Covid-19-Impfstoffdosen von BioNTech (Foto: Ansgar Pudenz/Deutscher Zukunftspreis)
Covid-19-Impfstoffdosen von BioNTech (Foto: Ansgar Pudenz/Deutscher Zukunftspreis)

„Die Gesellschaft muss kühner werden“

Christoph Huber hat 2021 den Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Sonderpreis des Stifterverbandes und der Leopoldina erhalten. Im Interview erzählt er, was ihn am menschlichen Abwehrsystem fasziniert, warum ausgerechnet BioNTech, das er mit gegründet hat, das Rennen um den ersten Impfstoff gewinnen konnte und warum die Immuntherapie erst am Anfang steht.

Herr Professor Huber, Sie sind mit der Erforschung des Immunsystems und seiner therapeutischen Eigenschaften berühmt geworden. Wie kam es dazu, dass ausgerechnet dies Ihr großes berufliches Lebensthema wurde?
Das hat schon recht früh angefangen und es war weniger durch Fakten bestimmt, eher durch ein Gefühl der Sehnsucht. Ich will das kurz erklären: Ich war während des Studiums an Herbert Braunsteiner geraten, der sich für einzelne Zellen des Immunsystems interessierte, für die Lymphozyten. Das waren damals kleine, unscheinbare Zellen gewesen, deren Aufgabe weitgehend unbekannt war. Mir ist von Professor Braunsteiner die Aufgabe gestellt worden, diese kleinen Zellen mit verschiedenen Stimulantien anzuregen. Und dann habe ich bereits als Student unter dem Mikroskop gesehen, dass aus den kleinen Lymphozyten nach Stimulation mit bestimmten Eiweißen namens Lektinen, virusinfizierten Zellen, Fremdzellen oder Bakterien plötzlich große Zellen wurden, die sich rasend schnell teilten. Ich hatte schnell das Gefühl, dass hier etwas Mächtiges am Werk war.

So mächtig, dass es sogar gegen Krebs wirkt. Die Immuntherapie ist heute der größte Fortschrittsmotor in der Krebsmedizin.
Dass Lymphozyten nicht nur durch Eindringlinge von außen oder Fremdtransplantate angeregt werden, sondern auch durch die Anwesenheit bösartiger Zellen, habe ich dann später mit einer amerikanischen Wissenschaftlerin Karen Zier in meinem Labor entdeckt. Bis daraus tatsächlich erste klinisch wirksame Therapien erwuchsen, war allerdings ein langer Weg zu gehen. Man musste erst einmal herausfinden, welche molekularen Strukturen die Lymphozyten stimulieren – und wie man das therapeutisch nutzen kann. Ich war damals nach dem Studium nach ein paar Zwischenstationen an die Universitätsklinik Mainz gekommen. Dort gründete ich den Sonderforschungsbereich „Tumorabwehr und ihre therapeutische Beeinflussung“.

Was brauchte und braucht es, um solche Entdeckungen aus der Grundlagenforschung auch zu den Patientinnen und Patienten zu bringen?
Das Wichtigste sind immer exzellente Forscherinnen und Forscher und innovative Konzepte. Es braucht aber auch Zeit und Unsummen von Geld. Die Entwicklung eines Medikaments dauert heute in der Regel 10 bis 15 Jahre und kostet mehrere Milliarden Euro. Das lässt sich in akademischen Institutionen wie den Unikliniken und akademischen Forschungseinrichtungen allein nicht stemmen. Und es braucht einen Fokus auf disruptive Gamechanger-Technologien und -Produkte. Auch der fehlt in der akademischen Welt, wo es eher darum geht, in großer Breite Neues zu entdecken. Daher braucht es einen weiteren Schritt namens Translation: Entdecktes zu optimieren, Produkte herzustellen und behördlich zuzulassen, in klinischen Studien mit Patientinnen und Patienten zu erproben und in den Markt zu bringen. Ich habe mich zeitlebens dafür eingesetzt, diese Translation zu erleichtern und bessere Medikamente für bisher ungestillten medizinischen Bedarf der Menschen zu entwickeln.

