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Sandra Kostner – die Bewahrerin der Streitkultur

In der 37. Folge des Durchfechter-Podcasts hören wir die Soziologin Sandra Kostner. Die Gründerin des Netzwerkes Wissenschaftsfreiheit möchte wissenschaftliche Diskurse vor überzogenen Moralisierungen bewahren und Lehrkräften Mut machen, im Hörsaal mit den Studierenden wieder häufiger eine gute sachliche Streitkultur einzuüben.

Während der 68er-Proteste stritten die Studierenden an den Universitäten intellektuell auf einem hohen Niveau. Das Argumentieren fand damals in der Logik des Systems Universität statt. Natürlich habe es auch das Niederbrüllen und Ähnliches gegeben, erzählt Sandra Kostner in der aktuelle Folge des Durchfester-Podcats, aber der intellektuelle Schlagabtausch habe damals weitestgehend im Vordergrund gestanden und nicht die Gefühle einzelner. Heute wirkten die Proteste mancher Studierendengruppen an Hochschulen nicht mehr so, als wolle man sich überhaupt auf einer Sachebene über Missstände austauschen, findet Sandra Kostner. Es gehe sehr schnell um Persönliches und darum, dass sich einige in ihren Gefühlen verletzt fühlten und der Gegenpart deshalb schweigen solle. 

Die Soziologin Sandra Kostner vermisst heute in manchen wissenschaftlichen Diskurse in Forschung und Lehre eine gute und offene Streitkultur. Die Sorge unter Lehrkräften und Studierenden, „bloß kein falsches Wort“ in der Vorlesung oder im Seminar zu sagen oder aufgeschrieben als Lehrinhalt anzubieten, weil man ansonsten womöglich als Person „heruntergeputzt wird“, hält die Wissenschaftlerin für ein zunehmendes Problem in Deutschland. Und sie hat sich dafür entschieden, darüber jetzt häufiger in der Öffentlichkeit zu sprechen.

Teilweise kursieren in der Onlinevorlesung Ängste, gerade bei heiklen Themen, dass Studierende mitschneiden und einzelne Sätze davon in den sozialen Medien posten. Viele Studierende trauen sich deshalb nicht mehr, offen zu argumentieren.
Sandra Kostner
Sandra Kostner (Foto: privat)

Sandra Kostner

Soziologin und Historikerin, Hochschule Schwäbisch Gmünd

Kostner möchte die intellektuellen Entfaltungsräume auf dem Campus bewahren und sieht Hochschule vor allem als einen „Marktplatz diverser Ideen“. Hörsäle und Seminare sollten als ein geschützter Raum verstanden werden, wo kontroverse und selbst stark polarisierte Debatten geführt, analysiert und eingeübt werden dürfen. Wenn nicht dort, wo dann?

Die Wissenschaftlerin ist promovierte Soziologin und Historikerin. Sie arbeitet seit Jahren als akademische Mitarbeiterin, ist Geschäftsführerin des Masterstudienganges „Interkulturalität und Integration“ und Diversitätsbeauftragte an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Zuvor promovierte Kostner an der University of Sydney. Dort und auch bei Aufenthalten in Kanada bemerkte sie vor einigen Jahren, wie sich bestimmte wissenschaftliche Diskurse in der Lehre und Forschung verengten, nicht nur in ihren Fachbereichen. 

Auslöser waren nach ihrer Beobachtung Identitätsfragen oder der Anspruch, dass die Gefühle einzelner Studierendengruppen nicht verletzt werden dürfen. Die Rede ist von den sogenannten Safe Spaces, einem Konzept, das im angloamerikanischen Raum an Hochschulen weit verbreitet ist. Es fußt auf der Idee, eine inklusive Umgebung zu schaffen, die frei von diskriminierenden Äußerungen ist. Man möchte damit vor allem marginalisierte Gruppen schützen. Sie sollen sich auf dem Campus angenommen und sicher fühlen.

