Rafael Laguna de la Vera
Rafael Laguna de la Vera (Foto: SPRIND GmbH)

Rafael Laguna de la Vera ist Gründungsdirektor der Agentur für Sprunginnovation

„Wir werden die großen Probleme der Zeit nur mit Technologie lösen“

Ob im Kampf gegen Mikroplastik oder Alzheimer, ob Analogrechner oder Hochwindrad – Rafael Laguna de la Vera will disruptive Innovationen aus Deutschland schneller auf den Markt bringen. Herauskommen sollen dabei auch neue Förderinstrumente. Der Chef der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) ist überzeugt: „Das wäre eine Art Meta-Sprunginnovation.“

Herr Laguna, die Bundesagentur für Sprunginnovationen soll als „Trüffelschwein“ in der deutschen Forschungslandschaft die klugen Köpfe und ihre revolutionären Ideen aufspüren. Macht Ihnen die Arbeit nach einem Jahr immer noch Spaß?
Ja! Aber wir haben ja zwei Aufgaben. Unsere erste Sprunginnovation sind wir selbst. Wir sollen neue, wesentlich agilere Förderungsinstrumente erfinden als die, die heute existieren. Da liegen mindestens 50 Prozent unserer Arbeit. Der andere Teil ist das, was man von außen sieht, die Projekte. Das macht wirklich Spaß und der Zuspruch ist groß. Wir haben bislang mehr als 440 Projektvorschläge aus den unterschiedlichsten Bereichen bekommen. 

Wo werden Sie denn fündig? In den großen Uni-Städten oder eher in der Provinz? Im Osten oder im Westen?
Das ist relativ gleichmäßig verteilt. Bei den Bundesländern sehen wir NRW, Sachsen und Bayern vorne. NRW und Bayern sind natürlich die großen Bundesländer. Vielleicht liegt es bei Sachsen auch ein bisschen daran, dass wir die Agentur in Leipzig haben und dadurch mehr Aufmerksamkeit bekommen. Wir sind etwas überrascht, dass nur um die 8 Prozent der Einreichungen direkt aus den Universitäten und der geförderten Forschungsarbeit an den wissenschaftlichen Instituten kommen. Häufiger sind es Menschen, die ihre Idee als Hobby privat verfolgen oder die eine kleine Firma haben, mit der sie ihr Geld verdienen. Und daneben haben sie dieses Sprunginnovationsprojekt, das fünf Nummern zu groß dafür ist, um es mit den finanziellen Mitteln ihrer Firmen umzusetzen. Meist haben sie eine wissenschaftliche oder ingenieurtechnische Ausbildung. Das heißt, wir bilden die Menschen aus, aber die eigentliche Entwicklung der Innovationsprojekte findet anschließend außerhalb der wissenschaftlichen Strukturen statt. 

Die gehen den Unis also durchs Netz.
Ja, wir sind in der Grundlagenforschung sehr gut unterwegs und sammeln auch genug Nobelpreise ein. Aber das Ausgründen gehört halt nicht mit zum Wissenschaftssystem. Das wird nicht incentiviert und häufig sogar erschwert. Mit Ausgründungen müssen Sie ja Lizenzen erwerben und die Uni-Institute sind an den Unternehmen beteiligt, was die Weiterfinanzierung durch private Kapitalgeber für diese ausgegründeten Unternehmen sehr schwierig macht. Die Zahlen sprechen da leider für sich. 

Gibt es viele Daniela Düsentriebs?
Das ist ernüchternd. 8 Prozent der Einreichungen sind von Frauen und 92 Prozent von Männern. 

Sehr ernüchternd! Wie kommt´s?
Wir sind natürlich in vielen Themen ein bisschen ingenieurlastig und da kennen wir ja die Frauenquote, die wir in den Universitäten produzieren. Es ist trotzdem mit 8 Prozent sehr wenig. Hat es mit unserer Ansprache zu tun? Müssen wir andere Themen weiter herausstellen? Wir haben extra ein Programm aufgesetzt, um die Sichtbarkeit der Agentur bei Frauen zu erhöhen und dort Ansprechpartner zu werden. Das muss besser werden.