zur Person

Christoph Huber (Foto: Ansgar Pudenz/Deutscher Zukunftspreis)
Christoph Huber (Foto: Ansgar Pudenz/Deutscher Zukunftspreis)

Christoph Huber (Jahrgang 1944) studierte Medizin in Innsbruck (Österreich). Nach seiner Facharztausbildung in Innerer Medizin und seiner Habilitation forschte er unter anderem am in Schweden und den USA. 1983 wurde er Leiter der Abteilung Klinische Immunbiologie und Knochenmark-Transplantation der Universitätsklinik für Innere Medizin in Innsbruck (Österreich) – eine der ersten europäischen Stammzelltransplantationseinrichtungen. 1990 wechselte er an die Johannes Gutenberg-Universität nach Mainz. Für sein Engagement und seine Forschungsleistungen wurde er vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland und dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. 2021 erhielt er gemeinsam mit Uğur Şahin, Özlem Türeci und Katalin Karikó den Deutschen Zukunftspreis – Preis des Bundespräsidenten für Technik und Innovation. Der Stifterverband kümmert sich um die Einwerbung des Preisgeldes und führt die Geschäftsstelle, die die Jury sowie das Kuratorium betreut und das Auswahlverfahren organisiert.

Sie haben unter anderem das Forschungsinstitut für translationale Onkologie an der Universitätsmedizin Mainz konzipiert und mit Uğur Şahin und Özlem Türeci mit gegründet, das genau diesem Zweck dienen soll.
Ja, es funktioniert als Brücke zwischen der akademischen Forschung und der kommerziell ausgerichteten, produktorientierten Forschung – und zwar in beide Richtungen.

Um bei der Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen auf Augenhöhe mit den USA zu kommen, muss die Gesellschaft in Deutschland kühner werden und bereit sein, das jeder Innovationsentwicklung inhärente Risiko zu tragen.
Christoph Huber (Foto: Ansgar Pudenz/Deutscher Zukunftspreis)
Christoph Huber (Foto: Ansgar Pudenz/Deutscher Zukunftspreis)

Christoph Huber

Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Preisträger und Mitgründer von BioNTech

Der klassische Weg wäre ja, dass das Institut im akademischen Bereich Hilfestellungen und auch Mittel gibt, um Spin-offs zu gründen mit dem Fokus auf die Entwicklung eines bestimmten Medikaments.
Genau das macht das Institut auch. Aber, und das ist wichtig, es sorgt ebenso dafür, dass beim kommerziellen Erfolg auch Geld in Form von Lizenzzahlungen in den gemeinnützigen Forschungsbereich zurückfließt. Diese Institution als translationale Brücke funktioniert in beide Richtungen sehr gut. In den letzten Jahren hat sich immer mehr gezeigt, wie wichtig solche Institutionen bei einem Welterfolg wie zum Beispiel der Entwicklung der ersten Covid-19-Vakzine in Lichtgeschwindigkeit sind. Immer noch werden mit Abstand die meisten innovativen Medikamente in den USA entwickelt und bis zur Marktreife gebracht. Im Vergleich hinken Deutschland und Europa hier deutlich hinterher. Das lässt sich aber mit Hilfestellungen durch entsprechende Institute allein nicht aufholen. Es gilt, auch die tiefer liegenden kulturellen und strukturellen Hürden abzubauen.

Was für tiefer liegende Hürden meinen Sie?
Es geht darum, wie mit Innovationen und Risiko umgegangen wird. Dafür gibt es ein gutes Maß: Die Venture-Capital-Quote: Sie gibt an, wie viel Risikokapital in einem Land pro Kopf zur Verfügung steht. In den USA ist sie achtmal so hoch wie in Europa! Das zeigt: In Amerika ist man kühner und risikofreudiger. Ich kann mir das auch historisch erklären: Vor 500 Jahren begannen Menschen, von Europa aus über den Atlantik nach Amerika auszuwandern und den Kontinent zu besiedeln. Es ist klar, dass vor allem Risikobereite und Kühne einen solchen Schritt wagen. Sie sind in die USA gegangen – und in Europa blieben die Vorsichtigen zurück. Das prägt vieles bis heute. Ich glaube: Um bei der Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen auf Augenhöhe mit den USA zu kommen, muss die Gesellschaft in Deutschland kühner werden und bereit sein, das jeder Innovationsentwicklung inhärente Risiko zu tragen.

