Foto: iStock/3DStock
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Wer Vielfalt will, muss die Balance halten

Kolumne,

Alle reden von Vielfalt und Diversity, von der Notwendigkeit, ungestraft anders denken und sein zu dürfen, und von den tollen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. In Unternehmen sind das oft nur leere Worthülsen, meint unser Kolumnist Gunter Dueck. Denn Diversity lässt sich nicht so leicht erreichen, wie die meisten denken.

Hey, wir brauchen Querdenker, Menschen, die anders ticken und den ganzen verschlafenen Laden in eine neue Zukunft führen! Sie nicken bestimmt. Toll! Das ist der Idealismus, den ich loben will! Doch halt: Es gibt andere Positionen:

  • Diversity funktioniert nicht, alle müssen an einem Strang ziehen.
  • Diversity macht solche Berater reich, die Vielfalt auf PowerPoints verkaufen – schön farbige diesmal, weil es das Thema nahelegt.
  • „Diversity – bitte, bitte!“ als Loser-Talk von verwundeten Leuten, die gegen Betonmauern rannten.
  • Meine Meinung: Das ist nicht so einfach, man sollte sich mit Systemen von Systemen befassen.

Die idealistische Forderung sieht sich den so empfundenen Ewiggestrigen gegenüber und reagiert wie immer militant böse oder wehmütig-resignierend angekränkelt – dabei gibt es immer Widerstand, wenn Idealismus auf Realität trifft. Zuerst gibt es sogar scheinbare Erfolge zu berichten: Die Marketing- und Kommunikationsabteilungen beeilen sich nämlich, jedem Idealismus zu huldigen, solange er sich auf die Hochglanzseiten beschränkt. „Unser Unternehmen ist der Innovation, der Tradition, der Familie, der Umwelt, der Nachhaltigkeit, dem Respekt und der unbedingten Wertschätzung von Topmitarbeitern verpflichtet.“

Jeder neue Idealismus wird der Aufzählung beigefügt, was möglichen Shitstorms vorbeugt. Damit alles nicht nur so ganz und gar ein Lippenbekenntnis bleibt, werden Berater engagiert, in diesem Fall Workshops in Diversity zu betreiben. Deren Ziel ist es, erfolgreich Diversity als integralen Prozess einheitlich über alle Bereiche in allen Geschäftsabläufen nachhaltig zu etablieren und in die Gehaltsziele verpflichtend einzubetten. Dazu können die Workshopschablonen der bislang erfolglosen Frauenquotenerhöhung fast unverändert wiederverwendet werden. 

Und da sind noch die schon immer anders Denkenden! Die jammern schon lange, dass man sie unterdrückt, daher betreiben sie bereits seit Jahren Loser-Talk. „Warum nur? Warum darf man nicht mal? Was ist das für eine Firma, in der ...?“

Direct Dueck

Gunter Dueck (Illustration: Irene Sackmann)
Gunter Dueck (Illustration: Irene Sackmann)

Gunter Dueck besitzt die Gabe, einen in innere Jubelstürme ausbrechen zu lassen. Das gelingt ihm, wenn man ihn als Vortragenden auf der Bühne erlebt, aber auch mit seinen Texten und Büchern, mit seinen Interviews. Er schafft es auf ganz außergewöhnliche Weise die Dinge auf den Punkt zu bringen: Oft schleicht er sich erst an ein Thema heran, um dann umso hartnäckiger ein Problem herauszuarbeiten. Seine Thesen trägt er zumeist ruhig und gelassen vor, und doch sind sie oft – das merkt man manchmal erst später – messerscharfe Fallbeile. Dann erheben sich – siehe oben – die inneren Jubelstürme. Und oft jubeln ihm die Menschen nicht nur innerlich zu: Auf großen Tagungen wie der re:publica ist er ein unumstrittener Star. Umso schöner, dass er das MERTON-Magazin mit einer regelmäßigen Kolumne bereichert. Er nennt sie „Direct Dueck“, was auf ein paar schöne scharfe Fallbeile in Textform hoffen lässt. 

