Lehrer baut mit Schülern Windrad-Modell (Foto: iStock.com/gorodenkoff)
Lehrer baut mit Schülern Windrad-Modell (Foto: iStock.com/gorodenkoff)

„Wir müssen begreifen, dass Lehrerinnen und Lehrer in der Entwicklung unserer Kinder eine wichtige Rolle spielen“

Der Unternehmer Christian Boehringer über sein Engagement für bessere Schulen, über spät erkannte Talente – und darüber, wie sich die Schulen der Digitalisierung stellen können.

Herr Boehringer, Sie engagieren sich beim Stifterverband schon viele Jahre für gute Schulen. Ahnten Sie zu Beginn, dass das eine lebensbegleitende Aufgabe für Sie wird?
(lacht) Ich bin ursprünglich ganz klassisch zu diesem Thema gekommen: über meinen Sohn. Der ist in Frankfurt auf die internationale Schule gegangen, ich wurde in das Board of Trustees gewählt und wir haben es geschafft, sie zu einer der besten Schulen auszubauen. Später habe ich angefangen, mich für Phorms zu engagieren – das ist eine Kette von privaten Schulen, bei der ich den Eindruck hatte, ich könnte dort gemeinsam mit meinem Bruder Akzente setzen.

Woran erkennen Sie, ob eine Schule eine gute Schule ist?
Für ein wichtiges Kriterium halte ich die Implementierung des Konzeptes „lernende Schule“. Das heißt: Sie setzt sich selbst Ziele und überlegt sich genau, auf welchen Feldern sie sich verbessern will – und überprüft dann anhand von Daten, ob sie ihrem Ziel näherkommt. Das wesentliche Ziel dahinter ist, allen die weitere Bildung zu ermöglichen, die sie selbst anstreben. Es geht also nicht darum, möglichst viele Schülerinnen und Schüler in Oxford oder Cambridge unterzubringen. Wir sollten die Quote derer erhöhen, die sich ihren beruflichen Traum selbst erfüllen können.

Ist das nicht ein Ansatz, der nur für Schulen in wohlhabenden Gegenden funktioniert?
Nein, überhaupt nicht! Der Ansatz einer lernenden Schule hat sich bei privaten und öffentlichen Schulen gleichermaßen bewährt – und es gibt auch genügend Beispiele für Brennpunktschulen, die das Prinzip konsequent umsetzen und deren Schülerinnen und Schüler enorme Lernerfolge erzielen. Und das motiviert übrigens auch die Lehrkräfte!

Ein gutes Stichwort: Woran hapert es im deutschen Bildungssystem eigentlich am meisten – an der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer oder an den Weichenstellungen in der Schulpolitik?
Das größte Problem ist schlicht, dass wir zu wenige Lehrerinnen und Lehrer haben werden. Die Angebotslücke ist im Bereich der Sekundarstufe und an den Gymnasien hoch – in naher Zukunft werden uns da 30 bis 40 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer fehlen. Und es gibt noch eine wichtige Zahl: Etwa 40 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer sind älter als 50 Jahre.

Zur Person

Christian Boehringer (Foto: Boehringer Ingelheim)
Christian Boehringer (Foto: Boehringer Ingelheim)

Der Betriebswirt ist Vorsitzender des Gesellschafterausschusses bei Boehringer Ingelheim. Das Pharmaunternehmen gehört seiner Familie in vierter Generation. Er engagiert sich leidenschaftlich für bessere Schulen und war bei der Bildungsinitiative Zukunft machen des Stifterverbandes Themenbotschafter für das Handlungsfeld Lehrer-Bildung.

Woran liegt’s, dass der Beruf offenkundig nicht mehr attraktiv ist?
Ich glaube, das hat viel damit zu tun, wie Lehrerinnen und Lehrer in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Die Lehrerinnen und Lehrer sind generell an allem schuld, was schiefläuft. Wir müssen als Eltern, aber auch als Gesellschaft begreifen, wie wichtig Bildung ist und wie wichtig auch die sind, die das Wissen an den Schulen vermitteln. Dass die Menschen, die dort arbeiten, eben nicht ständig Urlaub machen und um 12 Uhr nach Hause gehen – sondern dass sie in der Entwicklung unserer Kinder eine wichtige Rolle spielen können.

Schön und gut, aber Wertschätzung allein löst das Problem des Lehrermangels noch nicht.
Deshalb finde ich auch, dass wir an den Universitäten mehr tun sollten, um geeignete Kandidatinnen und Kandidaten für das Lehramt zu finden. Das schaffen die skandinavischen Länder zum Beispiel besser als wir: Sie kanalisieren geeignete Studierende besser in die Lehramtsausbildung und sprechen sie auch gezielt darauf an.

In der öffentlichen Wahrnehmung sind die Lehrerinnen und Lehrer generell an allem schuld, was schiefläuft. Wir müssen als Eltern, aber auch als Gesellschaft begreifen, wie wichtig Bildung ist und wie wichtig auch die sind, die das Wissen an den Schulen vermitteln.
Christian Boehringer (Foto: Boehringer Ingelheim)
Christian Boehringer (Foto: Boehringer Ingelheim)

