Screenshot: KI-Campus
Screenshot: KI-Campus

Offene KI-Bildung für alle

Deutschland will sich noch stärker als Spitzenstandort für künstliche Intelligenz (KI) etablieren. Bislang fehlt es aber an entsprechenden Kompetenzen in Bildungseinrichtungen, Führungsetagen, Fabriken und Laboren. Mit dem brandneuen KI-Campus könnte sich das ändern.

„We, the AI researchers, never asked ourselfes – what, if AI really works?“ Diese Feststellung machte Berkeley-Professor Stuart Russell, Autor eines der wichtigsten Lehrbücher zur KI, am Rande eines Treffens von europäischen KI-Experten. Die Bamberger Informatikerin Ute Schmid war mit dabei und kam mit Russell schnell überein: Darüber müsse die Wissenschaft dringend intensiver diskutieren und aufklären. Denn KI schwappt schon seit ein paar Jahren aus der Grundlagenforschung hinaus in die Welt. Die aber ist vielerorts noch ungenügend darauf vorbereitet.

Auch in der deutschen Gesellschaft ist das Wissen über die Chancen, Risiken und vor allem die Funktion der intelligenten Systeme noch gering. Die zu zögerliche KI-Bildung an den deutschen Hochschulen der vergangenen Jahre beginnt sich allmählich etwas zu rächen. „Mich bestürzt, mit welcher naiven Gutgläubigkeit viele deutsche Führungskräfte, wie auch Ingenieure und andere Berufsgruppen, in allen möglichen Bereichen, teilweise auch in sicherheitskritischen, das maschinelle Lernen einsetzen wollen“, sagt Ute Schmid. 

Die Zahl der Fallstricke, in denen sich KI-Anwender verheddern können, ist hoch. Neben fehlenden Daten fordert auch die Tatsache heraus, dass die selbstlernenden Modelle sogenannte Blackboxes sind. Nicht einmal die Machine-Learning-Experten selbst können nachvollziehen, was genau gelernt wurde – eine Schwachstelle, die es mit Spezialmethoden zu umschiffen gilt.

Sorgfältig entwickelte KI verspricht auf der anderen Seite immense Vorteile und Chancen. Diese reichen von optimierten Wertschöpfungsketten über saubere Verkehrsströme bis hin zu genaueren Diagnosen und wirkungsvolleren Therapien in der Medizin. Zukunftsvisionen, die sich mit einer KI-kompetenten Gesellschaft zügig angehen und entwickeln ließen. 

Was ist künstliche Intelligenz?

Screenshot: KI-Campus

Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Teilgebiet der Informatik, welches sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens und dem maschinellen Lernen befasst. Im Allgemeinen bezeichnet künstliche Intelligenz den Versuch, bestimmte Entscheidungsstrukturen des Menschen nachzubilden, indem z. B. ein Computer so gebaut und programmiert wird, dass er relativ eigenständig Probleme bearbeiten kann. Oftmals wird damit aber auch eine nachgeahmte Intelligenz bezeichnet, wobei durch meist einfache Algorithmen ein „intelligentes Verhalten“ simuliert werden soll, etwa bei Computergegnern in Computerspielen.  

Bestürzend, mit welcher naiven Gutgläubigkeit viele deutsche Führungskräfte das maschinelle Lernen einsetzen wollen.
Ute Schmid (Foto: Jürgen Schabel)

Ute Schmid

Universität Bamberg

Eine Lernplattform für künstliche Intelligenz

„What, if AI really works?“ Die Zeit ist definitiv reif für umfassende, hochwertige KI-Bildungsangebote für die breite Masse. Mit dem „KI-Campus“ kümmern sich führende deutsche Experten genau darum. Die auf KI spezialisierte digitale Lernplattform wird drei Jahre lang vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit insgesamt rund 11 Millionen Euro gefördert. 

Hintergrund ist, dass man in Deutschland die datengetriebenen intelligenten Systeme vor allem in den innovationsstarken Sektoren der nationalen Wirtschaft einsetzen möchte: Industrie 4.0, Automobilbau, Maschinenbau, Medizin – alles Felder, in denen Konsortien aus Industrie, Mittelstand und Forschungseinrichtungen längst mit KI experimentieren. 

