Satellit - Erde
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New-Galactic-Space-Race

Glasfaser? Schnee von gestern! Ins Internet bringt uns künftig eine Flotte von Minisatelliten, meint der Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky. Ein Gespräch über die Privatisierung technischer Großprojekte, den Wandel in der Gesundheitsbranche und die Notwendigkeit, Gelerntes wieder zu vergessen.

Sie kritisieren die „Digitale Strategie 2025“ des Bundeswirtschaftsministers.
Es ist ja gut, wenn das Thema Digitale Innovation von der Regierung wahrgenommen wird. Aber der geplante Ausbau der Breitbandversorgung durch ein breit verfügbares Glasfasernetz ist eine veraltete Idee, die sich aus 20 Jahre alten Technologievorstellungen speist. Damals wäre flächendeckender Glasfaserausbau sinnvoll gewesen. Heute ist es eine Investition in die Vergangenheit. Die Wahrscheinlichkeit, dass im Jahr 2025 der Bedarf an Breitbandinternetzugang durch Glasfaserleitungen gedeckt werden kann, geht gegen Null. Und dafür will der Bundeswirtschaftsminister bis zum Jahr 2025 etwa 100 Milliarden Euro ausgeben. Dies ist umso tragischer, weil die Frage, wie digitalkompetent die deutsche Wirtschaft in den kommenden Monaten werden wird, wesentlich darüber entscheidet, ob wir in den kommenden Jahren einen steigenden oder sinkenden Lebensstandard erleben werden. Wir müssen uns heute in Deutschland tatsächlich auch die Frage stellen, ob wir weiter nur ständig denen hinterher rennen wollen, die tatsächlich Zukunft gestalten.

Was entwickelt sich technologisch Neues, das die Bundesregierung nicht berücksichtigt?
Die Breitbandinternetversorgung kann 2025 weltweit über Satelliten in mittlerer Umlaufbahn realisiert werden. Nicht nur Firmen wie Google, Facebook oder Qualcomm arbeiten jetzt daran, Mini-Satelliten in den niederen Orbit zu schicken. Die weltgrößten Technologieunternehmen folgen derzeit dieser neuen fundamentalen Strategie: Mark Zuckerberg und Elon Musk, der Gründer von Tesla Systems und dem privaten Raumfahrtunternehmen SpaceX, haben angekündigt, dass sie alle Internetdienste auf diese Weise in die dritte und vierte Welt bringen möchten. So könnten die drei Milliarden Menschen, die noch keinen Zugang zu digitalen Daten, und damit zu der zukünftig wichtigsten Infrastruktur überhaupt haben, versorgt werden. Der frühere Google-Stratege Greg Wyler will mit seinen Investoren Richard Branson von Virgin und Paul Jacobs, dem Chairman von Qualcomm, eine Flotte von 648 Mini-Satelliten starten und damit billiges Internet in jeden Winkel der Erde tragen. Die ersten zwölf Mini-Satelliten sind schon auf einer Umlaufbahn. Sie versorgen derzeit kleine Inselstaaten und Kreuzfahrtschiffe. Mit einer Flotte von etwa 650 Minisatelliten lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit die komplette Erde mit billigem Internet versorgen.

Das ermöglicht dann auch neue Geschäftsmodelle.
Die Internetversorgung aus dem niederen Orbit wird weltweit zu einer Veränderung führen, die die Dimensionen des deutschen Mauerfalls weit überschreitet. Sie wird der weltweiten Wirtschaft neue Absatzmärkte bringen – genau wie damals beim Zusammenbruch des Ostblocks. Nur dass es diesmal nicht hunderte Millionen Menschen betrifft, sondern etwa drei Milliarden.

Jetzt die typisch deutsche Frage: Ist das alles realistisch?
Dieses New-Galactic-Space-Race ist aktuell vermutlich die größte Vision der internationalen Technologieszene. Wenn sie nicht binnen zehn, zwölf Jahren umgesetzt wird, dann eben binnen zwanzig Jahren. Und sie wird dabei die Internetversorgung der entwickelten Regionen ebenfalls weiter revolutionieren. Eine deutsche Digitalstrategie wäre hier gut beraten, wenn sie die geplanten 100 Milliarden einsetzt, um die deutschen Regionen möglichst schnell an diese neue Technologie anzuschließen. 

Internet aus dem All

Mit einer Flotte von etwa 650 Minisatelliten lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit die komplette Erde mit billigem Internet versorgen.
Sven Gábor Jánszky
Sven Gábor Jánszky (Foto: Andreas Lander)

Sven Gábor Jánszky - 2b AHEAD ThinkTank

Sven Gábor Jánszky ist Zukunftsforscher und CEO des größten deutschen Zukunftsinstituts „2b AHEAD ThinkTank“. Die Studien und Trendanalysen seines Instituts bilden die Basis für die Zukunftsstrategien vieler Unternehmen.

