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„Wir wollen als offenes und kooperatives Unternehmen wahrgenommen werden“

Wenn Unternehmen mit der Wissenschaft zusammenarbeiten, ist das selten konfliktfrei. Auch von Außen werden solche Kooperationen kritisch beäugt. Man befürchtet Einflussnahme der Geldgeber auf wissenschaftliche Entwicklungen. Dem kann man nur mit Transparenz begegnen, wie Monika Lessl von Bayer im Interview deutlich macht.

Die Bayer AG, Mitglied im Stifterverband, hat im September als erstes DAX-Unternehmen ein Transparenzregister für wissenschaftliche Kooperationen mit externen Partnern wie zum Beispiel Universitäten eingeführt: den Bayer Science Collaboration Explorer, eine frei zugängliche Datenbank. Im Gespräch erläutert Monika Lessl, Leiterin des Bereichs Corporate R&D and Social Innovation der Bayer AG, aus welchen Gründen sich das Unternehmen zu diesem Schritt entschieden hat. 

Sie sind schon seit 30 Jahren in Wissenschaft und Wirtschaft in herausgehobenen Positionen tätig. Wie sind Sie zum Thema Wissenschaft gekommen? War das schon früh in Ihnen angelegt?
Monika Lessl: Im Prinzip bin ich schon in der Schule durch sehr gute Lehrerinnen und Lehrer dafür begeistert worden. Alles, was mit Genetik zu tun hatte, war für mich besonders interessant. Zu lernen, im „Buch des Lebens“ zu lesen, zu sehen, wie all die unterschiedlichen Lebensformen auf der Erde molekular gesteuert werden, finde ich bis heute faszinierend. 

Da war der Weg in die Wissenschaft geradezu vorgezeichnet …
In gewissem Sinne ja. Ein Biologiestudium lag auf der Hand. Und dann hatte ich das Glück, dass ich meine Doktorarbeit im Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik schreiben konnte.

Eine exzellente Adresse.
In der Tat. Und für mich damals der Ort, an dem ich gelernt habe, wirklich gut wissenschaftlich zu arbeiten. Wie setzt man ein Experiment auf? Wie generiert und überprüft man valide Daten? Wie stellt man Hypothesen auf und wie evaluiert man Ergebnisse? Passen die Daten zur Hypothese? Oder muss ich noch einmal neu beginnen? Und das Ganze dann immer im Austausch mit führenden Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen – das hat mich entscheidend geprägt.  

Trotzdem hat es Sie dann in die Wirtschaft gezogen – Sie gingen zu Schering.
Ich hatte auch die Möglichkeit, in der Forschung zu bleiben. Zum Beispiel nach England zu gehen. Aber die Option Schering lockte mich als Postdoc mit der Aussicht, mit einer eigenen Gruppe ein neues Forschungsgebiet zu etablieren. Im Bereich Frauengesundheit ging es um die gynäkologische Forschung an Krankheiten wie Endometriose und gutartige Tumore der Gebärmutter.

War das ein Kulturschock für Sie?
Nein, ganz und gar nicht. Die Wissenschaft spricht überall die gleiche Sprache. Natürlich geht es in der Wirtschaft am Ende darum, wissenschaftliche Erkenntnis in Innovationen zu übersetzen. Aber ich habe es ja hier mit explizit wissenschaftlichen Fragestellungen zu tun. Bei der Endometriose gibt es nach wie vor keine ausreichenden Behandlungsoptionen: Es ist daher sehr erfüllend, die Situation von Patientinnen verbessern zu können. Diese anwendungsorientierte Perspektive reizt mich sehr. Aber: Keine Anwendung ohne Grundlagenforschung. 

Porträt Monika Lessl
Monika Lessl (Foto: Bayer)
Bayer-Managerin Monika Lessl: „Wirtschaft und Wissenschaft wissen zu wenig übereinander.“

Wissenschaft und Wirtschaft sind im Prinzip geborene Partner. Warum ist das Verhältnis bei Kooperationen trotzdem oft so gespannt?
Die Zusammenarbeit ist oft davon geprägt, dass beide Seiten zu wenig übereinander wissen. Bei den Kooperationen, die ich auf den Weg gebracht habe, war es sehr wichtig für den Erfolg, dass man zunächst Vertrauen aufbaut und sich offen über die gemeinsamen Ziele unterhält. Dazu gehört beispielsweise auch eine Verständigung über Terminologien, die in der Wirtschaft vielleicht anders verwendet werden als in der akademischen Forschung. Ich halte es gerade zu Beginn von Kooperationen für extrem wichtig, zunächst einmal die Beziehungsebene zu klären, statt direkt in die Sachebene einzusteigen. 

Es sind also eher die „weichen“ Beziehungsfragen, die über das Wohl und Wehe entscheiden?
Richtig: Mehr als 60 Prozent der Kooperationen scheitern daran. Strategische Fragen sind viel seltener das Problem. 

Ein grundsätzliches Problem mit solchen strategischen Kooperationen haben Außenstehende. Nicht selten herrscht die Meinung vor, öffentlich finanzierte Wissenschaft sollte möglichst überhaupt nicht mit Wirtschaft kooperieren. Man fürchtet hier Einflussnahme durch die Wirtschaft beziehungsweise finanzielle Abhängigkeiten aufseiten der Hochschulen. Was entgegnen Sie solchen Vorwürfen?
Wir müssen auch an dieser Stelle für Vertrauen sorgen. Durch möglichst große Transparenz können wir uns dieses Vertrauen erwerben. Wir müssen zeigen, wer mit wem kooperiert, an welchen Fragestellungen gearbeitet wird und wie viel Geld fließt. 