Alle MERTON-Kolumnen von Gunter Dueck

Bei der Etablierung von Diversity in allen Geschäftsabläufen können die Workshopschablonen der bislang erfolglosen Frauenquotenerhöhung fast unverändert wiederverwendet werden.
Gunter Dueck (Foto: Michael Herdlein)

Gunter Dueck

Nicht so einfach, wie es klingt

Im Ernst: Mit Vielfalt und Diversity werden abermals Cargo-Kulte betrieben (siehe mein re:publica-Video auf Youtube), man denkt wieder einmal, dass alles ganz einfach sein muss. Einfach umdenken und gut is! Dabei ist es an der Zeit, sich wenigstens einmal bei Google Images ein paar Bilder der Weltanschauungsebenen rund um das Suchwort „Spiral Dynamics“ anzuschauen.

Die Botschaft dort: Wir sind von hierarchischen Systemen zu leistungsmessenden Überwachungen übergegangen. Nun möchten wir unter dem irren Arbeitsdruck dieser eigentlichen Ausbeutungssysteme wieder das Menschliche allgemein und die Vielfalt und Multikultur in den Vordergrund stellen. Da sich die Arbeitsdruckkulturen nicht zu Zukunftsinvestitionen aufraffen können, weil sie das Risiko eines schlechten Quartalsergebnisses scheuen, hält man ihnen nun die Start-up-Kulturen unter die Nase: Ätsch, die haben erfolgreich Diversity, die denken anders, die halten andere Kulturen für möglich und setzen um!

Die Kenner der Farben bei Spiral Dynamics wissen: Wir wollen die blaue und die orange Phasen verlassen und hin zu Grün und Gelb. Für nicht Eingeweihte: von Hierarchie/Leistung hin zu Gleichberechtigung/Systemik. Die Start-ups starten im gleichberechtigten Team, es sind am Anfang nur wenige Leute – jeder kennt jeden. Insbesondere hat jeder von ihnen unbedingt notwendige Schlüsseltalente, die jetzt und hier gebraucht werden. Das ist doch klar, sonst würde man sie im ersten Team nicht auf die Abenteuerreise mitnehmen! Also braucht man keine Hierarchien und keinen Druck, weil jeder seine Talente blühen lassen kann und auch deshalb am Anfang hoch motiviert ist.

Kann man diese Kultur erhalten, wenn das Start-up wächst? Noch schwieriger: Kann man ein etabliertes altes Großsystem in eine Start-up-Kultur überführen? Braucht man in Großsystemen so viel Vielfalt? Am Band? Im Callcenter? Beim Betreiben einer Fast-Food-Kette? 

Wer Vielfalt möchte, muss die Balance halten können.
Gunter Dueck (Foto: Michael Herdlein)

Gunter Dueck

Man muss wohl große Systeme als Systeme von Systemen führen. In solchen gibt es eben Untersysteme, in denen die Einheitlichkeit einer strikten Prozessebene herrschen muss, aber auch Untersysteme, die den Wandel vorantreiben, vielleicht auch so etwas wie „eine Kirche im Staat“, eine Institution, die sich für Werte an sich verantwortlich fühlt und den Idealisten Macht über das bloße Wort verleiht. Es gilt dann, achtsam die Balance zwischen den Untersystemen zu behalten. Das ist große Führung und kaum jemandem gegeben. Die Idealisten dürfen nicht zu sehr von Gleichberechtigung träumen, die BWLer dürfen nicht zu sehr alles gleichmachen, die Entwickler dürfen sich nicht in ihren Talenten verkünsteln, die Innovatoren nicht zu sehr (naiv, leichtfertig bis unverantwortlich) spinnen und nicht gleich alles Alte belächeln – und das Ganze sollte einem wertvollen Ziel zustreben.

Im Kleinen gilt das schon für eine Abteilung. Die hat ein Ziel, und dort prallen schon die Einzelpersonen als „Untersysteme“, als „Leistungsträger“, und andere aufeinander. Das Halten der Balance wird hier als gute Kommunikation oder als Teamgeist empfunden. Schon hier ist alles nicht so einfach, auch nicht nach dem jährlichen Appell-Hirnwäscheworkshop über emotionale Intelligenz (Balance der Herzen).

Wer Vielfalt möchte, muss die Balance halten können – beziehungsweise mehr als das, weil Vielfalt bei Weitem nicht so stabil ist wie Einheit. Wer Einheit will, kann leicht organisatorisch draufhauen. Erfolgreiche Vielfalt ist unendlich schwieriger. Wenn Sie das erkennen, haben Sie eine Chance.