Was sollte denn der Bundeswirtschaftsminister konkret tun oder anregen?
Nehmt das Geld, baut in der EU einen europäischen Player auf und startet eine europäische Satellitenflotte zur Internetversorgung. Es geht jetzt auch darum, gemeinsam mit der deutschen Wirtschaft zu verhindern, dass einige wenige US-Konzerne nicht nur die Macht über die digitalen Inhalte, sondern ebenso die Macht über die Verbreitungswege haben werden.

Die Privatisierung technischer Großprojekte wie der Raumfahrt berührt bisherige Aktions- und Hoheitsfelder der Großmächte. Die USA haben öffentlich verlautbaren lassen, dass ihnen der gesamte Weltraum „gehört“. Das heißt auch, dass sie sich das Recht nehmen, solche Satelliten im Zweifelsfall zu kapern.
Wir müssen in dieser Welt sehr genau aufpassen, dass die Infrastrukturen, von denen wir abhängig sind, nicht in die Hand von einigen wenigen fallen, von denen wir nicht genau wissen, ob sie gemeinwohlorientiert handeln werden. Und was die Satellitenflotten angeht, wird der Platz da oben, auf mittlerer Umlaufbahn, schlichtweg physisch begrenzt sein. Private IT-Firmen aus den USA werden mit neuen Technologien weitere Monopolstrukturen aufbauen. Anstatt sich in zehn oder zwanzig Jahren bei Investoren wie Herrn Wyler anzustellen, brauchen wir sehr schnell eine Debatte in Europa, ob und wie wir es schaffen könnten, eigene kompetente Strukturen aufzubauen.

Sie fordern ein gemeinsames, europäisches Projekt ähnlich wie bei der Erschaffung von Airbus.
Damals hieß es zu Recht, wir bräuchten dringend ein europäisches Gegengewicht zu Boeing. Und als das GPS-Navigationssystem aufkam, gab es eine ähnliche Debatte. Damals kam die europäische Reaktion fast einen Tick zu langsam. Immerhin ist mit dem europäischen Galileo-System eine technische Alternative zu GPS vorhanden. Das trägt seitdem dazu bei, dass die Betreiber von GPS ihre Bedingungen für weltweite Nutzer einigermaßen komfortabel halten.

Sehen Sie das nicht alles zu kritisch?
Wir sprechen hier über die fehlende digitale Souveränität Deutschlands und Europas. Im Moment sind Kommunikationsleitungen und Funknetze über staatliche Beteiligungen an den großen Telekommunikationsdienstleistern zum großen Teil noch in öffentlicher Hand. Das wird sich mit den neuen Technologien ändern. Und es gibt doch einen guten Grund, warum zum Beispiel das Straßen- oder das Stromnetz in Deutschland nicht vollständig in privater Hand ist – auch weil mir als Bürger niemand verbieten darf, von A nach B zu gelangen.

Wie finanzieren sich die neuen Großprojekte aus Amerika?
Es gibt Einzelpersonen, die jetzt so reich und mächtig sind, dass sie Großprojekte in Eigenregie anstoßen. Elon Musk oder Mark Zuckerberg haben es mehrfach bewiesen, dass sie es als Unternehmer packen, die größten Visionen auch gegen Widerstände in die Realität umzusetzen. Wenn man es schafft, für seine Projekte diese großen IT-Namen zu begeistern, stellen sich auch die großen Investoren wieder in der Schlange an.

Sie beraten die deutsche Industrie, um disruptiven Wandel und Regelbrüche im eigenen Business schneller zu erkennen. Was beobachten Sie aktuell zum Beispiel in der Gesundheitsbranche?
Durch body tracking und digital health kommen wir in die Situation, dass Körperdaten permanent in Echtzeit erhoben, analysiert und ausgewertet werden können. Die alte Grundlogik des Gesundheitssystems, dass jemand entweder zu hundert Prozent „gesund“ sei oder nach ärztlicher Diagnose offiziell zu hundert Prozent „krank“, bricht zusammen. Es werden intelligente, fluide Prognosen möglich. Wenn Menschen in Echtzeit die Daten über ihren Körper in der Hand haben, werden sie glauben: „Schau an, ich bin heute zu 19 Prozent krank.“ Gleichzeitig werden wir über Apps mit Biofeedbacksystemen vermittelt bekommen: „Wenn ich das und das esse – also diesen oder jenen Wirkstoff zu mir nehme –, werde ich morgen nur noch zu 16 Prozent krank sein."