Mehr als 60 Prozent der Kooperationen scheitern auf der Beziehungsebene. Strategische Fragen sind viel seltener das Problem.
Monika Lessl
Monika Lessl (Foto: Bayer)

Monika lessl

Bayer AG

Und wie machen Sie das bei Bayer?
Wir haben uns entschieden, unsere Kooperationen offenzulegen und zum gemeinsamen Dialog über die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Wissenschaft einzuladen. In unserer Web-Datenbank „Bayer Science Collaboration Explorer“ legen wir offen, mit welchen Partnern wir in welchen Fragen zusammenarbeiten. 

Das ist ungewöhnlich. Welche Reaktionen haben Sie erhalten?
Die Resonanz war von allen Seiten sehr positiv. Was uns in unserem Vorgehen bestätigt: Wir wollen als offenes und kooperatives Unternehmen wahrgenommen werden – die neue Transparenz ist für uns also kein Nachteil, sondern sogar ein Wettbewerbsvorteil. Hinzu kommt: Viele Hochschulen sind bereits jetzt angehalten, ihre Kooperationen offenzulegen – zukünftig wird das sicherlich für die meisten Einrichtungen gelten. Deswegen ist es für uns doch besser, jetzt proaktiv Transparenz zu schaffen, als später der Entwicklung hinterherzulaufen. So haben wir noch die Möglichkeit, diesen Prozess mitzugestalten und für uns als Chance zu nutzen.

Gibt es bei der Transparenz für Sie auch Grenzen – Stichwort geistiges Eigentum?
Ja, das muss man bei allem Willen zur Offenheit natürlich immer berücksichtigen. Am Ende gibt es für ein Wirtschaftsunternehmen natürlich rote Linien, wenn rechtliche Fragen berührt werden. Aber auch das war Teil unserer Überlegungen bei der Vorbereitung des Bayer Science Collaboration Explorer. 

Hatten Sie Partner bei der Entwicklung des Registers?
Der Stifterverband hat uns bei der Erstellung des Transparenzregisters mit seiner Expertise bei Themen wie Open Science und Open Data und seinem exzellenten Netzwerk großartig unterstützt. Wir haben gemeinsam Workshops mit Hochschulen und anderen DAX-Unternehmen veranstaltet, von denen wir bei der Ausarbeitung des Registers und der Schärfung unserer gesamten Transparenzstrategie sehr profitiert haben. Im Frühjahr 2022 wird es einen weiteren Workshop geben, bei dem wir unsere Erfahrungen nach dem Launch teilen und gemeinsam auswerten wollen.

Kann man das gesellschaftliche Bedürfnis nach mehr Offenheit und Transparenz mit so einer Initiative befriedigen? Oder muss da langfristig – auch vonseiten der Wirtschaft – noch mehr kommen?
Ich glaube, die Aufgaben der Zukunft – Demografie, Gesundheit, Klima – sind so groß, dass diese nur gemeinsam von allen gesellschaftlichen Akteuren bewältigt werden können. Und das geht nur mit größtmöglicher gegenseitiger Offenheit, nicht nur in der Industrie. Alle Institutionen müssen sich stärker öffnen und um Vertrauen werben.

Laut dem aktuellen „Wissenschaftsbarometer“ ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft recht hoch. Auf der anderen Seite verdunkeln Fake News und Verschwörungserzählungen den gesellschaftlichen Debattenraum – beispielsweise um die neuartigen Covid-19-Impfstoffe. Ist es da mit Appellen für mehr Offenheit wirklich getan?
Ich denke, es lohnt sich, genau hinzuschauen, wo die Ablehnung herkommt. Da gibt es unterschiedliche Antriebe, sei es eine grundsätzliche Verweigerungshaltung oder sei es die schlichte Angst vor dem Neuen und Unbekannten. Die einen kann man vielleicht noch durch entsprechende Aufklärung erreichen, denn ich glaube, viele Ängste entstehen aus dem Nichtwissen. Wir haben einen großen Nachholbedarf in den MINT-Fächern und müssen uns mehr Mühe geben, die komplexen Zusammenhänge dieser Disziplinen deutlich zu machen. Das tun wir übrigens auch durch die Bayer-Stiftung

Komplexe Zusammenhänge allgemein verständlich zu machen, ist auch eine Aufgabe des Wissenschaftsjournalismus.
Richtig. Die Pandemie hat auch gezeigt, dass viele Journalistinnen und Journalisten sich plötzlich mit wissenschaftlichen Fragen beschäftigen mussten, ohne wissenschaftsjournalistische Expertise zu haben. Und es hat sich auch gezeigt, dass es hier große Wissensdefizite aufseiten vieler Journalisten und Journalistinnen bezüglich des Wissenschaftssystems gab und gibt. Dabei käme es gerade jetzt darauf an, zu zeigen, wie Wissenschaft, wie der Wissenschaftsbetrieb funktioniert. Dass Wissenschaft nie geradlinig ist, sondern mit Hypothesen arbeitet, dass sie sehr oft Umwege nehmen oder sogar wieder von vorn beginnen muss. Wissenschaftsjournalismus spielt hier eine enorm große Rolle, weshalb wir auch verstärkt darauf achten müssen, dass in der Wissenschaftskommunikation professionell ausgebildet wird. Hier leistet unter anderem das Science Media Center Germany, welches wir auch über die Bayer-Stiftung unterstützen, hervorragende Arbeit.