Zur Person

rafael Laguna de la Vera
Rafael Laguna de la Vera (Foto: SPRIND GmbH)

Rafael Laguna de la Vera gründete mit 16 seine erste Firma und ist Mitgründer und CEO des Software-Entwicklers Open-Xchange AG. Der 56-Jährige gilt als Open-Source-Pionier und ist Mitgründungs­gesellschafter der Berliner CODE University of Applied Sciences. Seit Juli 2019 ist er Gründungsdirektor der Bundesagentur für Sprunginnovationen

Zurückhaltende Unis

Wir sind etwas überrascht, dass nur um die 8 Prozent der Einreichungen direkt aus den Universitäten und der geförderten Forschungsarbeit an den wissenschaftlichen Instituten kommen.
Rafael Laguna de la Vera (Foto: Peter Himsel)
Rafael Laguna de la Vera (Foto: Peter Himsel)

Rafael Laguna de la Vera

Aber es scheint ja viele Ideen zu geben …
Ja, anscheinend haben wir Erfinderinnen und Erfinder mit guten Ideen. Häufig werden die dann allerdings im Ausland umgesetzt. Da heben wir jetzt den Finger und sagen: Kommt her, wir machen das jetzt mal anders. Wir erproben, welche Instrumente wir schaffen müssen, um das zu ändern. Und diese Instrumente wollen wir dann im nächsten Schritt auch den wissenschaftlichen Institutionen für deren Fördermaßnahmen zur Verfügung stellen. Das wäre eine Art Meta-Sprunginnovation, weil wir dann wesentlich mehr aus den Forschungseinrichtungen und Universitäten herausbekommen würden. 
Der Wille ist übrigens da. Wir reden ja mit Universitätsverbänden und einzelnen Universitäten. Wir reden auch mit den wissenschaftlichen Institutionen, also Helmholtz-Zentren, Max-Planck- und Fraunhofer-Instituten etc. Ich glaube, die beobachten genau, was wir machen, und wir arbeiten auch bei einigen Projekten zusammen. 

Wie sieht denn Ihre Erfolgsbilanz nach einem Jahr aus? 
Ein erster Erfolg ist, dass wir selbst hervorragende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefunden haben, und auf der anderen Seite sind es natürlich die Projekte, die bei uns eingereicht wurden oder die wir aktiv gesourct haben. Das war meine größte Sorge, dass wir eine tolle Agentur bauen und dann kommt keiner. Wir haben jetzt rund 45 Projekte ausgewählt, die zu uns passen. Davon haben wir ein Viertel schon weiterentwickelt. Das heißt, wir können die Agentur auf die geplante Investitionshöhe bringen. 

Rafael Laguna de la Vera
Rafael Laguna de la Vera (Foto: SPRIND GmbH)

Was macht denn eine Erfindung zu einem iPhone oder einem Auto? Wie nähern Sie sich da an?
Wir haben einen Sieben-Punkte-Kriterienkatalog mit rund 90 Unterkriterien gebaut, die wir untersuchen. Wir beschreiben beispielsweise den Charakter der Innovation. Ist es eine Plattforminnovation oder eine einzelne technische Innovation? Plattforminnovationen haben das Potenzial, noch ganz andere Dinge zu disruptieren, und erhöhen die Wahrscheinlichkeit für eine Sprunginnovation. Das iPhone ist ein gutes Beispiel dafür. Oder der mRNA-Wirkstoffpfad, über den jetzt alle reden. Das ist ja mehr als ein Impfstoff. Man kann durch die Aktivierung des Immunsystems mittels mRNA möglicherweise auch Krankheiten wie Krebs bekämpfen. Damit hat Biontech mal angefangen. Das ist eine Plattform, aus der man dann vieles ableiten kann. 
Wir fördern jetzt selbst gerade ein Alzheimer-Projekt, das aus dem Forschungszentrum Jülich und der Helmholtz-Gemeinschaft kommt. Das beschreitet einen neuen, nämlich physikalisch-chemischen Wirkweg, bei dem die verklumpten Proteine, die mutmaßlich für die Krankheit verantwortlich sind, aufgelöst und wieder in ihre Einzelbestandteile zerlegt werden. Sie sind dann nicht mehr schädlich. Das könnte auch bei Parkinson, amyotropher Lateralsklerose (ALS) und Altersdiabetes funktionieren. Wir erschaffen also eine Plattform, um viele Alterskrankheiten zu bekämpfen. 