Da kommt die Wirtschaft ins Spiel ...
Welche Mittel werden die Menschen denn nutzen, um von 19 auf 16 Prozent zu kommen?  Werden sie sich weiter Pillen und Medikamente aus der Apotheke einwerfen oder schlicht Nahrungsmittel benutzen? Zum Beispiel Essen, in das man durch 3D-Magnetdrucker Substanzen individualisiert hinein drucken kann. All diese Dinge wird es technologisch geben. Ich beobachte bereits, dass die großen Nahrungsmittelkonzerne mit ihren Entwicklungslaboren sehr daran interessiert sind, die Chance zu nutzen, hier in den Pharma-Apotheken und -Ärztemarkt einzudringen. Gleichzeitig stellen sich die großen Player im deutschen Gesundheitswesen taub. Da können sich viele nicht vorstellen, dass demnächst der ganz große Regelbruch in ihrer Branche kommen wird.

Forschungsgipfel 2016

Logo Forschungsgipfel 2016
(Foto: Stifterverband)

Das zentrale Thema auf dem Forschungsgipfel 2016 ist „Digitalisierung“. Dabei spielen auch Aspekte wie gesellschaftliche und technologische Rahmenbedingungen eine Rolle. Der Forschungs­gipfel bringt Führungs­persönlich­keiten und Fach­experten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivil­gesellschaft zusammen, um gemeinsam Lösungen dafür zu entwickeln, wie die Digitalisierung für den Innovations­standort Deutschland genutzt werden soll.

Der Forschungsgipfel 2016 findet am 12. April 2016 in Berlin statt. Der Stifter­verband wird die Veran­staltung per Livestream ins Web übertragen. 

Alles zum Forschungsgipfel 2016

Wie kann man sich erklären, dass Manager in etablierten Branchen oft viel zu spät verstehen, wie radikal sich das eigene Geschäft durch die Digitalisierung verändern wird?
Zum einen können wir uns Entwicklungen in exponenzieller Geschwindigkeit, die sich über einen bestimmten Zeitraum permanent weiter verdoppeln, geistig selten klar vorstellen. Dann leben wir in einer Management-Kultur, in der antrainiert wurde, eine Entscheidung erst dann zu treffen, wenn man ihre tatsächliche Tragweite erfasst hat und zahlenbasiert schließen kann, was daraus folgt. Deswegen lassen sich Geschäftsführer immer wieder irgendwelche „Business-Cases“ vorlegen, die vorne und hinten nicht stimmen. Man bekommt bei einem Digitalisierungsprojekt keine gesicherte Garantie mehr für eine wachsende Rendite in zwei oder drei Jahren.   

Spielt es eine Rolle, dass in etablierten Branchen wie „Gesundheit“ oder „Finanzen“ auch mit zum Teil fragwürdigen Geschäftsmodellen über Jahrzehnte routiniert hohe Gewinne gemacht werden konnten? Sie sprechen in Ihren Vorträgen offen über „Zunftstrukturen im Gesundheitswesen“. Und da weiß heutzutage ja auch jeder, was gemeint ist. Also: Wieso soll ich aktiv etwas ändern, wenn das alles über so viele Jahre so lukrativ gewesen ist – für mich und für die Institution, für die ich arbeite?
Viele Entscheider haben 30, manchmal 40 Jahre ihres Lebens, ihr Geld und ihr Weltbild in das alte Geschäftsmodell hinein gesteckt. Denen jetzt zu sagen: „Jetzt wird alles anders“, da gibt es natürlich eine Abwehr. Das ist der Effekt beim sogenannten „Regelbruch“: Die Menschen glauben, die Regeln, die sie verinnerlicht haben, wären wirklich und nicht von ihnen selbst (mit-)konstruiert. Gleichzeitig lautet jetzt die neue Regel im digitalisierten Innovationsmanagement: „Schiebe alle alten Regeln beiseite. Vergiss sie einfach. Und ersetze sie durch neue.“

Vergiss, was Du gelernt hast

Aber glaube nicht daran. Denn alles verändert sich schon wieder.
Exakt. Die wichtigste Regel im Management heute, ist Menschen zu befähigen, das Gelernte zu vergessen. Das hatte uns niemand beigebracht.

