(Foto: CC0 Public Domain)

Ökonomie des Fußballs

Kolumne,

Seit Freitagabend rollt der Ball wieder. Die Europameisterschaft in Frankreich hat begonnen. In den nächsten Wochen werden Millionen von Zuschauern vor den Bildschirmen und auch in den Stadien die Spiele verfolgen. Dabei fasziniert Fußball nicht nur die Fans, sondern auch viele Wissenschaftler. Eine Kolumne von Justus Haucap über den Sinn und Zweck dieser Forschung.

Wissenschaftler, die sich mit Fußball beschäftigen, kommen keineswegs nur aus dem Bereich der Sportwissenschaften. Zum einen sind dies Naturwissenschaftler wie etwa John Wesson, der schon 2005 ein Buch über die „Physik fliegender Bälle und der Statistik des Spielausgangs“ veröffentlicht hat, oder Metin Tolan mit seinem Buch über die „Physik des Fußballspiels“.

Eine Frage der Attraktivität

Zum anderen sind es aber auch Sozialwissenschaftler wie Ökonomen und Soziologen, die sich mit den gesellschaftlichen und ökonomischen Dimensionen des Fußballs beschäftigen. Neben Studien zur Fankultur ergründen Soziologen wie etwa mein Düsseldorfer Kollege Ulrich Rosar auch, ob die Attraktivität eines Fußballerspielers (nicht die seiner Spielweise!) sein Gehalt beeinflusst. Die eindeutige Antwort: Ja! Je attraktiver ein Spieler ist, desto besser seine Verdienstchancen, auch wenn ein anderer mehr Tore schießt. Steigt der Body Mass Index um einen Skalenpunkt, so erhöht sich der Marktwert um durchschnittlich 220.000 Euro. Und verbessert sich der Score der Attraktivität des Gesichts des Spielers auf einer siebenstufigen Skala von 0 (unattraktiv) bis 6 (attraktiv), so erhöht sich der Marktwert um durchschnittlich 150.000 Euro.

Cristiano Ronaldo (Foto: istock/edstock)
Schöner Fußball: 110 Millionen Euro beträgt Cristiano Ronaldos aktueller Marktwert (stand 2016). Sein Aussehen sichert ihm außerdem zahlreiche Werbeverträge.

Auch Ökonomen befassen sich wissenschaftlich mit diversen Aspekten des Fußballs. Natürlich sind dies zum einen Spieltheoretiker wie etwa Ignacio Palacios-Huerta, der gerade sein Buch „Beautiful Game Theory: How Soccer Can Help Economics“ publiziert hat. Zum anderen sind dies aber auch Wettbewerbsökonomen, die sich etwa mit folgenden Fragen befassen:

  1. Hat die Einführung der sogenannten 3-Punkte-Regel die Spielweise verändert? Die Antwort: Es ist nicht klar, die Befunde sind gemischt.
  2. Gibt es eine Diskriminierung farbiger Fußballspieler durch die Clubs? Antwort: Es scheint so, zumindest gibt es dafür Evidenz, basierend auf englischen Daten für den Zeitraum von 1978 bis 1993.
  3. Was bestimmt eigentlich die Zuschauernachfrage nach Tickets und vor dem Fernseher? Antwort: Alles mögliche! 
  4. Wie wichtig ist den Zuschauern, dass eine Liga wettbewerblich möglichst ausgeglichen ist? Antwort: Das ist umstritten. 
  5. Ist es sinnvoll, einen Finanzausgleich in Fußball-Ligen zu schaffen und wie umfassend sollte dieser dann sein? 
  6. Wie sollten Fernseh- und andere Übertragungsrechte an Fußballspielen vergeben werden? 
  7. Wie beeinflussen große Ereignisse wie etwa die Welt- oder Europameisterschaft das Wirtschaftswachstum des Gastgeberlandes und auch des neuen Welt- beziehungsweise Europameisters? 

( Eine Linkliste mit wissenschaftlichen Arbeiten zu diesen Themen finden Sie hier.) 