Sandra Kostner scheut sich nicht, öffentlich auf die Nachteile dieser Idee hinzuweisen. Diese entstünden dann, wenn das Pendel im Hochschul- und Forschungsalltag zu sehr in Richtung Identitätsfragen und Gefühle schwinge. Beides betrachtet sie als „Fremdwährungen“ in der Wissenschaft, da sie weitestgehend konträr zur Rationalität stünden. Zudem könne „das Berufen auf die eigenen Gefühle“ von einzelnen als Machtinstrument missbraucht werden, befürchtet Kostner. Sie sieht die Gefahr, dass die Wissenschaft so langfristig „vor die Wand fährt“, wenn sie sich immer intensiver darauf einlasse.

In einigen Fachrichtungen arbeitet man nicht mehr so stark über die Ratio, die in der Wissenschaft die absolute Grundlage ist. Man ermöglicht zunehmend das Arbeiten über die Gefühlsebene. Damit fährt man die Wissenschaft früher oder später vor die Wand.
Sandra Kostner
Sandra Kostner (Foto: privat)

Sandra Kostner

Mitgründerin des "Netzwerks Wissenschaftsfreiheit"

Falls einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hierzulande aus den gerade beschriebenen Gründen unter Druck geraten, sollen sie Rückendeckung bekommen, entschied die Soziologin für sich und gründete hierfür im März 2021 gemeinsam mit 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem deutschsprachigen Raum das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit. Heute, ein gutes halbes Jahr später, ist es auf 600 Personen angewachsen.

Foto: David Ausserhofer

Kostner setzt sich mittlerweile intensiv für Wissenschaftsfreiheit an Universitäten und Hochschulen ein, auch wenn sie dafür viel Kritik einstecken muss, bis hin zu Vorwürfen, sie sei „rechts“. Oft wird ihr vorgeworfen, sie beschwöre die Sorge vor einer „Amerikanisierung“ des deutschen Hochschulsystems oder die Angst vor „Freiheitsverlusten“ in Seminaren, Hörsälen oder Forschungsvorhaben lediglich herauf. Sie erzähle immer bloß von Einzelfällen. Die von ihr beschriebene Problematik sei aber in der deutschen Hochschullandschaft überhaupt nicht wissenschaftlich belegt. Das stimmt, antwortet Kostner dann – aber sie habe bereits mehr als 2.000 Zuschriften von Menschen bekommen, die diesbezüglich schon problematische Situationen erlebt haben. Ihr geht es ums Prinzip „Wehret den Anfängen“.

Kontroverse Debatten sind die Momente, wo Sandra Kostner zur Höchstform aufläuft, denn der argumentative Schlagabtausch ist eine ihrer Stärken. Sie tauscht sich leidenschaftlich gerne mit Andersdenkenden aus. Selbst harsche Kritik kann sie gut wegstecken. Spaß macht ihr das Streiten aber nur, wenn die Gegenseite ebenfalls Spaß am Argumentieren hat. 

Eine gute Streitkultur ist aus Kostners Sicht vor allem auch eine Kompetenz. Und die fehle der nachwachsenden Generation leider zunehmend, befürchtet sie. Was im Elternhaus und in der Schule verpasst werde, müsse deshalb umso dringender an der Hochschule eingeübt werden, findet die Soziologin: Immerhin würden dort die Entscheider von morgen ausgebildet. Sie plädiert für mehr Mut unter den Lehrkräften und Hochschulentscheidern, das tatsächlich auch zu tun. 

Das Problem sei nämlich, dass auch viele Lehrende mittlerweile einen großen Bogen um polarisierte Debatten machten, weil sie ihrer eigenen Karriere nicht schaden wollten. Warum das so ist und warum bei identitätspolitischen Kontroversen auch Hochschulleitungen oft einknicken und was dagegen helfen könnte, erzählt Sandra Kostner im Durchfechter-Podcast.