Blick auf das europäische Forschungslabor Columbus (Foto: NASA)

Mit Alex im All forschen

Bislang forschen erst wenige deutsche Unternehmen im All. Das könnte sich bald ändern. In den USA boomt die kommerzielle Raumfahrt bereits und die freie Fläche für anwendungsnahe Wissenschaft auf der ISS wächst.

400 Kilometer über der Erde ist jeder Quadratzentimeter Laborfläche wertvoll und verplant. Das weiß Astronaut Alexander Gerst nur zu gut, wenn er sich durch das vollgepackte Columbus-Labor schlängelt, Europas Hauptbeitrag zum internationalen Forschungsprojekt ISS. Seit mehr als zehn Jahren dreht das Weltraumlabor nun seine Kreise um die Erde. Bis Dezember betreut Gerst dort 67 europäische Experimente auf seiner Mission „Horizons“. 41 davon stammen aus Deutschland. Das Themenspektrum ist breit und reicht von Industrie 4.0 über Faser- und Materialforschung bis hin zur Immunologie- und Zellforschung. 

Ein Versuchsobjekt in Gersts Experimentierschränken tanzt dabei aus der Reihe: die weiße Kugel CIMON, die etwas größer als ein Fußball ist. Sie kann den Astronauten durchs Labor folgen, wenn man sie lässt. Mithilfe von zwölf Ventilatoren und allerlei Sensorik düst der kleine Kugelroboter autonom durch die Schwerelosigkeit, immer an Alexander Gersts Seite. Er ist ein fliegender Assistent, der, mit künstlicher Intelligenz ausgestattet, sehen, hören, verstehen, sprechen und sogar Gersts Gesicht erkennen kann. Volker Schmid, der die Experimente der Horizons-Mission für das Raumfahrtmanagement des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) betreut, erklärt die Hintergründe: „Mit CIMON wird sozusagen ein fliegendes Gehirn entwickelt, das autonom agieren kann und zukünftig mit Astronauten zusammenarbeiten soll.“

CIMON: Astronauten-Assistenzsystem

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Trailer: Das Projekt CIMON - der intelligente Astronautenassistent

CIMON könnte bald astronautische Routineaufgaben übernehmen, wie Experimente dokumentieren oder Inventarlisten erstellen. Die smarte Kugel kennt sich auch mit Anleitungen zu wissenschaftlichen Experimenten und Reparaturen aus, die sie auf Wunsch auf ihrem kleinen Bildschirm abbildet und erklärt – während Alexander Gerst die Hände für seine Versuche frei hat. Es ist ein interessantes Projekt, das vom DLR-Raumfahrtmanagement sowie über Eigenanteile aus der Industrie finanziert wird. Airbus entwickelt am Standort Bremen als Hauptauftragnehmer die Navigation von CIMON. IBM schärft das Sprachverständnis der fliegenden Kugel mithilfe von Watson.

Mit CIMON wird ein fliegendes Gehirn entwickelt, das autonom agieren kann und zukünftig mit Astronauten zusammenarbeiten soll.
Volker Schmid (Foto: DLR/E. Mittelbach)

Volker Schmid, DLR

Darüber hinaus ist der fliegende Assistent ein Beweis dafür, dass anwendungsnahe Forschung im All für Unternehmen immer interessanter wird. Denn der Einsatz von CIMON ist längst nicht nur für die Raumfahrt geplant. Das smarte System könnte genauso gut älteren Menschen im eigenen Wohnzimmer, Schülern im Klassenraum, Controllern in Atomkraftwerken oder Ärzten auf Intensivstationen assistieren.