Christian Boehringer

In Deutschland wird schon länger der Ruf nach Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern laut. Ist das ein Rückschritt, weil die ja schließlich die didaktischen Qualifikationen nicht unbedingt mitbringen?
Natürlich ist es der Königsweg, ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer an die Schulen zu bringen, aber das hilft uns kurzfristig nicht über den Mangel hinweg. Es gilt aber auch: Nicht alle jungen Menschen, die direkt nach der Schule ihr Studienfach wählen, kennen da schon ihre wahren Talente. Ich glaube, es gibt eine ganze Menge Leute, die im späteren Leben feststellen, dass sie im Lehramt ganz gut aufgehoben wären. Warum sollten wir diese Leute also nicht in den Schuldienst übernehmen? Das langfristige Ziel muss es aber natürlich sein, sie schon an den Universitäten zu erkennen und zu einem Lehramtsstudium zu ermuntern. Fest steht in jedem Fall, dass in den nächsten Jahren viele Lehrkräfte nachkommen, die einer neuen Generation angehören …

… und affiner sind für die digitalen Themen. Wie digital wünschen Sie sich die Schulen?
Ich glaube, dass wir die Chancen der Digitalisierung noch nicht ausgeschöpft haben. Früher gab es nie genügend Geld für die Ausstattung der Schulen; zumindest dieses Problem ist jetzt durch den Digitalpakt gelöst. In der Pandemie haben Lehrkräfte angefangen, ihren Stoff auf digitalem Weg zu vermitteln, das hat gewaltige Fortschritte gebracht. Aber: Wir reden da über die erste Stufe – darüber, dass wir die Inhalte, die wir früher im Frontalunterricht vermittelt haben, jetzt in digitaler Form vermitteln.

Was wäre die zweite Stufe?
Die digitalen Konzepte sind viel besser geworden. Lehrkräfte sehen, ob die Schülerinnen oder Schüler die Inhalte begriffen haben und können ihnen dann die nächste Übung geben. Und sie sehen auch viel besser, wenn jemand noch Schwierigkeiten hat. In dem Fall können sie dem Schüler oder der Schülerin etwa ein Tool empfehlen, das hilft, die Sache mit der Bruchrechnung noch einmal in Ruhe zu wiederholen. Es entstehen gerade enorm starke Konzepte und ich bin mir sicher, dass wir da messbare Verbesserungen beim Lernerfolg erzielen werden.

Damit beziehen Sie die Digitalisierung vor allem auf die didaktischen Methoden. Wie müssen sich die Schulen inhaltlich mit den neuen Themen auseinandersetzen?
Die erste Herausforderung für junge Menschen ist es, verantwortungsvoll mit Informationen umzugehen: Wie kann ich zwischen seriösen Nachrichten und Fälschungen unterscheiden? Wie kann ich Informationen suchen, wenn ich mich für ein Thema interessiere? Wie kann sich also ein Digital Native verantwortungsvoll in der Welt bewegen?

Gehört für Sie da auch ein Informatik-Pflichtfach dazu – also die Auseinandersetzung damit, was da in den digitalen Geräten eigentlich passiert?
Wie Informatik in den Arbeitsalltag von Schulen integriert werden kann, ist zu einem zentralen Thema geworden. Der Umgang mit diesen Themen muss für angehende Lehrerinnen und Lehrer integral zur Ausbildung gehören.

Brauchen wir Bildungsinformatiker und -informatikerinnen?
Ja. Wir brauchen an den Schulen Spezialisten und Spezialistinnen, die genau wissen, wie die Technik funktioniert – übrigens nicht nur für die Vermittlung an die Schülerinnen und Schüler, sondern auch, um als Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner im Lehrerkollegium helfen zu können. Das ändert aber nichts daran, dass jeder Lehrer und jede Lehrerin digitale Kompetenzen brauchen. Das ist das Gleiche wie auch in anderen Berufen: Wer Medizin studiert, bekommt auch das digitale Handwerkszeug mit, das er oder sie künftig als Arzt oder als Ärztin benötigt.

Angesichts der vielen Defizite und der vielen Forderungen an die Schule hat man den Eindruck, dass Lehrkräfte dauerhaft in der Defensive sind. Wie gelingt es, sie wieder in die Offensive zu bringen?
Sie haben völlig recht: Das Hauptproblem ist, dass sich immer alle darüber beschweren, was nicht läuft. Das ist relativ einfach – sei es beim Elternabend oder in einer Talkshow. Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass man sich aber auch als Partner einbringen kann. Das habe ich selbst immer wieder getan, und das gefällt mir auch am Stifterverband: diese Haltung, Dinge nicht einfach liegenzulassen oder zu warten, bis sie jemand anderes löst, sondern sich selbst zu engagieren.

Daten zur Lehrer-Bildung

Illustration: Stifterverband
Illustration: Stifterverband

Welche Lehrkräfte braucht das Land – fragen Stifterverband und McKinsey in einer aktuellen Analyse. Fazit: Die nächste Lehrergeneration hat Nachholbedarf in digitalen und transformativen Kompetenzen – Grundvoraussetzung, um Schülerinnen und Schüler auf die Arbeits- und Bildungswelt von morgen vorzubereiten.

Diese und mehr Ergebnisse gibt es im Hochschul-Bildungs-Report, der im Frühjahr 2022 erscheint. Mit dessen finaler Ausgabe schließt der Stifterverband seine Bildungsinitiative Zukunft machen ab. Auf sechs Handlungsfeldern, wie unter anderem der Lehrer-Bildung, hatte er darin über einen Zeitraum von zehn Jahren untersucht, wie sich die deutsche Hochschulbildung entwickelt, dabei Herausforderungen identifiziert und selbst Programme und Initiativen aufgelegt, um die Hochschulbildung mehr Richtung und Substanz zu geben. Weitere Daten zum Hochschul-Bildungs-Report und zum Thema Lehrer-Bildung gibt es auf dem Datenportal des Stifterverbandes.