-Ott.

War damit letztendlich die Förderung des Stifterverbandes in den Anfängen die Förderung eines Autokraten? Jüngere Untersuchungen von Geschichtswissenschaftler Jochen Kirchhoff sprechen dagegen. Schmidt-Ott sei kein Autokrat gewesen, sondern habe bei Entscheidungen seine Ratgeber genutzt, erklärt Kirchhoff: „Die wissenschaftspolitischen Entscheidungswege in der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft verliefen in einem Netzwerk vielfältiger Abhängigkeiten, in denen dem Präsidenten Friedrich Schmidt-Ott aus systembedingten Gründen keine autokratische Stellung zukommen konnte.“

Das Reichsinnenministerium in der Weimarer Republik bewilligte der Notgemeinschaft im Oktober 1920 für das darauffolgende Jahr 20 Millionen Mark öffentliche Förderung für die Wissenschaft. Das war ein guter Anfang, doch das Geld reichte bei Weitem nicht aus, um der deutschen Wissenschaft ihren Forschungsalltag und vor allem auch ihre zukünftige Exzellenz zu sichern. Sieben Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, die den Stifterverband mitgegründet hatten, starteten zunächst allein einen großen Spendenaufruf „an alle deutschen Landwirte, Kaufleute, Gewerbetreibenden und Industriellen“. Ab Mai 1921 half dann auch der Stifterverband bei den Werbeaktivitäten mit. Der Aufruf brachte bis Ende 1921 erfreuliche 75 Millionen Mark ein, die der Stifterverband fortan verwaltete. 1922 war die Spendensumme dann auf fast 100 Millionen angestiegen, wobei der wahre Wert weitaus niedriger lag. Im Oktober 1921 war die Mark nur noch rund ein Hundertstel und im Oktober 1922 rund ein Tausendstel wert, verglichen mit der Mark zu Kriegsbeginn 1914.

Die Spendenmillionen blieben zunächst als Grundstock unangetastet. Lediglich die Erträge dieses „Spendentopfs“ verteilte der Stifterverband ab 1922. In jenem Jahr überwies er 2,4 Millionen Mark an die Notgemeinschaft. Eine Hälfte davon war speziell für die technischen Hochschulen bestimmt, damit sie endlich dringend benötigte Fachliteratur besorgen konnten. Die andere Hälfte floss in Forschungsstipendien, um Nachwuchswissenschaftlern aus verschiedenen Wissensgebieten die Habilitation zu ermöglichen, etwa dem Physiker und späteren Nobelpreisträger Werner Heisenberg. 1923 und 1924 gab es inflationsbedingt nur niedrige Zuschüsse. Ab 1925 zahlte der Stifterverband in besonderen Situationen auch Stammkapital aus.

Foto: Stifterverband-Archiv
Foto: Stifterverband-Archiv
Noch vor der Gründungssitzung des Stifterverbandes ging am 1. Dezember 1920 ein erster Aufruf raus, um Spenden für den Stifterverband zu gewinnen.

Voller Einsatz für den wissenschaftlichen Nachwuchs

Foto: Stifterverband-Archiv
Foto: Stifterverband-Archiv

„Stellen Sie sich vor, Sie hätten Werner Heisenberg fördern können.“ Der Stifterverband hat es getan – und erinnert in einer Anzeigenserie aus dem Jahr 2010 daran. 1925 war der spätere Nobelpreisträger Werner Heisenberg einer der ersten Wissenschaftler, die der Stifterverband unterstützte. Das Forschungsstipendium von monatlich 100 Mark war gut angelegt, denn einige Jahre später bekam Heisenberg für die Begründung der Quantenmechanik den Physiknobelpreis. Der Durchbruch zu seiner Quantentheorie gelang dem Wissenschaftler genau in der Zeit, als er Stipendiat des Stifterverbandes war – im Juni 1925 auf Helgoland. Die Nachwuchsförderung blieb stets fester Bestandteil der Verbandsarbeit. So brachte der Stifterverband dafür beispielsweise bereits im Jahr 1952 rund 367.000 Mark auf. Die Ausgabe der Stipendien erfolgte damals wie heute zum Teil über die Studienstiftung des Deutschen Volkes.

1925 fand dann ein zweiter Aufruf statt, weil die Spendenbereitschaft eingeschlafen war. Man warnte: „Bei der Verarmung des Mittelstandes ist der Nachwuchs einer neuen Generation wissenschaftlicher Forscher aufs Schwerste bedroht.“ Um dieses Problem zu lindern, bewilligte der Stifterverband umgehend für 100.000 Goldmark Forschungsstipendien – ein Stiftungsschwerpunkt, den der Verband bis in den Zweiten Weltkrieg hinein beibehielt. Förderung bekamen aber beispielsweise auch drei prestigeträchtige Expeditionen zur Vermessung des Südatlantiks, zur Erforschung eines Hochgebirges in Zentralasien und nach Grönland.

Der Stifterverband stellte für die deutsche Forschung bis 1941 insgesamt 3.781.000 Reichsmark bereit, die größtenteils an Naturwissenschaftler gingen. Nur 6 Prozent davon bekamen Geisteswissenschaftler, was sich ab 1949 ändern sollte. Die Notgemeinschaft verteilte ihre staatlichen Fördermillionen dagegen vorwiegend an die Geisteswissenschaften.