Wo finanzieren Sie noch im großen Stil?
Ein Projekt ist ein Hochwindrad, das mehr Windenergie erntet und sich somit auch in windschwächeren Regionen einsetzen lässt. Wenn sich das billiger bauen lässt und kontinuierlicher Energie liefern kann, dann ergeben sich mehrere Stellschrauben für weitere Verbesserungen und die machen das zur Sprunginnovation. 
Ein anderes Umweltthema ist die Entfernung von Mikroplastik aus dem Wasser. Wir machen das ohne Chemie mit Microbubbles, kleinen Luftbläschen. Damit können Sie nicht nur das Mikroplastik herausholen, das hydrophob ist und sich deshalb gerne an die Luftbläschen klammert. Es treibt dann mit nach oben, wo man es dann einfach abschöpfen kann. Damit werden wir wahrscheinlich auch die Wasserreinigung und den Bau von Kläranlagen revolutionieren. So könnten auch mehr Menschen sauberes Wasser bekommen. 

Vielleicht noch eine digitale Sprunginnovation in spe?
Im Digitalen haben wir ein Projekt, das eine alte Computerarchitektur komplett neu aufrollt, den berühmten Analogcomputer. Als wir vor eineinhalb Jahren das erste Mal darüber geredet haben, war das noch sehr exotisch. Mittlerweile können Sie nachlesen, dass man die Ziele der künstlichen Intelligenz nur mit anderen Computerarchitekturen als den digitalen erreichen kann, weil dort der Energieverbrauch einfach zu hoch ist. Wenn wir ein selbstfahrendes elektrisches Auto bauen, das die Batterien mit dem Bordcomputer leer saugt, dann können wir nicht mehr fahren. Aber auch bei anderen Anwendungen wie Hörgeräten, Herzschrittmachern, die sehr klein und sicher sein und möglichst lange laufen müssen, könnten solche Analogcomputerarchitekturen zum Zuge kommen. Sie stellen bestimmte Berechnungen sehr viel schneller und energieeffizienter an. Das werden wir jetzt großfinanzieren.

Begeisterung wecken

Es ist wichtig, Begeisterung zu wecken und zu sagen: Wir haben das Schicksal selbst in der Hand. Nicht nur rumstehen und jammern, sondern machen!
Rafael Laguna de la Vera (Foto: Peter Himsel)
Rafael Laguna de la Vera (Foto: Peter Himsel)

Rafael Laguna de la Vera

Unternehmer und Investor

Und wie machen Sie das?
Das Instrument, das wir dafür im Augenblick haben, ist eine 100-Prozent-Tochter-GmbH, die dann ein Darlehen des Bundes bekommt. Das ist für das Hochwindrad sehr gut geeignet, denn da ist unser Innovator 90 Jahre alt und will sich nicht mehr als Unternehmer betätigen. Für die anderen drei Projekte müssten wir eigentlich keine GmbH gründen, denn da existieren bereits Firmen der Innovatoren. Unsere Vorbildorganisation, die amerikanische Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), die Forschungsprojekte der US-Streitkräfte finanziert, würde ihnen einfach eine Zuwendung geben. Das können wir derzeit noch nicht, aber diese Instrumente schaffen wir uns gerade. Wir fördern allerdings keine militärischen Projekte. 

