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Der Handel mit Wissenschaft in Zeiten von Fake-News

Kolumne,

Open Access ist wichtig und schafft mehr Transparenz. Predatory Journals und die aktuelle Berichterstattung darüber mehren Zweifel an der Integrität von Wissenschaft. Sie bergen aber noch eine viel größere Gefahr: wirkliche Fake Science, die gezielt lanciert werden kann.

Früher war verschriftlichtes Wissen mehrheitlich den Weisen vorbehalten. Nur ihnen wurde der Zutritt in die heiligen Hallen der Bibliotheken gewährt. Ein Grundgedanke der Wissenschaft ist, Wissen zu teilen. Ein weiterer ist, dies durch geteiltes Wissen zu mehren und anzureichern. Ursprünglich ist das Internet genau dafür entstanden: Für einen besseren Austausch innerhalb der Wissenschaften und für offenen Datentransfer.

Heute haben alle Menschen mit Internetanschluss Zugriff auf eine stetig wachsende Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen. Open Access Journale erzeugen seit gut 20 Jahren eine neue und höhere Transparenz. Der Austausch reicht auch über die Wissenschaftsgemeinde hinaus. Das ist großartig…

…und wird potenziell gefährlich, wenn sich dort schwarze Schafe breit machen. Und das tun sie von Anfang an. Das Directory of Open Access Journals listet nach eigenem Bekunden die „guten“, also wissenschaftliche Open Access-Fachzeitschriften mit Qualitätskontrolle auf. Im Dezember 2004 war die Liste noch überschaubare 1.400 Journals lang. Ende 2015 war sie bereits auf über 10.800 angewachsen. Parallel ist auch die Zahl der „räuberischen“ Open Access Journals laut einem Report der Neuen Zürcher Zeitung vom Februar 2018 auf über 10.000 gestiegen. Eine Liste vieler dieser Predatory Journals hat der Bibliothekswissenschaftler der University of Colorado, Jeffrey Beall, erstellt1. Diese Journals nehmen gegen Geld alles an, was sie in die Finger bekommen, mit unterirdischer, also keiner, Qualitätskontrolle.

Dass es diese Geschäftemacher gibt, ist innerhalb der Wissenschaften absolut kein Geheimnis und nichts Neues. Wer im Wissenschaftsbetrieb Fuß gefasst hat, für den gehören E-Mails von „Spitzen-Fachjournalen“ aus Indien oder Einladungen zu „Top-Konferenzen“ nach China zum Klickalltag. Klick – und sie landen meist im Spam-Ordner. Aber eben nicht immer, wie die aktuelle Berichterstattung neuerlich bestätigt.

Immer wieder haben Journalisten oder Forscher die Predatory Journals vorgeführt. Berühmt ist der Bericht des Science Autors John Bohannon aus dem Jahr 2013. Er hatte eine Studie völlig frei erfunden und sie in verschiedenen Varianten bei 304 Open Access Journalen eingereicht.

„I have submitted 304 versions of the wonder drug paper to open-access journals…In fact, it should have been promptly rejected. Any reviewer with more than a high-school knowledge of chemistry and the ability to understand a basic data plot should have spotted the paper’s shortcomings immediately. Its experiments are so hopelessly flawed that the results are meaningless.“

Sein Paper wurde 157 mal angenommen – auch von einigen Journalen der „guten” DOAJ-Liste.

Wissen.Werte.Worte

Beatrice Lugger
Beatrice Lugger (Illustration: Irene Sackmann)

Wissen. Werte. Worte. ist eine Kolumne zur Wissenschafts­kommuni­kation von Beatrice Lugger. Die Wissenschafts­journalistin und Direktorin des Nationalen Instituts für Wissenschafts­kommunikation, NaWik, legt großen Wert auf eine verständliche Kommunikation von Wissen und Wissens­wertem. Diese gilt es zu stärken. Denn heute reden alle mit – mehr oder weniger qualifiziert, ambitioniert und motiviert. Es gibt eine Flut an Informationen, richtigen und falschen Behauptungen oder in die Irre leitenden Metaphern. Gerade deshalb plädiert Lugger für den Dialog, für die Nutzung interaktiver Formate und eine Debatten­kultur in der Wissenschafts­kommuni­kation auf Augenhöhe.