Was allerdings dort immer deutlicher auffällt: Die hierfür nötigen Qualifikationen konzentrieren sich auf zu wenige Köpfe. Das Gros der deutschen Unternehmer, Entwickler, Ingenieure oder Mediziner hat zwar von KI-Methoden über die Medien oder auf Konferenzen gehört, kennt sich aber nur rudimentär damit aus. Bliebe die Situation wie gehabt, wäre zum einen der Fachkräftemangel vorprogrammiert. Zum anderen könnte das „Öl des neuen Zeitalters“ nicht im gewünschten Maßstab professionell in wichtigen Wirtschaftsfeldern gewonnen werden: gute, standardisierte Daten. 

„Mit dem KI-Campus wollen wir KI-Kompetenzen in der Breite fördern und noch mehr Menschen für das Thema begeistern“, sagt Florian Rampelt vom Stifterverband, der die neue Lernplattform leitet. Das Hauptaugenmerk liege auf Studierenden, aber auch Berufstätige sollen profitieren. Aufgebaut wird der digitale Campus vom Stifterverband gemeinsam mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), dem Hasso-Plattner-Institut (HPI), dem mmb Institut und mit NEOCOSMO. 

Was ist künstliche Intelligenz? Der KI-Campus erklärt es.

Video abspielen

Wie sehr die Hochschulen auf eine solche Lernplattform gewartet haben, erstaunte Florian Rampelt selbst ein wenig: „Bei unserer ersten Wettbewerbsrunde, in der Hochschulen, Forschungseinrichtungen und auch andere Akteure ihre Ideen für neue Lehr- und Lernangebote zum Thema künstliche Intelligenz einreichen konnten, sind wir komplett überrannt worden: 137 erstklassige Vorhaben aus ganz Deutschland, aber auch aus Europa, erreichten uns in kürzester Zeit.“ Sowohl Hessen als auch das Land Luxemburg boten bereits eine Zusammenarbeit an, bevor die Plattform überhaupt gelauncht war. 

Seit Anfang Juli sind die ersten Ressourcen auf dem KI-Campus in einer öffentlich zugänglichen Beta-Version verfügbar – neun Monate vor dem ursprünglichen Zeitplan. „In der Corona-Zeit sind unsere digitalen Lernangebote umso wichtiger. Deshalb haben wir uns bewusst für den frühen Launch entschieden“, so Rampelt. So wolle das KI-Campus-Konsortium mithelfen, die aktuelle Lehrsituation ein wenig zu verbessern.

Die Lernplattform befindet sich noch in einer frühen Entwicklungsphase und ihre Funktionalitäten werden fortlaufend weiterentwickelt und ausgebaut. Dutzende Kurse, Module und Mikro-Lerneinheiten sollen bis zum Projektende im Herbst 2022 dazukommen. Dabei handelt es sich dann entweder um speziell für die Plattform entwickelte „KI-Campus-Originale“ oder aber um bestehende, kuratierte Lernangebote anderer Plattformen, die auf dem KI-Campus empfohlen werden

Mit dem KI-Campus wollen wir KI-Kompetenzen in der Breite fördern und noch mehr Menschen für das Thema begeistern.
Florian Rampelt (Foto: Damian Gorczany)

Florian Rampelt

Leiter des KI-Campus

Im ersten Schwung entstehen in den kommenden Monaten zunächst 22 „KI-Campus-Originale“. Jede dieser Ressourcen werde offen lizenziert, ebenso die selbst entwickelten Technologien, erklärt Rampelt weiter. Letztere erforscht und erstellt das KI-Campus-Konsortium. So soll die Plattform ein multimodales Interface bekommen, das eine mobile und dialogische Interaktion mit Nutzern zulässt. 