Wie könnte dies gelingen?
Es fängt schon bei der Erziehung an. Man muss die Heldengeschichten der großen Innovatorinnen und Innovatoren wieder erzählen und in die Lehrpläne der Schulen aufnehmen. Und davon gab und gibt es auch in Europa sehr, sehr viele. Nehmen Sie nur Louis Pasteur und Robert Koch, den Begründer der Mikrobiologie und Impfkunde, oder Emil von Behring, der die Immuntherapie mittels Übertragung von Serum-Antikörpern erfand und dafür den ersten Medizin-Nobelpreis bekam.

BioNTech erhält den Deutschen Zukunftspreis von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (Foto: Bildschoen/Deutscher Zukunftspreis)
BioNTech erhält den Deutschen Zukunftspreis von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (Foto: Bildschoen/Deutscher Zukunftspreis)
Das Team von BioNTech (v.l.n.r: Uğur Şahin, Özlem Türeci, Katalin Karikó, Christoph Huber) erhält den Deutschen Zukunftspreis 2021 von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Ganz aktuell kann sich hier BioNTech aus Mainz einreihen, die den ersten Impfstoff gegen SARS-CoV-2 entwickelt haben. Sie haben BioNTech mit gegründet.
BioNTech ist inzwischen eine Weltfirma geworden, deren Covid-Impfstoff unzählige Millionen Menschenleben gerettet hat. Ich bin stolz darauf, die Firma gemeinsam mit Özlem Türeci und Uğur Şahin, deren Mentor ich war, gegründet zu haben. Ich bin sehr froh und dankbar, dass ich diese beiden Ausnahmetalente entdeckt hatte und dazu bewegen konnte, nach Mainz zu kommen.

Wie haben Sie die beiden entdeckt?
Einen beträchtlichen Teil meines Berufslebens habe ich den Forschungsorganisationen wie der Deutschen Forschungsgesellschaft gewidmet und war zahllose Male als Gutachter tätig. Dazu gehören die Begutachtung schriftlicher Anträge und regelmäßig auch Site Visits, also Besuche und Begutachtung von Forschungsstätten, ich habe im Laufe der Zeit Hunderte davon durchgeführt. Da entwickelt man ein Gefühl dafür, Talente zu erkennen, wobei es bei Özlem und Uğur wirklich nicht schwer war. Als ich die beiden aus Anträgen und bei Site Visits kennenlernte, hatten sie schon einen beeindruckenden Track Record mit Veröffentlichung zahlreicher ausgezeichneter Forschungsarbeiten. Ich habe ihnen dann Angebote gemacht, als wissenschaftliche Mitarbeiter in meiner Klinik, in dem von mir gegründeten Tumorvakzinationszentrum und als Antragsteller in meinem Sonderforschungsbereich „Tumorabwehr und ihre therapeutische Beeinflussung“ tätig zu werden. Zum Glück haben sie zugesagt …

… und dann mit Ihnen BioNTech gegründet und den weltweit ersten Impfstoff gegen SARS-CoV-2 entwickelt. Sie haben das geschafft, was 2020 Tausende Firmen erreichen wollten. Warum war ausgerechnet BioNTech so erfolgreich? Was machte den Unterschied?
Ich sage immer, es gibt drei wesentliche Faktoren für Erfolg. Erstens die Menschen. Uğur ist nicht nur ein herausragender Forscher, er ist auch ein Arzt. Wenn er etwas entdeckt, dann denkt er es nicht nur weiter, wie es zu den Patientinnen und Patienten gelangen kann, er sucht auch unermüdlich nach Wegen, dies rasch und bestmöglich umzusetzen. Die mRNA ist ein Bauplan für die Proteinsynthese, ist ein Spiegelbild der Erbmasse DNA, wird aber im Körper sehr schnell abgebaut, sodass eine Impfung mit nackter mRNA eigentlich wirkungslos ist. Uğur hat Wege gefunden, die mRNA zu stabilisieren und zu verpacken, sodass sie in den Zellen des Immunsystems ankommt. Er ergänzt sich dabei in idealer Weise mit Özlem, die die klinische Umsetzung in höchst kompetenter Weise vorangebracht hat. Aber es braucht auch zahllose weitere Menschen im Team, das sind Hunderte, manchmal mehr als 1.000, die sich alle auf ein Ziel konzentrieren. All das wiederum muss von charismatischen und starken Menschen geführt und zusammengehalten werden, und Uğur ist eine solche Führungspersönlichkeit. Es hat bei BioNTech einfach vieles ineinandergegriffen und gepasst.

