Anti-Scientology Protest
Al from Edinburgh, Scotland, Anti-scientology-protest, CC BY-SA 2.0

Watchblog your Prof

Kolumne,

Der kontroverse Austausch zwischen Studierenden und Professoren ist für den wissenschaftlichen Diskurs unverzichtbar. Doch was ist, wenn der Diskurs – ins Internet verlagert – zur einseitigen Hetze gegen die Wissenschaftler wird? Was sagt das über die Machtbeziehungen an deutschen Universitäten aus?

Frühjahr 2015. Attacken auf Geistesmenschen. Angesehene Professoren an angesehenen deutschen Universitäten fühlen sich bedroht. Durch ihre eigenen Studierenden. Doch dieses Schauspiel findet nicht unmittelbar in den Vorlesungssälen statt, sondern im virtuellen Raum, auf anonymen Blogs – den sogenannten Watchblogs  im Cyberspace. Hier findet die Vernetzung der Dinge statt. Der physische Hörsaal ist dabei zur reinen Peripherie verkommen. Die eigentlich spannende Debatte, die kritische Auseinandersetzung – wie man sie in Universitäten eigentlich vermutet – findet plötzlich nur noch rein virtuell und unter anonymer Urheberschaft statt.

Jedes Wort und jedes Nichtwort dieser Dozenten in ihren seit Jahren etablierten Vorlesungen wird fortan in diesen Blogs auf die digitale Goldwaage gelegt. Jede Theorie und nicht erwähnte Theorie, jede Person und nicht erwähnte Person, jeder nicht erwähnte Kulturkreis, jede nicht erwähnte Perspektive in Form von fehlenden Literaturangaben wird als ignorante Haltung einiger „weißer alter Männer“ interpretiert, die angeblich dem Chauvinismus, Rassismus oder sonstigem Ismus in die Hände spielt. Doch ein echter Austausch, eine gemeinsame Reflexion findet bis heute offenbar nicht statt.

Das Schauspiel muss auf die betroffenen Professoren wie eine futuristische und bizarre Hetzjagd wirken. Vielleicht vergleichbar mit einer Episode der fabelhaften britischen Technik-Dystopie „Black Mirror“. Dort trug sich Folgendes zu (Spoiler-Alarm):  Eine Frau wacht auf. Sie weiß weder, wer sie ist, noch, wo sie ist. Plötzlich wird sie von einer Bande schreiender Vermummter mit Knüppeln durch einen ihr unbekannten Ort gehetzt. Nebendran stehen jede Menge Passanten und Hausbewohner. Doch was tun die, statt zu helfen? Sie gaffen nicht nur, sie filmen stumm und unnachgiebig – fast schon genüsslich – das Geschehen mit ihren Smartphones. Unfassbar. Beklemmend. Als Zuschauer empfindet man dabei natürlich umgehend Empathie für das Opfer. Doch dann erfolgt eine überraschende Wende. 

Die Vernetzung der Dinge

Patrick Breitenbach
Patrick Breitenbach (Foto: AMX Design - Alex Stiebritz)

Die Vernetzung der Dinge heißt Patrick Breitenbachs regelmäßige Kolumne über Wissenschaft und Netzkultur. Er ist Dozent (unter anderem für E-Business, Social Media und New Media Culture) und digitaler Botschafter an der Karlshochschule International University in Karlsruhe. Außerdem ist er als freier Berater und Konzepter für Organisationen (Marken- und Contententwicklung) tätig. Der gelernte Mediendesigner und langjährige Blogger und Podcaster (soziopod.depatrickbreitenbach.de) beschäftigt sich seit vielen Jahren autodidaktisch mit Soziologie, Philosophie, Wirtschaft und Politik.

Am Ende der Hetzjagd stellt sich heraus: Die gesamte Szenerie ist Teil eines gigantischen Strafvollzugsvergnügungsparks. Die gehetzte Frau ist die Mörderin einer jungen Familie. Die Hetzenden sind Schauspieler und die filmenden Passanten sind allesamt zahlende Parkbesucher. Am Ende wird die Frau auf einer großen Bühne mit ihrem Verbrechen konfrontiert und anschließend zurück in ihren nicht wissenden Dämmerzustand versetzt, um am nächsten Tag die gleiche Hetzjagd mit neuem Publikum erneut zu starten. Die Empathie für alle Protagonisten wird damit rigoros hinweggefegt. Es bleibt ein Gefühl vollständiger Entmenschlichung. Bei dieser futuristischen Variante des Strafvollzuges, mit Komponenten der modernen Selfie-Kultur, geht es weder um mögliche Reue noch um Resozialisierung oder gar um eine Rekonstruktion der Tat. Hier geht es nur noch um pure Macht und um den Drang einer Masse nach Rache und Vergeltung. 

