Matthias Pilz und Jutta Papenbrock (Illustration: Irene Sackmann)
Matthias Pilz und Jutta Papenbrock (Illustration: Irene Sackmann)

Entrepreneurship Education: Wie Studierende fit für den Arbeitsmarkt werden

In einer fächer- und hochschulübergreifenden Veranstaltung bringen Jutta Papenbrock und Matthias Pilz Studierende der Wirtschaftspädagogik mit Biologiestudierenden zusammen. Die einen lernen das Unterrichten und die anderen, wie man aus Fachwissen Geschäftsideen entwickelt. 2017 erhielten sie für dieses besondere Lehrkonzept ein Fellowship des Stifterverbandes. Teil 4 unserer Serie zu Innovationen in der Hochschullehre.

Die besten Ideen entstehen oft am Küchentisch. Jutta Papenbrock, Professorin für Botanik an der Leibniz Universität Hannover, und Matthias Pilz, Professor für Wirtschaftspädagogik an der Universität Köln, tauschen sich dort gerne über ihren Hochschulalltag aus. Sie haben nicht nur zwei gemeinsame Kinder im Teenageralter und ihren Familienwohnsitz in Hannover – seit ein paar Jahren haben sie auch eine gemeinsame Lehrveranstaltung, die Studierende der Wirtschaftspädagogik mit Biologiestudierenden zusammenbringt und beide Seiten voneinander lernen lässt.

Studierende auf die Arbeitswelt vorbereiten

Das Wissenschaftlerpaar hat zum Thema Entrepreneurship Education für Studierende der Biologie eine Lehrveranstaltung konzipiert, die gleichermaßen interdisziplinär wie anwendungsbezogen ist. Denn beide treibt schon seit Längerem die Frage um: „Wie kann ich meine Studierenden fitter für den Arbeitsmarkt machen und dabei zugleich ihren Blick nach rechts und links weiten? Wie kann ich sie ermutigen, eigene (Geschäfts-)Ideen umzusetzen?“ In der Lehrveranstaltung bekommen die Studierenden einen Eindruck davon.

Illustration: Irene Sackmann
Illustration: Irene Sackmann
Fachwissen mit ökonomischem Grundlagenwissen kombinieren

Speziell Biologiestudierende erhalten im Studium normalerweise kaum Informationen über künftige Berufsfelder jenseits einer wissenschaftlichen Karriere oder jenseits des Lehramtes. „Wer ein naturwissenschaftliches Fach wie Biowissenschaften studiert, eignet sich vor allem sehr viel fachliches Wissen an“, beschreibt Jutta Papenbrock die Situation in ihrem Fachbereich. Dabei gebe es sehr viel mehr Möglichkeiten. Fächer wie beispielsweise Pflanzenbiotechnologie seien ein Quell potenzieller Geschäftsideen und deshalb ein guter Ausgangspunkt, um selbst ein Unternehmen zu gründen. 

„Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz oder Gesundheit sind präsente Themen“, erläutert sie. Papenbrock geht selbst mit gutem Beispiel voran: Derzeit gründet sie gemeinsam mit einem Kollegen aus Argentinien die Firma „Plantilizer“. Sie entwickeln innovativen Dünger aus Biokohle und Bakterien, der zugleich CO2 aus der Luft bindet. „Es gibt eine große Nachfrage nach entsprechenden Verfahrenstechniken und Produkten.“ Sie weiß aber aus eigener Erfahrung: „Als Naturwissenschaftlerin hat man zunächst keine Ahnung von Marketing, von Rechts- oder Vertriebsfragen.“

Zwei Hochschulen, ein gemeinsames Lehrkonzept

Aber auch für Absolventinnen und Absolventen, die sich nicht selbstständig machen wollen, ist ökonomisches Grundwissen wichtig, finden Papenbrock und Pilz. Denn: Wer beispielsweise als Projektmanager oder Projektmanagerin in einem Unternehmen der Biotech-Branche arbeiten möchten, sollte eine Ahnung davon haben, wie ein Unternehmen tickt und was es zu neuen Ideen treibt.

Für die Wirtschaftspädagogikstudierenden von Matthias Pilz ist der Berufsweg klarer: Sie werden nach Studienabschluss ihr Fachwissen meistens als Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen vermitteln. Dennoch: „In Deutschland rücken die akademische und berufliche Bildung immer weiter zusammen. Wirtschaftspädagoginnen und -pädagogen unterrichten heutzutage nicht mehr nur an Berufsschulen, sondern auch in dualen Studiengängen der Hochschulen oder an Berufsakademien“, sagt Pilz. Sie werden also immer mehr auch zu Dozentinnen und Dozenten.