Die deutsche Forschungslandschaft ist exzellent, leistungsorientiert und auch ehrenwert.
Christoph Huber (Foto: Ansgar Pudenz/Deutscher Zukunftspreis)
Christoph Huber (Foto: Ansgar Pudenz/Deutscher Zukunftspreis)

Christoph Huber

Sie sprachen von drei Faktoren für den Erfolg. Was sind neben Menschen die anderen beiden Faktoren?
Die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Es gibt hier in Deutschland schon viele Fortschritte. Die Translationsbereitschaft ist in Universitäten gestiegen. Das Gründen von Spin-offs wird erleichtert und hoheitlich gefördert. Die Risikokapitalmärkte in Europa sind aber schwach und liefern pro Kopf weniger als 13 Prozent des US-Markts. Hier könnte die Politik bei medizinisch hoch relevanten Vorhaben durch steuerliche Begünstigung Anreize schaffen und die Gesellschaft ihre Risikoscheue überwinden. Denn Investoren bringen nicht nur Geld in ein Projekt, sondern auch Fokus und enorme operative Expertise.

Was ist der dritte Erfolgsfaktor?
Der Inhalt und die Leidenschaft der Sendung. Also letztlich, wie viel wissenschaftliche Substanz man hat und wie man sie kommuniziert und wie sie gesellschaftlich wahrgenommen wird. In Europa gibt es eine hervorragende präkommerziell ausgerichtete Wissenschaft. Das konnte ich in den Jahrzehnten, in denen ich als Gutachter für zahlreiche europäische Spitzenforschungs-Förderorganisationen gearbeitet habe, sehr gut sehen. Die deutsche Forschungslandschaft ist exzellent, leistungsorientiert und auch ehrenwert.

BioNTech kann hier punkten mit der Kompetenz und der Technologie in Bezug auf mRNA. Das Unternehmen wurde ja eigentlich gegründet, um mithilfe von mRNA Krebsimpfungen zu entwickeln. Wie weit ist man hier?
Daran forschen wir natürlich, aber auch an zahlreichen anderen Gebieten. Die mRNA-Technologie ist universell, man kann mit mRNA das Immunsystem gezielt stimulieren in ganz unterschiedlichen Bereichen. BioNTech arbeitet derzeit nicht nur an der Krebsbehandlung, sondern auch daran, wie man Autoimmunerkrankungen und weitere Infektionen wie Tuberkulose, Malaria und andere Infektionserkrankungen mit der mRNA-Technologie behandeln kann. Ich bin überzeugt, die Immunologie ist eines der medizinischen Schlüsselfelder für die Forschung – und sie steht erst am Anfang.

Der Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Preis

Der Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Preis ist einer der Wissenschaftspreise des Stifterverbandes und mit 50.000 Euro dotiert. Er wird alle zwei Jahre verliehen, in diesem Jahr als Sonderpreis außerhalb dieses Turnus. Die Auszeichnung wird gemeinsam mit der Leopoldina an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vergeben, die einen Beitrag zur wissenschaftlichen Bearbeitung gesellschaftlich wichtiger Herausforderungen geleistet haben. Den ersten Weizsäcker-Preis erhielt im Jahr 2009 der Wissenschaftler und Bürgerrechtler Jens Reich. Preisträger 2020 war der Ökonom Christian Dustmann.

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