Anja Karliczek bei ihrer Rede auf dem Forschungsgipfel 2018 (Foto: David Ausserhofer)

Wissenschaft in die Herzen der Menschen

Kolumne,

Sich öffnen, zuhören, sich erklären – eine aktive Wissenschaftskommunikation forderte BMBF-Ministerin Anja Karliczek auf dem Forschungsgipfel 2018. Damit folgt die Ministerin einer langen Tradition an Verlautbarungen und handfesten Papieren wie dem PUSH-Memorandum des Jahres 1999. Vielleicht ist es mit Ministerin Karliczek jetzt an der Zeit, mehr davon wirklich zu tun.

Offenkundig ist seit 1999 vieles in der Wissenschaftskommunikation von Seiten der Forschungsinstitutionen geschehen. PUSH bewegte wichtige Dinge, wie die Gründung von Wissenschaft im Dialog, die Etablierung des Communicator-Preises oder den Aufbau von Wissenschaftszentren – und vor allem eine Professionalisierung der Kommunikation der Institutionen durch den Aufbau von Kommunikationsabteilungen.

Eine in alle Ebenen eingebettete Kommunikationskultur ist in Deutschland trotzdem noch weit entfernt. Ein Umdenken ist dringend notwendig. Wissenschaft muss durchlässiger werden für die Öffentlichkeit. „Neue Ideen müssen die Herzen der Menschen erreichen“, formulierte die Ministerin. Das sei die Basis, „auf der wir Zukunft gestalten können, die Basis unserer Forschungs- und Innovationspolitik.“ Viel Kluges ist dazu bereits gedacht.

Gehen wir auf eine kleine Zeitreise. Im PUSH-Memorandum (Public Understanding of Science and Humanities) des Jahres 1999, das von namhaften Präsidenten namhafter deutscher Forschungsinstitutionen unterzeichnet wurde, finden sich unter anderem folgende Passagen:

  • Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden aufgefordert, ihre Arbeit öffentlich auch in einer für den Nicht-Spezialisten verständlichen Form darzustellen.
  • Das Engagement für diesen Dialog darf dem wissenschaftlichen Ruf nicht abträglich sein, es sollte zu einem zusätzlichen Merkmal wissenschaftlicher Reputation werden.
  • Die Würdigung von Leistungen im Dialog mit der Öffentlichkeit soll im Rahmen der internen und externen Begutachtung bzw. Evaluation zusätzlich zur Würdigung der wissenschaftlichen Leistung erfolgen. Geeignete Formen der Anerkennung sollen entwickelt werden.
  • Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden aufgefordert, die notwendige Infrastruktur bereitzustellen sowie Lehr- und Weiterbildungsangebote zu entwickeln, die die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in die Lage versetzen, ihre Arbeit öffentlich zu präsentieren.

Es klingt erstaunlich weitsichtig, was im PUSH Memorandum bereits verankert wurde. Dieselben Themen werden heute auf Fachtagungen wie neu diskutiert und in weitere Positionspapiere gepackt – wie beispielsweise in das Positionspapier des Wissenschaftsrates 2016 oder international in den Code of Ethics des World Economic Forum 2018.

PUSH II mit Engagement

Für die eigentlichen Akteure der Wissenschaft jedoch, für die Forschenden, ist die vor fast 20 Jahren angedachte Kommunikationskultur mit einem Anreiz- und Reputationssystem nur vereinzelt realisiert. Dabei sind es genau die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die als authentische Personen für ihre Forschungsthemen stehen und wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn glaubwürdig vermitteln können. Deshalb müssen wir sie neben den beiden weiteren zentralen Akteuren in der Wissenschaftskommunikation, den Journalisten und den Öffentlichkeitsarbeitern, vermehrt in die Kommunikationsprozesse einbinden.

1999 ging man davon aus, dass es vor allem die Unwissenheit über wissenschaftliche Zusammenhänge sei, die zu ablehnenden Haltungen und einer gesellschaftlichen Technikfeindlichkeit führten. Ein gesteigertes Verstehen (Understanding) sollte helfen. Der Ansatz, über Kommunikationsabteilungen und vielfältige Veranstaltungsformate das Wissen nach draußen zu streuen, war eine zunächst schlüssige Konsequenz.