Aus Sicht der Luft- und Raumfahrtingenieurin Claudia Kessler (siehe Kasten: Claudia Kessler im Durchfechter-Podcast) steht die Raumfahrt derzeit weltweit vor einem Wandel: „Sie ist an einem Punkt angelangt, an dem die Luftfahrt auch irgendwann einmal war: raus aus der reinen Forschung, rein in die Nutzung.“ In einigen mit dem All verbundenen Bereichen sei dies bekanntermaßen heute schon Alltag. Kessler nennt die Kommunikation und Navigation als Beispiele. „Und so wird es auch im nächsten Schritt in der astronautischen Raumfahrt sein“, ist sich Raumfahrtexpertin Kessler sicher.

Aktuell wird die ISS weitestgehend staatlich betrieben. Es gibt aber seit Langem das Bestreben, Flächen der Raumstation häufiger als bisher für private Forschung freizugeben. „Diese Pläne gibt es eigentlich bei allen Partnern der ISS – in Russland, Japan, Kanada, Europa und vor allem in den USA“, sagt Kessler. Über Programme riefen diese Länder die Industrie zu Experimenten in der Schwerelosigkeit auf. Damit wollten die ISS-Betreiber bei Wirtschaftsakteuren den Blick öffnen, die Raumstation wie ein Labor am Boden zu sehen, öffentliche Förderung inbegriffen.

Ohne Frage – die Kommerzialisierung der Raumfahrt boomt, vor allem in den USA, wo sich private Raumfahrtunternehmen gerade im Raketenbau ein Wettrennen liefern. Interessant ist, dass Tech-Giganten wie Tesla-Entwickler Elon Musk und Amazon-Gründer Jeff Bezos sich als Weltraumpioniere verstehen und Raumfahrt neu denken wollen. Wiederverwendbare Raketenteile sind da bereits vorzeigbare Innovationen, die voraussichtlich die Transportkosten zur ISS zukünftig deutlich senken werden.

Und das wäre gut für die Wissenschaft, denn 70 Prozent der Forschungskosten im All entfallen normalerweise alleine auf den Transport. Auch wenn der durch neue Anbieter zukünftig günstiger werde, bleibe dieser Kostenanteil ohne öffentliche Förderung für die breite Wirtschaft dennoch nahezu unerschwinglich, glaubt DLR-Mitarbeiter Volker Schmid: „Wenn kleine Firmen für jedes Kilogramm Equipment selbst zahlen müssten, könnten sie sich das kaum leisten.“

Durchfechter: Claudia Kessler

Illustration: Graphorama/ iStock
Claudia Kessler

Wann schickt Deutschland endlich die erste Frau ins All? Claudia Kessler fragt sich das schon seit Jahrzehnten. Die All-begeisterte Luft- und Raumfahrtingenieurin will nicht mehr länger warten: Deshalb gründete sie die Initiative „Die Astronautin“, um die erste Deutsche mit einer privaten Mission ins All zu schicken. Trotz aller Widerstände, von denen sie uns in der elften Episode des Durchfechter-Podcasts erzählt.

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In den USA gibt es bereits Pläne für größere kommerzielle Forschungsmodule auf der ISS. Selbst ein Rückzug der NASA aus dem US-amerikanischen Bereich der ISS ist im Gespräch. Volker Schmid bleibt skeptisch: „Ob und wie das funktionieren soll, gerade im Hinblick auf die enormen Kosten, wird sich zeigen.“ Die Dynamik, die schon jetzt in der Übergangsphase stecke, sei aber beeindruckend. Und die werde sicherlich auf Europa abstrahlen.

Ein Vorbote ist die europäische Forschungsplattform Bartolomeo, ein Balkon mit Roboterarm, der 2019 außen an das Columbus-Labor befestigt werden soll und neuen Raum bietet für Erdbeobachtungen, Klimagasmessungen, Triebwerks- oder Antennentests. Das Angebot richtet sich explizit an die Wirtschaft, Institute und Hochschulen. Bei der öffentlichen Vorstellung von Bartolomeo im April erklärte Akos Hegyi, Chef des Bereichs ISS Services bei Airbus, es sei an der Zeit, die Wirtschaftszone der Erde auf die niedrigen Umlaufbahnen auszudehnen. Sein Arbeitgeber will die Plattform auf eigene Kosten in Partnerschaft mit der European Space Agency (ESA) betreiben. Airbus baut sie derzeit in Eigenleistung am Standort Bremen und lässt sich das Vorhaben bereits 20 Millionen Euro kosten.