Hier setzt das gemeinsame Lehrprojekt Entrepreneurship Education an: Unter Anleitung und Begleitung der beiden Hochschullehrenden vermitteln die Masterstudierenden aus Köln den Biologiestudierenden aus Hannover im Peer-to-Peer-Verfahren die ökonomischen Grundlagen.

Ein innovativer Ansatz, für den Papenbrock und Pilz 2017 ein Tandem-Fellowship des Stifterverbandes erhielten. Das Fellowship honorierte Lehrkonzepte, die zwei Lehrende, die auch an verschiedenen Hochschulen tätig sein können, gemeinsam entwickelt haben und durchführen.  

FELLOWSHIPS FÜR INNOVATIONEN IN DER HOCHSCHULLEHRE

Weg von der Vorlesung mit abgelesenen Skripten, hin zu innovativen Lehrformaten, bei denen die Studierenden im Mittelpunkt stehen – das war das Ziel des Fellowship-Programms von Stifterverband und Baden-Württemberg Stiftung. Ob Virtual Reality in der Vorlesung, Chatbots als Tutor, neue Prüfungsformate oder der Einsatz von Kunst in der Wissenschaftskommunikation: Die Fellowships sollen Anreize für Lehrende schaffen, neue Wege in der Hochschullehre zu entwickeln und die Studierenden damit fit zu machen für die Anforderungen der Arbeitswelt 4.0. Zwischen 2011 und 2020 wurden jährlich bis zu 15 Fellowships ausgeschrieben, die je nach Art unterschiedlich dotiert sind. Jedes Fellowship umfasste neben der finanziellen Förderung die Teilnahme an zwei zweitägigen Fellow-Treffen sowie an einer öffentlichen Lehr-/Lernkonferenz im Jahr, die dem gegenseitigen Austausch und der persönlichen Weiterentwicklung dienen sollen.

Eine zweite Programmlinie legt seit 2019 einen besonderen Fokus auf digitale Lehr- und Lernformate. Hier arbeitet der Stifterverband mit dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft in NRW (rund 40 Fellowships pro Jahr) und dem Thüringer Wirtschaftsministerium zusammen (sieben Fellowships).

Bei Papenbrock und Pilz klappte es allerdings nicht im ersten Anlauf: Die Lehrveranstaltung gab es zum Zeitpunkt der Bewerbung bereits in ähnlicher Form, sie war aber nach Ansicht der Jury noch optimierungsbedürftig. „Für uns war die kritische Rückmeldung der Jury für einen erneuten Bewerbungsversuch sehr nützlich“, berichtet Matthias Pilz. „Am Anfang waren wir nämlich noch sehr stark auf das Gründen an sich fixiert – das war, unter anderem, offenbar auch ein Kritikpunkt der Jury. Wir haben uns dann etwas davon entfernt und uns mehr am angelsächsischen Modell der Entrepreneurship-Vermittlung orientiert.“ Dieses Modell vermittele zunächst ein breiteres Verständnis für Ökonomie, bevor es konkret um Unternehmensgründung gehe. „Nach diesem Prinzip führen wir die Lehrveranstaltung heute noch durch – und greifen gerne das Feedback der Studierenden auf, um sie weiter zu optimieren.“

Es ist viel spannender, wenn man Entrepreneurship fächerübergreifend vermittelt: Wenn sich also verschiedene Disziplinen daranmachen, gemeinsam die Möglichkeiten einer Geschäftsidee auszuloten und ihre jeweilige Expertise einbringen.

Matthias Pilz

Professor für Wirtschaftspädagogik an der Universität Köln

Im Seminar praktisch ausprobieren, ob die Geschäftsidee taugt

Die Biologiestudierenden können in der Lehrveranstaltung anhand praktischer Übungen – das sind als Machbarkeitsstudien ausgelegte Fallstudien – selbst ausprobieren, wie belastbar eigene Geschäftsideen sind. Pilz kennt sich übrigens nicht nur als Wirtschaftspädagoge, sondern auch aus eigener Erfahrung damit aus: Als Student war er selbst Gründer eines kleinen Unternehmens und betrieb in seiner Studentenbude einen Weinhandel.

Und auch in der Lehrveranstaltung wird die Realität möglichst stark eingebunden. Um die Präsentationen der Machbarkeitsstudien und die Reflexionen darüber so realitätsnah wie möglich zu gestalten, lädt Jutta Papenbrock Mitarbeitende des Gründungszentrums „starting business“ der Leibniz Universität Hannover und entsprechender Fördereinrichtungen der Stadt Hannover zur Teilnahme ein – als externe wirtschaftsaffine Jurorinnen und Juroren.  

