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Wie das Glück in die Schule kam

Nicht die Schule, erst das Leben lehrte Ernst Fritz-Schubert, was in ihm steckt. Damit es den Schülern von heute nicht genauso geht, hat der Schuldirektor aus Heidelberg das Fach Glück erfunden. Esoterisch sei das und dass man Glück nicht lernen könne, haben seine Kritiker gesagt. Heute, zehn Jahre später, wird es an mehr als 100 Schulen in Deutschland und Österreich unterrichtet. Fritz-Schubert ist inzwischen pensioniert – und kann vom Glück nicht lassen. Ein Porträt.

Man braucht nicht viel, um Glück zu unterrichten. Ernst Fritz-Schubert legt ein imaginäres rotes Band auf den Tisch, um zu demonstrieren, worum es geht. Als er noch Lehrer war, hat er seinen Schülern ein echtes in die Hand gedrückt, einen roten Wollfaden, circa 50 Zentimeter lang. Damit sie Knoten hinein binden, für jede gemeisterte Herausforderung in ihrem Leben einen, für ein Problem, das sie gelöst, für eine Hürde, die sie überwunden haben. Ins Bewusstsein gerufene Erfolgserlebnisse zum Anfassen.

Es sei eine seiner Lieblingsübungen, sagt Fritz-Schubert. Weil sie nur mit einem Wollknäuel auf den Punkt bringe, was hinter dem Konzept stecke, das er entwickelt habe. Weil es Schülern bewusst mache, welche Ressourcen in ihnen steckten. Ihn selbst habe das nicht die Schule, sondern erst das Leben gelehrt. 

Fritz-Schubert ist ein kleiner, freundlicher Mann mit dichtem weißgrauem Haar und Oberlippenbart. Er sitzt am Schreibtisch in seinem Haus am Neckar in Heidelberg und erklärt, was es auf sich hat mit dem Schulfach Glück, das er erfunden hat, als er noch Direktor der Willy-Hellpach-Schule am anderen Ende der Stadt war. Er erzählt, wie er Kollegen für das Fach gewann, wie er Lehrkonzepte dafür schrieb und sich Glück als Wahlpflichtfach vom Kultusministerium in Baden-Württemberg genehmigen ließ. Bevor er es schließlich an seiner Schule einführte.

Heute, zehn Jahre später, wird es dort nach wie vor unterrichtet – und es steht an mehr als 100 Schulen in Deutschland und Österreich, an Grundschulen, Mittelschulen und Gymnasien auf dem Stundenplan, als ergänzendes Schulfach oder als Projektunterricht. Auch für Kitas, Fußballmannschaften und Rehazentren hat Fritz-Schubert das Konzept schon angepasst.

„Viele Jugendliche sehen in der Schule keinen Sinn, erfüllen nur die Erwartungen von Eltern und der Gesellschaft und sind sich ihrer Möglichkeiten gar nicht bewusst“, sagt Fritz-Schubert. Seit er mit 28 Jahren Lehrer geworden war, wollte er das ändern und Schule zu einem Ort machen, an den Kinder gern gehen, an dem das Lernen Spaß macht und eine Richtung hat. Doch es dauerte viele Jahre, bis die Idee in ihm reifte, ein eigenes Fach dafür zu entwickeln.

Anderswo machten sie vor, wie es funktionieren kann. In einer Schule in der bayerischen Kleinstadt Neumarkt gab es das Projekt „Erwachsenwerden“, das Fach „Well-Being“ in der Wellington-Privatschule nahe London und Happiness-Kurse an US-Universitäten. 90 Minuten Glück in der Woche, das musste doch auch in Heidelberg möglich sein. Ein Unterricht für Körper, Geist und Seele, der das Selbstwertgefühl und die Freude am Leben stärkt, den Schülern Lust an Herausforderungen vermittelt und sie unterstützt, Haltungen und Lebensziele zu entwickeln. Im Schuljahr 2007/2008 ging es los. 

Ernst Fritz-Schubert. (Foto: Marion Koch)
Der Glückslehrer: Ernst Fritz-Schubert in seinem Haus in Heidelberg.

Das neue Fach führte zu einem wahren Medienhype. Aus ganz Deutschland kamen Journalisten an die Hellpach-Schule, die ARD, der Spiegel, die Süddeutsche Zeitung und der Berliner Tagesspiegel berichteten darüber. Auch bei den Jugendlichen kam das Glück an, gleich drei Klassen konnte die Schule im Startjahr einrichten. Zwei Jahre später gründete Fritz-Schubert ein Institut zur Persönlichkeitsentwicklung, um Lehrer, Studierende und Erzieher für den Unterricht weiterzubilden. 

Ganz am Anfang lud Fritz-Schubert zum Glücksunterricht Experten ein, Sportler, die mit den Schülern an ihre Leistungsgrenzen gingen, Familientherapeuten, die sie darin unterstützten, ihren Platz in der Gemeinschaft zu verorten, Motivationstrainer, die ihnen vermittelten, sich von positiven Gedanken leiten zu lassen. In den Glücksklassen wurde gesund gekocht und zusammen gegessen, auch das gehörte für den Direktor zum Glück dazu. 