Auf Expedition

Forschergruppe um Willi Rickmer Rickmers (Foto: Archiv des Deutschen Alpenvereins, München)
Forschergruppe um Willi Rickmer Rickmers (Foto: Archiv des Deutschen Alpenvereins, München)

In den 1920er Jahren beteiligte sich die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft mit Unterstützung des Stifterverbandes an einigen spektakulären Expeditionen. Sie waren der Startpunkt für eine nunmehr 100 Jahre andauernde Reise des Stifterverbandes als Wissenschaftsförderer und Impulsgeber, der die Herausforderungen und Chancen des deutschen Bildungssystem kontinuierlich auslotet und sich für dessen Verbesserung einsetzt. Lesen Sie hier mehr über die prestigeträchtige Expeditionen. 

Der Stifterverband zur Zeit der Nationalsozialisten

Unter den Nationalsozialisten war die Notgemeinschaft, die sich ab 1929 immer öfter Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) nannte, früh gleichgeschaltet: Präsident Friedrich Schmidt-Ott war 1934 ersetzt worden, der Hauptausschuss bereits aufgelöst, auch die Mitglieder versammelten sich 1934 das letzte Mal und tagten erst wieder 1949. Mit dem Hitlerfreund und Physik-Nobelpreisträger Johannes Stark und ab 1936 dem SS-Mann und Chemiker Rudolf Mentzel übernahmen Nationalsozialisten das Ruder der DFG. 1937 wurde sie, vor allem was die Naturwissenschaften betraf, dem Reichsforschungsrat unterstellt, den Mentzel mitgegründet hatte. Ein Vorsitzender dieses Rates war Hermann Göring. So ist es wohl keine Überraschung, dass die DFG im Dritten Reich sogar schockierende menschenverachtende Forschung an Kriegsgefangenen und Lagerhäftlingen förderte, wie die Aufarbeitung der DFG mithilfe von Wissenschaftlern vor gut 20 Jahren mannigfaltig belegt.

Fritz Haber (Foto: gemeinfrei/The Nobel Foundation, [Fritz Haber]( https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Haber#/media/Datei:Fritz_Haber.png), via Wikimedia Commons
Fritz Haber (Foto: gemeinfrei/The Nobel Foundation, Fritz Haber, via Wikimedia Commons
Der Chemiker und spätere Nobelpreisträger Fritz Haber (Kaiser-Wilhelm- Gesellschaft) entwickelte zusammen mit Friedrich Schmidt-Ott 1920 die Idee der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft.

Die Rolle des Stifterverbandes in all dem ist dagegen nicht tiefgründig erforscht. Fest steht wohl, dass er seine Arbeit nach der Machtübernahme 1933 zunächst unabhängig von den Nationalsozialisten fortsetzte. Wobei jüdische Bankiers und auch der jüdische Chemie-Nobelpreisträger Fritz Haber den Vorstand verließen, ohne die er in der Weimarer Zeit undenkbar gewesen wäre.

Die Nationalsozialisten führten überhöhte Steuerauflagen für Spenden ein, was die Arbeit des Stifterverbandes schwächte. Auch aus Sicht des Wirtschaftshistorikers Hans Pohl ging die Talfahrt weiter: „Spätestens zu Beginn des Zweiten Weltkrieges war der Stifterverband nahezu bedeutungslos geworden, sowohl hinsichtlich seines finanziellen Aufkommens wie auch seiner Einflussnahme auf die Forschungspolitik.“ 

Was die Situation zugespitzt hatte: 1942 gründeten führende Industrielle die „Fördergemeinschaft der deutschen Industrie“, die 1943 und 1944 über 3,6 Millionen Reichsmark an Fördermitteln an die Wissenschaft verteilte. Der Historiker Winfried Schulze belegte: Die Industrie wollte Gewinne nicht mehr in Reichsschätze anlegen, sondern lieber einer zukunftsverheißenden Wissenschaft geben. Der Stifterverband war damals keine Alternative mehr aufgrund seiner ursprünglichen Nähe zur DFG, zudem besaß er nur noch wenig Durchsetzungskraft. Nach dem Krieg sollte dann das Restkapital der Fördergemeinschaft an den Stifterverband übergehen.

Lesen Sie hier, wie es mit dem Stifterverband nach dem Zweiten Weltkrieg weiterging.

100 Jahre Stifterverband

Illustration: Stifterverband
Illustration: Stifterverband

2020 feiert der Stifterverband Jubiläum. Begeben Sie sich hier auf MERTON in den kommenden Wochen gemeinsam mit uns auf Expedition durch 100 Jahre Stifterverband - von der Vermessung des Atlantiks über die wiederaufgebauten Hochschulen und Forschungseinrichtungen nach dem zweiten Weltkrieg, über die Studentenproteste und die wiedervereinte Wissenschaftslandschaft bis hin zum digitalen Bildungsneuland.

Weitere Informationen zum Jubiläum und den geplanten Veranstaltungen finden Sie auch unter www.stifterverband2020.de