Heute haben wir weitgreifendere Probleme. Kommunikation hat sich gewandelt. Sich viral verbreitende Fake-News und Filterblasen in Sozialen Medien verzerren die Realität. Die klassischen Medien mit objektiver Berichterstattung auf Faktenbasis geraten ins Hintertreffen. Stattdessen dominiert Populismus, der wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert und ihnen mit leeren Phrasen begegnet. „Es ist höchste Zeit für ein neues PUSH-Memorandum! Für einen neuen Aufbruch, der teils auch ein Widerstand sein müsste gegen Tendenzen, die darauf abzielen, die Freiheit der Wissenschaft einzuschränken und ihre Rolle als zukunftsgestaltende Kraft unseres demokratisch verfassten Gemeinwesens in Frage zu stellen“, formulierte Jens Rehländer zurecht kurz vor dem Forschungsgipfel. 

Wissen.Werte.Worte

Beatrice Lugger
Beatrice Lugger (Illustration: Irene Sackmann)

Wissen. Werte. Worte. ist eine Kolumne zur Wissenschafts­kommuni­kation von Beatrice Lugger. Die Wissenschafts­journalistin und Direktorin des Nationalen Instituts für Wissenschafts­kommunikation, NaWik, legt großen Wert auf eine verständliche Kommunikation von Wissen und Wissens­wertem. Diese gilt es zu stärken. Denn heute reden alle mit – mehr oder weniger qualifiziert, ambitioniert und motiviert. Es gibt eine Flut an Informationen, richtigen und falschen Behauptungen oder in die Irre leitenden Metaphern. Gerade deshalb plädiert Lugger für den Dialog, für die Nutzung interaktiver Formate und eine Debatten­kultur in der Wissenschafts­kommuni­kation auf Augenhöhe.

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Von PUSH zu PESH

Dieses PUSH II könnte ein PESH werden: Public Engagement in Science and Humanities. Der unidirektionale Gedanke von PUSH („Wir kommunizieren, informieren und Ihr werdet verstehen“) muss ein multidirektionaler werden („Wir kommunizieren mit Euch, hören zu, lernen voneinander“).

PESH oder PUSH II könnte neben den oben genannten noch weitere Ziele haben:

  • Die Akteure der Wissenschaftskommunikation benötigen spezifische Kommunikationskompetenzen. Denn Wissenschaftskommunikation muss spezifisch an Zielgruppe, Anlass, Medium und Format ausgerichtet sein.
  • Insbesondere für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler muss eine Weiterbildungs-Infrastruktur geschaffen werden, bzw. Kommunikation in den Masterstudiengängen verankert werden.
  • Konkret werden in Forschungsprojekten anteilig Zeit- und Finanzbudgets für Kommunikation und Dialog definiert. Damit stehen die notwendigen Mittel für den Kommunikationsauftrag zur Verfügung.
  • Regelmäßige Tage der Wissenschaftskommunikation mit entsprechenden Workshops und Diskussionen können in Forschungseinrichtungen eine Kommunikationskultur stärken.
  • Kommunikationsexpertise wird eines der Kriterien für Neuanstellungen. Dies schafft Anreiz und Anerkennung für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
  • Eine Stärkung des Wissenschaftsjournalismus kann durch geeignete Förderung gelingen.
  • Kommunikationsformate müssen vermehrt interaktiv und dialogorientiert sein und durch Begleitstudien in ihrer Nachhaltigkeit analysiert werden.

Dies sind nur einige Gedanken. Wir brauchen eine lebendige Kommunikationskultur in unseren Forschungseinrichtungen und Kommunikation als Teil des wissenschaftlichen Selbstverständnisses. In diesem Sinne wäre ein neuer Impuls in Form eines neuen Memorandums anlässlich 20 Jahren PUSH im Mai 2019 wichtig – idealerweise mit sehr konkreten Maßnahmen. Dann kann es vielleicht gelingen, die Herzen der Menschen zu erreichen.