Übungen, die unter die Haut gehen

Inzwischen sind die externen Experten aus dem Konzept verschwunden. Es sei wichtiger, dass sich die Schüler auf einen Lehrer konzentrieren, zu dem sie Vertrauen aufbauen können, sagt Fritz-Schubert. Der Lehrplan setze auf Übungen, die unter die Haut gehen und zeigen, was Wohlbefinden ist, wie es entsteht und wie man selbst dazu beitragen kann. „Den Schülern soll deutlich werden, wie wertvoll das Zusammenspiel zwischen dem Selbst und der Gemeinschaft ist, wenn man daran arbeitet, seine Möglichkeiten zu entfalten“, erklärt der ehemalige Direktor. Nach wie vor ist Fritz-Schubert im Namen des Glücks unterwegs. Er geht auf Vortragsreisen, feilt an der Entwicklung der Weiterbildungskurse, schreibt Bücher und Ratgeber und hat eine Dissertation über das „Lernziel Wohlbefinden“ verfasst.

Mit dem neuen Fach machte sich der Schuldirektor nicht nur Freunde. Esoterisch sei das, was er mit den Schülern mache, warf man ihm vor. Er sei ein alter, wohlhabender Spinner, der so naiv sei zu glauben, dass ein solches Konzept auch an Brennpunktschulen funktioniere, habe eine Journalistin geschrieben. Fritz-Schubert zeigt nicht, ob er sich darüber ärgert. „Angebote, die die Persönlichkeit stärken und helfen, herauszufinden, was man in seinem Leben erreichen möchte, macht für Kinder und Jugendliche aller sozialen Schichten Sinn“, sagt er. Pilotprojekte in München und Berlin geben ihm recht: Das Fritz-Schubert-Institut bildet dort mit einem Münchner Verein Lehramtsstudierende zu Glückslehrern aus. Inklusive sind zwei Stunden Unterricht pro Woche an „Problemschulen“. Es scheint zu funktionieren. Im nächsten Jahr soll das Projekt auf weitere Städte ausgeweitet werden.   

Angebote, die die Persönlichkeit stärken und helfen, herauszufinden, was man in seinem Leben erreichen möchte, macht für Kinder und Jugendliche aller sozialen Schichten Sinn.
Ernst Fritz-Schubert. (Foto: Marion Koch)

Ernst Fritz-Schubert

Autor und ehemaliger Schulleiter

Um den Zweiflern am Glücksunterricht den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat Fritz-Schubert sein Konzept auf wissenschaftliche Studien gestützt und mit Psychologen, Pädagogen, Neurologen und Sportlern zusammengearbeitet. Mehrfach wurde der Unterricht evaluiert. Unter anderem von dem Juniorprofessor für Pädagogische Psychologie an der Universität Mannheim, Alex Bertrams. 106 Schüler hat der Wissenschaftler zu Beginn und zum Ende des Schuljahres 2010/2011 befragt. Das Ergebnis: „Das Schulfach ‚Glück‘ hat einen positiven Effekt auf das subjektive Wohlbefinden der Schüler“, sagt Bertrams. Dieser Effekt sei stärker bei denjenigen, die von vornherein emotional stabiler seien. Dennoch hält er die Einführung des Fachs prinzipiell für sinnvoll: „Im Endeffekt geht es ja darum, dass Schüler lernen, sich mit ihrer emotionalen Seite auseinanderzusetzen und in gewisser Weise Lebenskompetenz zu erwerben.“ Die Übungen, die ihnen vermittelt werden, seien wissenschaftlich begründbar. „Es ist keine Esoterik“, sagt Bertrams. Die Kritiker seien mittlerweile verstummt, sagt Fritz-Schubert. 

Am Nutzen des Glücksunterrichts hat Ernst Fritz-Schubert nie gezweifelt. Ihm wurden aber immer wieder die Grenzen des Faches vor Augen geführt. Er sagt, manche Schüler würden damit nicht erreicht und fehlendes Urvertrauen oder Selbstwertgefühl könnten nicht im Nachhinein vermittelt werden.

Warum hat er das Fach nicht Lebenskompetenz oder Persönlichkeitsentwicklung genannt? Ein Journalist habe ihm zu „Glück“ geraten. „Dann laufen sie dir die Bude ein“, habe er prognostiziert. Und so sei es ja auch gekommen. Glück bedeute zwar für jeden etwas anderes, sei aber immer positiv besetzt, jeder strebe danach. „Ohne dieses attraktive Etikett wäre das Konzept wohl nach ein paar Jahren im Sande verlaufen“, vermutet er.  

In der digitalen Welt sei das Fach wichtiger denn je. „Schülern bleibt wenig Zeit, über entscheidende Dinge nachzudenken, wenn ständig das Handy piepst und Nachrichten auf dem Bildschirm aufpoppen“, sagt Fritz-Schubert. In seinem Sinne wäre es, wenn sich das Fach weiter verbreiten würde – und langfristig gar kein Extrafach mehr für Glück gebraucht werden würde, weil Persönlichkeitsentwicklung und das Vermitteln von Lebensfreude zu allgemeinen Unterrichtsprinzipien geworden seien. 

Hintergrund

Der Stifterverband fördert – beispielsweise mit dem Deutschen Lehrerforum – den bundesweiten Austausch und die Vernetzung engagierter Lehrkräfte, trägt zur Wertschätzung ihrer Arbeit und ihres Engagements bei und positioniert ihre Anliegen gegenüber der Politik, Lehrerbildung und Öffentlichkeit. Mit Bildung & Begabung, dem Zentrum für Begabungsförderung,  setzt er sich dafür ein, dass jeder die Chance bekommt, das Beste aus seinen Begabungen zu machen – unabhängig von Herkunft oder Hintergrund.