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Altruismus, Egoismus und Nichtschädigung - was ist gut, was ist schlecht?

Gute, „altruistische“ Taten haben einen moralischen Wert. Doch ist ein Mangel an Altruismus die Ursache vieler Probleme, die wir im „Kapitalismus“ erleben? Tatsächlich hat Altruismus Grenzen und kann auch Schattenseiten haben. Das meint Andreas Suchanek, Wirtschafts- und Unternehmensethiker und Stiftungsprofessor des Stifterverbandes.

Altruismus ist etwas, was in der ansonsten vom Profit, also vom Egoismus getriebenen Wirtschaft benötigt wird. Denn Altruismus, so zeigen viele Studien, fördert die Kooperation und ein gedeihliches Zusammenleben. Und so haben viele Firmen damit begonnen, unter dem Label Corporate Social Responsibility (CSR) Gutes zu tun als ein (vermeintlicher) Nachweis, dass man ja gar nicht immer so profitorientiert ist, sondern auch ein „guter gesellschaftlicher Bürger“. Doch Altruismus hat auch Grenzen und Schattenseiten. Folgende vier Argumente zeigen, dass er auch zu Problemen führen kann:

  • Das Gute, das man anderen erweisen will, wird von diesen vielleicht gar nicht gewünscht.
  • Gute Taten erzeugen eventuell Erwartungen, denen man dann später nicht mehr nachkommt, was wiederum zu Enttäuschungen und Folgeproblemen führen kann.
  • Altruismus in streng uneigennütziger Form können sich Unternehmen auf Dauer gar nicht leisten, weil sie dann Gefahr laufen, aus dem Markt zu scheiden.
  • Und schließlich gibt es noch das Problem, dass man gar nicht allen etwas Gutes tun kann aufgrund der Begrenztheit der eigenen Ressourcen. Doch wem lässt man was zugutekommen und wem nicht? Gutes tun ist nur sehr begrenzt skalierbar.

Es geht um das nachhaltige Wohlergehen aller Menschen

Nun ist Altruismus deshalb noch nichts Schlechtes. Doch aus wirtschaftsethischer Sicht bedarf es des größeren Bildes, in dem das – berechtigte! – Eigeninteresse ebenso seinen Platz hat wie eine weitere Dimension, die sich als das eigentlich ethisch grundlegende Kriterium für gutes, verantwortliches Handeln erweisen wird: Gerechtigkeit in einem spezifischen Sinne, den ich hier gerne erörtern möchte. Letztlich geht es aus ethischer Sicht immer um das nachhaltige Wohlergehen aller Menschen. Aus der Sicht des einzelnen Akteurs – oder auch Unternehmens – lassen sich dazu drei Grundorientierungen unterscheiden: 

  • die Förderung des eigenen Wohlergehens 
  • die Förderung des Wohlergehens anderer und
  • die Nichtschädigung anderer. 

Der Moralphilosoph (!) Adam Smith leitet von diesen drei Grundorientierungen drei Tugenden her: die Tugend der Klugheit, die Tugend des Wohlwollens – die dem entspricht, was üblicherweise mit Altruismus gemeint ist, – und drittens die Tugend der Gerechtigkeit als Bereitschaft und Fähigkeit, andere nicht zu schädigen. Einseitiger Egoismus, also nur auf das eigene Wohlergehen bedacht sein, ist ebenso verfehlt wie einseitiger Altruismus, der eigene Bedürfnisse vernachlässigt und bei allem Guten, das man tut, möglicherweise Dritte schädigt. In seiner berühmt gewordenen und oft leider verkürzt interpretierten Argumentation zeigt Smith, dass wir uns in einer großen, anonymen Gesellschaft nicht auf das gegenseitige Wohlwollen verlassen sollten; es wäre eine permanente Überforderung des Einzelnen und man würde ständig enttäuscht. Vielmehr funktionieren Märkte faszinierenderweise gerade dadurch, dass jeder Einzelne seinen Interessen folgt und dabei eingebunden ist in ein System gesellschaftlicher Arbeitsteilung und Tauschprozesse, das den „Wohlstand der Nationen“ erzeugt.

Gesellschaftliche Kooperation bricht zusammen, wenn „Gerechtigkeit“ erodiert

Smith betonte auch (nur wird es leider viel seltener zitiert), dass die Verfolgung eigener Interessen immer unter dem vorrangigen Kriterium der „Gerechtigkeit“ – heute würden wir sagen: der wechselseitigen Verlässlichkeit, dass wir einander nicht schädigen – erfolgen muss. Deshalb benötigen wir Gesetze und Normen, aber auch individuelle Verantwortlichkeit. Anders gesagt: Wohlwollen – „Altruismus“ – ist etwas Erfreuliches und begünstigt Kooperation, doch ohne dieses Wohlwollen geht die Gesellschaft nicht zugrunde. Hingegen droht die gesellschaftliche Kooperation zusammenzubrechen, wenn „Gerechtigkeit“, die wechselseitige Verlässlichkeit, dass wir uns gegenseitig nicht schädigen werden, erodiert.

Über Andreas Suchanek

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Andreas Suchanek ist Inhaber des Dr. Werner Jackstädt Lehrstuhls für Wirtschafts- und Unternehmensethik an der HHL - Leipzig Graduate School of Management. Dort war er auch Stiftungsprofessor des Stifterverbandes. Er ist Vorstandsmitglied im Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik. Der Schwerpunkt seiner Forschungstätigkeiten war für eine lange Zeit die Institutionenökonomik /-ethik. Jetzt forscht er zum Thema Unternehmensverantwortung und Vertrauen. Dazu ist auch sein Buch "Unternehmensethik. In Vertrauen investieren" erschienen.

Hier wäre eigentlich zu differenzieren: Da es unmöglich ist, dass wir einander gar nicht schädigen – schon der Chirurg schneidet mit einem Messer in das Fleisch von Menschen –, sind nicht legitime Schädigungen gemeint. Wenn jemand eine Bank ausraubt, um das Geld den Armen zu geben, so mag er altruistisch motiviert sein, für ein gelingendes gesellschaftliches Zusammenleben ist solches Handeln nicht geeignet. Wir sollten nicht voneinander erwarten, dass wir uns ständig gegenseitig etwas Gutes tun – so schön es ist, wenn es doch immer wieder einmal geschieht. Was wir aber voneinander erwarten sollten, ist, dass wir einander nicht schädigen.