Wird sich in einer digitalisierten Gesundheits- oder Bankenbranche wieder nur ein einzelner IT-Player mit einer durchschlagenden Idee durchsetzen, so wie zum Beispiel Uber mit seiner Taxi App oder Airbnb?
Es wird natürlich immer einer der Größte werden, aber das heißt nicht, dass nicht auch andere gute Geschäfte mit vielfältigen Kundensegmenten bedienen können. In San Francisco ist jetzt der Uber-Konkurrent Lyft sehr beliebt. Das ist doch auch nur eine App. Gerade in Deutschland höre ich aber in den Chefetagen oft das Argument: „Wir können Google sowieso nicht mehr einholen.“ Damit wird schlichtweg nur gesagt: „Wir trauen uns nicht“ und „Wir wissen nicht wie es geht.“ Gleichzeitig sind die Chancen, bei den neuen Innovationen mitzumischen, größer denn je.

Wieso?
Dass Firmen wie Google und Facebook in diesem Moment auf so vielen Daten sitzen und damit relativ neue Geschäftsmodelle mit Gewinn bedienen, ist schön für sie. Aber es ist keine Lebensversicherung. Der neue Markt, der überhaupt noch nicht erschlossen ist, ist der Markt mit Echtzeitdaten. Echtzeitdaten sind per definitionem ja noch gar nicht da: „Wie werde ich mich heute Abend fühlen?“ Das weiß keiner. Die Daten, die in der Zukunft wichtig sein werden, werden also erst in der Zukunft anfallen. Da muss man natürlich einen hohen Betrag in die Hand nehmen und IT- Algorithmen und Logarithmen-Kompetenz aufbauen. Dabei könnte auch der deutsche Mittelstand sehr schöne Geschäftsmodelle entwickeln, wenn man das endlich ernst nehmen würde.

Welche neuen digitalen Unternehmen beobachten Sie in Deutschland, die das schon tun?
Die Firma Blue Yonder, eine Ausgründung von Algorithmen-Spezialisten des KIT in Karlsruhe, hat angefangen, für den stationären Handel Prognosen zu erstellen, in welchen Läden welche Produkte in zwei, drei Tagen benötigt werden. Das sind echte, valide Prognosen, die aus der Analyse cloudbasierter Daten entstehen, zum Beispiel des aktuellen Kaufverhaltens, der Wetterdaten, Urlaubstermine und Reisedaten im Land und so weiter. Damit erzielen sie bereits ziemlich treffsichere Ergebnisse. Sie können mit vergleichbaren Technologien bald bestimmen, welche Mitarbeiter Sie wann genau an welchen komplexen Orten – etwa an einem Großflughafen – benötigen werden.    

Was raten Sie „alten Tankern“, die verstanden haben, dass sie mehr Basisinnovationen und Rulebreaker benötigen. Da bemühen sich ja manche intern darum, eine Ausgründung, einen innovativen Hub hinzukriegen, der sogar das eigene Geschäftsmodell digital angreifen soll. Siehe das kürzlich gegründete VW Digital Lab.
Große Tanker müssen es hinbekommen, in den Köpfen ihrer Führungskräfte und Mitarbeiter dieses gängige Bild vom „Tanker“ in das Bild einer „Flotte“ umzuwandeln. Einen Tanker kann ich ja kaum umbauen, aber in einer Flotte teilen sich einzelne Schiffe völlig unterschiedliche Aufgaben; die Schiffe sind auch anders gebaut. Auf dem kleinen Segelboot herrschen andere Regeln als auf dem Flaggschiff. Konkret hieße das, dass die Leiter eines Pilotprojekts sich in allen Bereichen eigene Regeln geben dürften, bis hin zu den Reporting-Pflichten. Im Zweifel braucht man auch anderes Personal, das dabei sehr sorgfältig mit Geduld und nach den neuesten wissenschaftlichen Methoden ausgewählt werden muss.

So wie das Google und andere schon lange machen.
Die richtige Teambildung nach internationalen Standards ist eben das A und O für digitale Innovation. Das schwierigste wird übrigens für die großen Firmen sein, so ein Projekt auch dann durchzuhalten, wenn zum Beispiel nach zwei Jahren noch keine „verwertbaren“ Ergebnisse geliefert wurden. 

Wie innovativ ist die Wissenschaft?

Wir erleben schon dynamisch vorangetriebene Innovationen, aber die kommen kaum mehr aus der Wissenschaft, sondern aus der Wirtschaft. Die Wissenschaft versammelt schon länger nicht mehr die klügsten Köpfe, sondern viele die sich mit den Regeln des Betriebs gut arrangiert haben und sich gut damit auskennen, die richtigen Papiere auszufüllen.