Aber auch die gesamte Plattformebene soll sukzessive KI-Funktionalitäten bekommen, wie Niels Pinkwart erklärt. Der Informatikprofessor der Berliner Humboldt-Universität leitet am DFKI den Forschungsbereich Educational Technology Lab (EdTec): „Wer sich auf den KI-Campus klickt und nicht weiß, welcher Kurs oder welche Mikro-Lerneinheit zu den eigenen Fragestellungen passen würde, der soll vom System kurz befragt werden und bekommt dann Inhalte empfohlen.“ Das sei besonders interessant für Nutzer, die keine Zeit für ganze Studienkurse hätten, wie Berufstätige oder andere Interessierte, so Pinkwart. 

KI und Leadership

Sylke Piéch und Niels Pinkwart vom DFKI entwickeln derzeit den akademischen Masterkurs „KI und Leadership“, aus dem auch Mikroeinheiten für Berufstätige extrahiert werden sollen. Über 150 Stunden hinweg wird dieser Kurs mit Beispielen und Handlungsempfehlungen aus der Praxis erklären, welche Anforderungen künstliche Intelligenz an die Unternehmensführung stellt: für vernünftige, wertvolle Datenanalyse-Entscheidungen oder eine gute Personalführung und ein ausgewogenes Teammanagement, wenn in Teams KI-gestützte Robotic-„Kollegen“ mitarbeiten. Der deutschsprachige Kurs basiert dabei auf europäischen Werten, beispielsweise in Bezug auf Ethik und Datenschutz. Die erste, kleinere Version mit rund 50 Stunden Lernmaterial soll ab Oktober 2020 auf dem KI-Campus bereitstehen, die lange Version dann voraussichtlich ab März 2021. 

Für die akademische KI-Bildung bricht mit dem KI-Campus definitiv ein neues Zeitalter an. Alle Hochschulen können hochwertige Ressourcen von anderen Hochschulen oder dem DFKI, das mehrere „KI-Campus-Originale“ produziert, über die Lernplattform in eigene Curricula integrieren, wobei sich einige auch für die Vergabe von Creditpoints eignen. Bislang war ein solches systematisches Teilen von kuratierten Lehrinhalten im föderalen Bildungssystem unüblich. Auch gehört es nicht unbedingt zum Selbstverständnis von Lehrenden, fremde Inhalte eins zu eins in die eigene Vorlesung einzubauen. 

Wissenschaftler hoffen ebenfalls, dass sich mit dem KI-Campus und seiner geballten Ladung an Grund- und Fachwissen langfristig einiges ändern wird. Kerstin Ritter kämpft seit Jahren mit schlecht vorbereiteten Datensätzen – dabei könnte alles so einfach sein. Sie leitet als Juniorprofessorin an der Charité Berlin die Arbeitsgruppe „Maschinelles Lernen in der klinischen Neurobildgebung“ und erforscht, wie KI-Systeme Diagnosen und Therapien von Multipler Sklerose, Alzheimer oder Schizophrenie verbessern können. „Immer, wenn man einen schlecht vorbereiteten Datensatz aus den Kliniken bekommt, ist es extrem mühsam und sehr schwierig, da etwas Sinnvolles rauszuziehen“, sagt Ritter. Digitalisierung und Standardisierung seien die Voraussetzung dafür, dass intelligente Systeme mit Daten etwas anfangen könnten. Bislang würden KI-Verfahren im Medizinstudium aber kaum gelehrt, was viele Studierende auch kritisierten, so Ritter. 

Jetzt entwickelt Kerstin Ritter mit dem KI-Campus den Kurs „Dr. med KI“, zunächst acht Podcast-Lerneinheiten mit den wichtigsten Grundlagen. Perspektivisch kommen spezielle Fachinhalte dazu, wie „KI in der Pathologie“ oder „KI in der Onkologie“. Dabei ist der Juniorprofessorin am wichtigsten, dass möglichst viele Mediziner verstehen, welche gewaltigen Chancen in guten und standardisierten Datensätzen stecken, die man unbedingt nutzen sollte – und dass jeder Einzelne dann hoffentlich selbst im Klinikalltag beim Umgang mit Daten mit dafür sorgt, dass es gelingt.