Ihre Innovatoren sind alle nicht mehr ganz jugendliche Daniel Düsentriebs. Ist Sprunginnovation etwas für weiße Männer ab 40? 
Das sieht erst mal so aus, ja. Aber wenn man in die Projekte hineinschaut, wird es diverser. Wir haben eine ganz junge Kryptografin im Analogcomputerteam. Unser Agenturteam ist auch gut durchmischt. Wir haben auch Projektideen von sehr jungen Leuten, die wir teils aus dem Silicon Valley zurückholen. Über diese Projekte dürfen wir leider noch nicht reden, aber das kommt. 

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Muss wirklich jeder zum Informatiker werden?

Stichwort Corona-Pandemie: Deutschland spielt vorne mit bei der Impfstoffentwicklung, aber sonst scheint gegen Corona kein Kraut gewachsen. Lähmt oder beflügelt Corona gerade den berühmten deutschen Erfindergeist? 
Ich glaube, die Pandemie beflügelt. Beispiele wie Biontech und Curevac sind äußerst beeindruckend und haben alles, was Sprunginnovationen haben müssen. Curevac-Gründer Ingmar Hoerr hatte als Student in Tübingen seinen Heureka-Moment und hat dann sein Leben dem Thema gewidmet, unternehmerisch diese Achterbahnfahrt überlebt und sich auch inhaltlich nicht beirren lassen. 
Und noch cooler sind natürlich die Biontech-Gründer, die Einwandererkinder sind, deren Eltern in Köln in den Ford-Werken geschuftet haben. Am Ende werden diese Innovatoren hoffentlich alle einen Nobelpreis bekommen. Das wäre das Mindeste, würde ich sagen. Und reich werden sie auch noch, auch wenn sie darauf keinen allzu großen Wert legen. 
Ich finde, diese Beispiele kann man nicht oft genug zitieren. Und ich merke, dass sie Begeisterung auslösen. Ich glaube, dass sich jetzt viele Menschen davon angesprochen fühlen und sagen: Wow, das sind doch großartige Vorbilder. 

Was können wir von der Impfstoffentwicklung noch abgucken?
Dass wir uns nicht selbst bremsen sollten! Beim Impfstoff haben wir Glück gehabt, dass die Entwickler gerade vor diesem Durchbruch waren. Und wir haben all die Verzögerungsinstrumente, die wir in der Zulassung haben, einfach mal fallen lassen. Und zack – ging es sehr schnell mit der Zulassung. 

Wird die Bundesagentur für Sprunginnovationen dazu beitragen, dass sich die Innovationskultur in Deutschland verändert? 
Meiner Meinung nach werden wir die großen Probleme der Zeit nur mit Technologie lösen. Selbst die, die wir mit Technologie geschaffen haben. Ich glaube, dass wir als Bundesagentur den Auftrag haben, das zu kommunizieren. Es ist wichtig, Begeisterung zu wecken und zu sagen: Wir haben das Schicksal selbst in der Hand. Nicht nur rumstehen und jammern, das können wir Deutsche ja gut, sondern machen! Und deswegen ist das Curevac-Biontech-Beispiel so schön. Denn damit haben wir uns in diesem Land gerade selbst gerettet. 

Forschungsgipfel: Förderung von Sprunginnovation weiter ausbauen

Logo des Forschungsgipfel 2021 (Grafik: Stifterverband)
Logo des Forschungsgipfel 2021 (Grafik: Stifterverband)

Wie kommt Deutschland gestärkt aus der Corona-Krise? Darüber haben sich im Herbst 2020 30 Entscheider aus Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik beim Forschungsgipfel Roundtable ausgetauscht und Empfehlungen formuliert. Eine der Forderungen: „Wir müssen die Förderung von Sprunginnovationen weiter ausbauen – durch gezielte Vergabe von Fördergeldern für risikoreiche Forschungsvorhaben jenseits der klassischen Projektförderung und einen Ausbau der Förderfonds.“ Das erfordere auch eine neue Innovationskultur, die Mut zum Risiko honoriere und auf Fokussierung statt auf Breitenförderung setze.

In einem Ergebnispapier wurden diese und weitere Empfehlungen für einen starken deutschen Innovationsstandort zusammengefasst.

Mehr zum Forschungsgipfel und dem Ergebnispapier