Sven Gábor Jánszky

Gab es in den vergangenen Jahrzehnten auch deshalb so wenige Basisinnovationen, weil die institutionalisierte Forschung und der Wissenschaftsbetrieb mittlerweile so stark durchbürokratisiert worden ist?
Ich habe mich vor 15 Jahren aus dem staatlichen Wissenschaftsbetrieb verabschiedet, nachdem ich versuchte hatte, an der Universität Dinge zu bewegen, von denen ich dachte, dass sie in hoher Geschwindigkeit bewegt werden müssen. Das ging einfach nicht, auch wegen der ausufernden Bürokratie. Also habe ich ein privates Institut gegründet. Wir erleben schon dynamisch vorangetriebene Innovationen, aber die kommen kaum mehr aus der Wissenschaft, sondern aus der Wirtschaft. Die Wissenschaft versammelt schon länger nicht mehr die klügsten Köpfe, sondern viele die sich mit den Regeln des Betriebs gut arrangiert haben und sich gut damit auskennen, die richtigen Papiere auszufüllen.

Bis jetzt heißt es ja immer von der betreibenden Wirtschaft, jede neue Technik sei alternativlos. Brauchen wir nicht auch neue Formen gesellschaftlicher Steuerung, um die vielen neuen Technologien in ihren Folgen überhaupt abschätzen zu können?
Mit den nächsten Wellen von künstlicher Intelligenz, Robotik, Bio- und Nanotechnologie werden wir den menschlichen Körper verändern. Viele werden sich dazu entscheiden, in unterschiedlichen Abstufungen zu Cyborgs zu werden. Das wird unsere Gesellschaft radikal verändern. Gleichzeitig hat sich die Politik vom Anspruch verabschiedet, Entwicklungen auch öffentlich abzuwägen und Zukunft aktiv zu gestalten. Ich glaube, die Frustration über den Ablauf der TTIP-Verhandlungen in Teilen der Bevölkerung hat damit zu tun: Man verabschiedet sich von dem Gedanken, dass Politik Entwurf und Gegenentwurf liefern kann. Und damit verabschiedet man sich im Kern vom Anspruch auf eine aktive Gestaltung der Zukunft durch die öffentliche Hand. Politik zeigt sich nur noch als Verwaltung. Dadurch ist ein Vakuum entstanden. Die neue High-Tech-Wirtschaft geht nun eben in dieses Vakuum hinein und gestaltet nun stärker denn je gesellschaftliche Veränderung. Diese Tendenzen frustrieren und verunsichern viele Bürger. Wir bräuchten dringend eine gesellschaftliche Debatte, aber es stellt sich die Frage, ob die politische Sphäre überhaupt noch Interesse daran hat, so eine Debatte aktiv zu moderieren.

Sie sprechen hier auch von der eigentlichen Basis von Zivilgesellschaft: Von der Fähigkeit Bürgerlichkeit herzustellen, indem man die verschiedenen Gruppen zusammen bringt, Diskurse ermöglicht – auch durch konstruktive Streits, aber eben jenseits von „there is no alternative“.
Natürlich versuchen das weiterhin eine Menge einzelner Player und Institutionen. Gleichzeitig beobachten wir in unseren Studien eine klare Tendenz weg von Gemeinschaft hin zum eigenen, individuellen Lebensentwurf. In Japan verlassen bereits Millionen junger Leute überhaupt nicht mehr ihre eigene Wohnung. Die meisten sind Telearbeiter und alle sind auch privat ständig online. Ich kritisiere das nicht. Vielleicht überschätzen wir auch den Drang des Menschen zu Gemeinschaft. Vielleicht sehnen wir uns nach der guten alten „Lagerfeuermentalität“, bei der die ganze Nation am Samstagabend vor „Wetten dass?“ sitzt und einen blondgelockten Moderator anhimmelt, ja nur aus einem Grund: Weil es früher, als wir groß geworden sind, am Samstagabend nichts Besseres zu tun gab! Vielleicht wollen die Menschen in Zukunft tatsächlich viel individueller leben. Aber auch gerade dann muss man eben genau hinschauen, wo uns viele neue, als Innovation gepriesenen, Veränderungen eigentlich hinführen und wie die kommende Art von zivilgesellschaftlichen Diskursen aussieht.

Kommt der Bundeswirtschaftsminister zu Ihrem jährlichen Zukunftskongress 2b AHEAD in Wolfsburg?
Wir veranstalten diesen Kongress seit 15 Jahren und bemühen uns die innovativsten High-Tech-Visionäre aus der Welt zusammen zu bringen. Wir laden jedes Jahr auch die Politik ein, bis hin zu den Arbeitsgruppen, Ausschüssen und Gremien auf Landtagsebene. Bis jetzt hat sich noch nie ein Politiker angemeldet. Ich glaube, das ist einfach zu weit weg von dem, was sie normalerweise auf den Tisch gelegt bekommen.