Im Prinzip wären viele der anwendungsnahen Experimente, die auf der neuen ISS-Außenplattform stattfinden sollen, auch mithilfe von Satelliten machbar. Airbus wirbt bereits damit, diesen Service mit Bartolomeo günstiger anbieten zu können und vor allem ohne lange Wartezeiten.

Früher erforderte Raumfahrtforschung eine kostenintensive Betreuung im Kontrollzentrum, die im digitalen Zeitalter für viele Experimente so nicht mehr nötig ist. Was mit Zellen, Flüssigkeiten oder Gasen gerade in Versuchen an Bord der ISS passiert, lässt sich heute vom Laptop aus steuern und verfolgen. Genau diesen Service bietet das Forschungsangebot ICE Cubes seit diesem Jahr auch für das Columbus-Labor an: Wer auf der ISS forschen will, kann einen oder mehrere genormte Würfel mieten, jeweils mit einem Liter Volumen.

Was darin an Versuchsequipment installiert wird, liegt bei den Mietern selbst. Sie müssen die Hardware selbst einbauen, werden dabei aber vom ICE Cube Service unterstützt. Je nach Komplexität des Experimentaufbaus im Inneren der ICE Cubes sind sie nach rund einem Jahr fertig zum Start zur ISS.

Interessant sind die ICE-Cubes-Versuche vor allem für Hochschulen und Firmen, aber auch für kleinere Nationen, die sich selbst keine Raumfahrtinfrastruktur leisten können. Bislang sind wenige Würfel gebucht, das Forschungsangebot läuft erst an und ist auch in der deutschen Forschungslandschaft und Industrie bislang wenig sichtbar. Alexander Gerst installierte die ersten gebuchten ICE Cubes im Juni im Columbus-Labor.

Entscheider haben das All noch nicht auf dem Schirm

Volker Schmid vom DLR glaubt, dass sich viele Innovatoren und Entscheider in der deutschen Wirtschaft wahrscheinlich noch gar nicht mit der Frage auseinandergesetzt haben, wie eigene Produkte oder Geschäftsideen von Forschung im All profitieren könnten. Das sei ein Öffnungsprozess, der in den vergangenen Jahren in Europa erst begonnen habe, aber nun deutlich an Fahrt aufnehme – dank vieler Initiativen vom DLR, der ESA, anderer Raumfahrtagenturen und der Business Incubator Centres (BICs).

Auch bei den Parabelflügen gebe es schon einige kommerzielle Experimente mehr als noch vor einigen Jahren, so Schmid: „Sehr viel von dem, was später auf die ISS kommt, wird auf solchen Flügen oder auf Höhenforschungsraketen mit acht bis zwölf Minuten Schwerelosigkeit vorher getestet.“ So könne man schon erkennen, ob die Ideen überhaupt eine Chance haben und welche Trends sich im Versuchsansatz möglicherweise abzeichnen.

Mit der Forschung im All klein anfangen, das können auch Kinder – Astro-Alex sei Dank! Gerst sammelte vor seinem Abflug Experimentierideen von Kindern, die „Die Sendung mit der Maus“ schauen. Jetzt lautet ein kniffeliges Maus-Experiment für Alexander Gerst: Kann man auf der ISS eine mit Luft angetriebene Minirakete fliegen lassen? Astro-Alex wird es in seiner freien Zeit im Columbus-Labor testen: mit einer Plastikspitze als Rakete, die er mit einer zerkleinerten Brausetablette und Wasser füllt, damit sich Sprudel als Treibstoff bildet. Der Astronaut will auch testen, ob man in der Schwerelosigkeit mit Schwimmbewegungen vorwärtskommt.