„An vielen Hochschulen sind in den zurückliegenden Jahren gezielt Professuren für Entrepreneurship geschaffen worden, auch beispielsweise an meiner eigenen Universität in Köln“, so Pilz. Diese seien aber jeweils einer bestimmten Fakultät und damit einem bestimmten Fachbereich zugeordnet, um dort beim wissenschaftlichen Nachwuchs die Gründungsaktivitäten anzukurbeln. „Viel spannender ist es aber, wenn man Entrepreneurship fächerübergreifend vermittelt: Wenn sich also verschiedene Disziplinen daranmachen, gemeinsam die Möglichkeiten einer Geschäftsidee auszuloten und ihre jeweilige Expertise einbringen – wenn dabei vielleicht Netzwerke entstehen, an die man später wieder anknüpfen kann. Das soll durch unsere Lehrveranstaltung angeregt werden.“

Die Studierenden haben offenkundig Freude daran, sich ohne den Druck, wirklich gründen zu müssen, mit der Machbarkeit von Geschäftsideen zu beschäftigen. So hat sich etwa eine Gruppe von Masterstudierenden der Pflanzenbiotechnologie für eine Machbarkeitsstudie für die Entwicklung von umweltfreundlichen Babywindeln aus Algen entschieden.

Fellowships: Austausch steht im Fokus

30.000 Euro haben Jutta Papenbrock und Matthias Pilz für ihr Tandem-Fellowship erhalten – einsetzbar etwa für studentische Hilfskräfte, Reise- oder Materialkosten. „Der größte Mehrwert der Förderung waren für uns jedoch die jährlichen Fellow-Treffen und die ebenfalls jährlich stattfindende Lehr-Lernkonferenz“, sagt Matthias Pilz mit spürbarer Begeisterung. „Wir haben uns mit den anderen Fellows darüber austauschen können, wie sich unsere Projekte jeweils weiterentwickelt haben. Bei allem ging es immer auch darum, wie wichtig die Freiheit der Lehre ist und wie sehr man im Alltag oft darum kämpfen muss. Dabei wurde durchaus auch kontrovers über verschiedene Konzepte diskutiert.“ Solche Gespräche hätten Raum für neue Gedanken geschaffen, die jeder an seine Hochschule mitgenommen habe.

Wichtig ist Papenbrock und Pilz auch: „Innovation braucht Evidenz! Unsere Lehrveranstaltung und das Konzept dahinter sind für uns zu einem wichtigen Forschungsgegenstand geworden“, betont Matthias Pilz. „Denn: Wie misst man jenseits der typischen Evaluationsbögen für Studierende die tatsächliche Wirksamkeit von Lehrveranstaltungen? Wir schreiben gerade eine Publikation dazu, welche die empirischen Befunde des Projekts darstellt.“

Aufschlussreich sei zum Beispiel ein Kompetenztest gewesen, der das ökonomische Wissen der Studierenden zu Beginn abfragte und der am Ende wiederholt wurde. „Das Interessante war: Ein deutlicher Zuwachs an konkretem Wissen ergab sich bei den meisten Studierenden zwar nicht. Aber wir haben die Teilnehmenden auch um eine kleine Selbstreflexion in Form eines Berichts gebeten“, fasst der Wirtschaftspädagoge zusammen. „Dabei kam heraus, dass es den meisten Studierenden nicht ums Gründen geht, sondern dass der Mehrwert unserer Lehrveranstaltung für sie in einer Sensibilisierung und einem besseren Verständnis für ökonomische Themen und Zusammenhänge besteht. Das hat uns in unserem Weg bestätigt.“

Umso mehr freuen sich beide, dass Lehrveranstaltungen zu Entrepreneurship Education in mehrere Studiengänge der Fakultät integriert werden. Jutta Papenbrock hat an der Naturwissenschaftlichen Fakultät derzeit das Amt der Studiendekanin inne – die richtige Position, um innovative Lehrideen voranzubringen. Unterstützung bekommt sie von der Dekanin. Diese, sagt Papenbrock, lege viel Wert auf fundierte Entrepreneurship Education.

In Köln wiederum wurde im Journal der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät zwar über die Lehrveranstaltung und die Förderung durch den Stifterverband berichtet, doch gebe es derzeit keine Pläne, ähnliche fachübergreifende Lehrveranstaltungen anzubieten, sagt Matthias Pilz.

Es ist also viel in Bewegung gekommen seit Beginn der Projektförderung. Und Papenbrock und Pilz – das spürt man deutlich – sind mittendrin im Thema.