Natürlich sind die Watchblogs rund um Professoren nicht wirklich direkt vergleichbar mit so einer überzeichneten Hetzjagd; dennoch weisen sie im Kern wichtige Parallelen auf. Es geht auch bei den Watchblogs vornehmlich um Macht. Es geht vielleicht sogar auch ein bisschen um Vergeltung. Es geht definitiv um vorausgegangene Kränkungen. Und es geht eben auch um eine digitale Inszenierung und die Lust am Zuschauen.

Voyeuristische Lust der Zuschauer

Die daraus entstandene Medienkaskade bedient, trotz massiver Kritik, die voyeuristische Lust der Zuschauer am Machtkampf. Wir zahlen mit unserer Aufmerksamkeit sozusagen symbolischen Eintritt für dieses Spektakel. Ohne Zuschauer, ohne Aufmerksamkeit wäre das alles vermutlich längst im Sande verlaufen. 

Ich persönlich empfinde die Existenz dieser Prof-Watchblogs vor allem als eine kleine Kapitulationserklärung mancher universitärer Betriebe. Ihr Dasein zeigt vor allem eines deutlich auf: Die tradierte Machtbeziehung zwischen Lehrenden und Lernenden scheint immer noch (oder gerade wieder) derartig asymmetrisch ausgerichtet zu sein, dass sich Studierende – egal aus welchem Motiv heraus – an einem Ort, der eigentlich freie Bildung nach Humboldt’schen Idealen verspricht, nicht mehr trauen, kritische Dialektik zu praktizieren. Jedenfalls nicht vor Ort. Nicht von Angesicht zu Angesicht. Vielleicht aus Angst vor Repressionen durch die Lehrenden. Vielleicht aber auch deshalb, weil der Lehrende es aus unterschiedlichen Gründen (Zeitdruck, keine Lust auf Lehre, keine Lust auf Diskussion) versäumt hat, den Raum für Kritik und Skepsis zu öffnen. Diese ausgetragenen Machtkämpfe haben so oder so offenbar einen konkreten Anlass. Und niemand scheint sich in den Einrichtungen dazu berufen zu fühlen, diesen asymmetrischen Disput im Sinne von Bildung und Aufklärung vernünftig zu klären und darin zu vermitteln. Das ist der eigentliche Jammer.

Das Internet ist ein prädestiniertes Werkzeug, um tradierte Machtbeziehungen ins Wanken zu bringen. Durch den niederschwelligen Zugang zum Diskurs (bedingt durch geringe publizistische Barrieren und eine enge Vernetzung mit etablierten Medien) kann ein namenloses Individuum im Kollektiv bestehende Machtbeziehungen zwischen Professoren und Studierenden quasi per Mausklick aushebeln oder gar umkehren.

Muss man deshalb alle Watchblogs und die zum Teil grenzwertige, mangelhaft argumentierte und stalkerhafte Durchführung also prinzipiell gutheißen? Absolut nicht. Aber ganz sicher muss man sie per se auch nicht verdammen. Was man daraus auf alle Fälle lernen könnte, wäre die Entwicklung eines Bewusstseins für bestehende Machtbeziehungen an deutschen Universitäten und wie sie wichtigen Bildungsprozessen im Weg zu stehen scheinen. Die aufpoppende Existenz von Watchblogs bietet jedenfalls genug Anlass zu einer breiten und offenen Reflexion rund um die Frage, ob eine deutsche Universität im Jahre 2015 ein Ort der gegenseitigen Bildung und der Habermas’schen herrschaftsfreien kritischen Auseinandersetzung sein soll oder ob sie eher ein Ort der einseitigen frontalen Ausbildung, der gekränkten Eitelkeiten, der unterschwelligen Angst aufgrund von Leistungsdruck und der Machtspiele um Deutungshoheiten bleibt?

Das Gute daran: An dieser Stelle kann sich dann auch wirklich jeder Akteur dieses Machtschauspiels an die eigene Nase fassen – inklusive mir als Zuschauer.