Big Data im Fußball

Der Grund für diese intensive Auseinandersetzung vieler Ökonomen mit dem Fußball liegt sicher nicht in seiner wirtschaftlichen Bedeutung, auch wenn der Profifußball natürlich durchaus eine gewisse Bedeutung hat. Im Vergleich etwa zur Automobilwirtschaft ist die wirtschaftliche – nicht unbedingt die gesellschaftliche – Bedeutung des Fußballs jedoch vergleichsweise klein. Dennoch beschäftigen sich Ökonomen an den Hochschulen wesentlich häufiger nebenbei mit dem Thema Fußball als etwa mit der Automobilwirtschaft, dem Lebensmittelhandel oder Post und Bahn. Neben dem Interesse als Fan liegt ein Grund sicher in der fast endlosen Verfügbarkeit sehr detaillierter Daten in großen Mengen. Fast nirgends ist vermutlich die Vermessung der Welt so weit vorangeschritten wie im Fußball. Welcher Spieler wann wieweit und wie lange gelaufen ist, wie oft er geschossen und gefoult hat, wie er bezahlt wird, wie viel er wiegt etc. – all das wissen wir von Profifußballern. Big Data ist im Fußball somit nichts Neues, sondern schon lange etabliert.

Diese großen Datenmengen sind natürlich ideal für ausgeklügelte empirische Analysen. Aber erlangen wir durch diese Analysen auch zu Einsichten, die über den Fußball hinausgehen? Vermutlich nicht, denn Profifußballer sind Ausnahmeerscheinungen, also eher untypisch. Ob etwa Normalbürger auf veränderte Anreize ähnlich reagieren wie Profifußballer, ist unklar und nicht unbedingt zu vermuten. Ein wenig erinnert die fußballökonomische Forschung daher an die alte Geschichte von dem Betrunkenen, der seinen verloren Schlüssel unter einen Laterne sucht, weil es dort hell ist und er etwas sehen kann – wohlwissend allerdings, dass er den Schlüssel im Dunkeln nebenan verloren hat. Die großen Datenmengen zum Fußball laden zur Forschung ein – doch es bleibt die (rhetorische) Frage, ob es nicht wichtigere ökonomische Fragestellungen gibt, deren Beantwortung jedoch weiter im Dunkeln bleibt.

Justus Haucap

Justus Haucap
Illustration: Irene Sackmann

Justus Haucap ist einer der wenigen Ökonomen, die oft und gerne in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten. Allerdings gehört er nicht zu jenen bedauernswerten Wissenschaftlern, die in der Tagesschau als Experten 15-Sekünder zu einem immer gleichen Thema aufsagen müssen. Sein Themenportfolio ist genauso breit angelegt wie die Plattformen, die er für die Verbreitung seiner Positionen nutzt.  Man liest seine Texte genauso im Handelsblatt wie auf diversen Internetblogs oder gar der Huffington Post. Dort streitet er gerne über Themen wie die Abwrackprämie, Energiefragen oder das umstrittenene Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Als Kolumnist der ersten Stunde tut er seine Meinung auch auf MERTON kund. Wettbewerbs- und Energiepolitik, Regulierung oder Institutionenökonomik liegen dem Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Düsseldorf besonders am Herzen. 
Justus Haucap auf Twitter.

Apropos dunkel: Überraschend wenig haben sich Ökonomen bisher mit den dunklen Machenschaften wie Korruption bei FIFA und UEFA beschäftigt. Der mangelnde Wettbewerb und die Monopolstellung von FIFA und UEFA führen hier zu bekannten ökonomischen Phänomenen: Lobbyismus, Verteilungskämpfe und einem Mangel an Innovationen. Da das Monopol jedoch fest zementiert ist, dürfte sich daran – zum Leidwesen vieler Beobachter – auch nichts ändern. Denn Fußball selbst lebt zwar vom Wettbewerb, die Veranstalter wie FIFA, UEFA und auch DFL haben jedoch Monopole (siehe auch http://www.insm-oekonomenblog.de/12566-fifa-skandal-warum-alles-so-bleibt-wie-es-ist/).