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Natürlich haben die Promotoren der Open Access-Bewegung auf diese Entwicklungen reagiert. So hat beispielsweise die Open Access Scholarly Publishers Association gemeinsam mit weiteren im Dezember 2013 die „Principles of Transparency and Best Practice in Scholarly Publishing“ verfasst. Dem folgen immer wieder Aufrufe, über die Predatory Journals zu informieren; auch darüber, wie Forscher eine geeignete Auswahl bei der Einreichung ihrer wissenschaftlichen Arbeiten treffen können.

Siehe beispielsweise ein Aufruf von Forschern in Nature im September 2017: „We believe that publishers, research institutions and funders should issue explicit warnings against illegitimate publishers and develop cohesive recommendations on publication integrity together. Funders and research institutions should…make sure that researchers are trained in how to select appropriate journals when submitting their work…”

Wie das gelingen kann, dazu listet das Science Media Center Deutschland auch einige praktische Hilfen – angefangen vom einfachen Think, Check, Submit bis zum Journal Evaluation Tool. Auch einzelne Universitäten wie die Humboldt Universität zu Berlin informieren ihre Forschenden längst zum Thema Predatory Publishing. Wichtig ist vor allem die Sensibilisierung des wissenschaftlich noch unerfahrenen Nachwuchses – aber offenkundig auch einiger etablierter Forscher. 

Predatory Journals bieten Einfallstore für Menschen außerhalb des wirklichen Wissenschaftsbetriebs. Pseudo-Wissenschaftler können ihre Thesen und Meinungen in Pseudo-Studien verpacken.
Beatrice Lugger
Beatrice Lugger (Foto:NaWik/ Tim Wegner)

Beatrice Lugger

Infolge der aktuellen Berichterstattung sind natürlich große wie kleine Forschungseinrichtungen nun explizit angesprochen und wollen prüfen und informieren. Man kann den Eindruck haben, dass wir in Deutschland innerhalb der Wissenschaftsgemeinde noch ganz gut für dieses Thema sensibilisiert sind und es jetzt natürlich noch mehr sein werden.

Aber es gibt sie nun einmal, die schwarzen Schafe. Und die mit dem Wort #FakeScience versehene Berichterstattung untergräbt natürlich die Glaubwürdigkeit in die Wissenschaft. Es gibt neue Zweifel an der Integrität der Wissenschaft, einem zentralen Faktor für Vertrauen in die Wissenschaft2.

Und es gibt eine zweite große Gefahr, die wir mit innerwissenschaftlichen Aufräumarbeiten und Aufklärung nicht in den Griff bekommen werden: Predatory Journals bieten Einfallstore für Menschen außerhalb des wirklichen Wissenschaftsbetriebs. Pseudowissenschaftler können ihre Thesen und Meinungen in Pseudostudien verpacken. Sie können Fake Science publizieren und mit dem Label „Studie“ versehen, interessensgetrieben Werbung oder Stimmung machen.

Bekannt ist das Problem, dass Laien (laut Studien3 – sic!) oft nicht mal zwischen Werbung und Nachricht unterscheiden können. Wie sollen diese nun bitte zwischen

  • echten Studien in echten Journalen
  • echten Studien in Raubjournalen
  • nicht ganz sauberen Studien in Raubjournalen
  • und gezielt lancierten falschen Studien in Raubjournalen

unterscheiden? Letzteres wäre echte Fake Science, die viel schlimmer ist als meist offensichtliche Fake News.

Das wird nicht, das ist eine große Herausforderung für die Wissenschaftskommunikation.

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1 Beall führt die Liste wegen Drucks von Außen seit Januar 2017 nicht mehr fort.

2 Hendriks Friederike, Kienhues Dorothe, Bromme Rainer: Trust in Science and the Science of Trust. In: Blöbaum Bernd (Hrsg.) Trust and Communication in a Digitized World. Springer. 2016. S. 143 - 160

3 WuV 2018: „Content vs. Werbung: Viele erkennen keinen Unterschied
FAZ 2016: „Jugendliche tun sich mit Online-Werbung schwer