Illustration: Irene Sackmann
Illustration: Irene Sackmann

„Hochschulen sind ein Motor für den Wandel“

Brigitte Biermann, Stiftungsprofessorin für Nachhaltiges Produktmanagement, macht sich stark für das Thema Transformation: Nur wenn der große Umbauprozess der Gesellschaft gelingt, sind die UN-Klimaziele zu erreichen. Und dafür braucht es die entsprechenden Fachkräfte.

Warum ist das Thema Transformation so wichtig?
Wir stehen vor einer gewaltigen Veränderung. In einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen aus dem Jahr 2011 wird sie als „große Transformation“ bezeichnet. Gemeint ist damit ein weltweiter Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, der sich in seinen Auswirkungen mit dem Wandel der Agrar- zur Industriegesellschaft vergleichen lässt. Der ist notwendig, wenn wir die Nachhaltigkeits- und Klimaziele der Vereinten Nationen erreichen wollen.

Das klingt umwälzend. Was bedeutet das denn konkret?
Eine riesige Herausforderung. Wir müssen zerstörerische Technologien und Praktiken abschaffen und auf neue setzen. Unsere Energieversorgung zum Beispiel beruht überwiegend auf Großkraftwerken, die zentral weite Regionen versorgen. Erneuerbare Energien erfordern eher dezentrale Netze und viele kleine Einspeiser. Unsere Produktion, vor allem im Bereich Chemie, muss weg vom Erdöl und hin zu nachwachsenden Rohstoffen entwickelt werden. Jede einzelne Person muss ihr Verhalten in den Konsumfeldern Wohnen, Ernährung, Reisen und Freizeit infrage stellen und auch unsere Wirtschaftsstrukturen gehören auf den Prüfstand: Wir brauchen mehr Kreislaufwirtschaft, weniger, aber dafür langlebigere Produkte, mehr Sharing und weniger Verschwendung.

Welche Rolle spielen bei diesem Bewusstseinswandel die Hochschulen?
Sie sind in dieser Diskussion ein ganz wichtiger Motor, denn es ist wissenschaftlich erwiesen, dass wir diese große Transformation brauchen. Sonst rauschen wir weiter in die Krise. Einige Hochschulen haben das Thema Nachhaltigkeit deshalb auch konsequent in ihren Curricula verankert, die Leuphana Universität Lüneburg zum Beispiel. Aber es müsste eigentlich viel breiter thematisiert werden.

In Ihrem Studiengang Nachhaltiges Produktmanagement bilden Sie Nachwuchskräfte aus, die für das Thema sensibilisiert sind. Was zeichnet sie aus?
Ich vermittle unseren Studierenden sogenannte transformative Skills. Die werden gebraucht, um Transformationsprozesse in Unternehmen anzuschieben und voranzubringen. Dazu gehört, dass die Verantwortlichen von morgen die Prozesse und Produkte ihres Unternehmens sehr gut kennen und auf dieser Basis individuelle Lösungen finden. Sie müssen zum Beispiel wissen, wo in der Wertschöpfungskette am meisten CO2 anfällt: Das wäre zum Beispiel bei einem Smartphone in der Herstellung, bei einem Auto aber erst in der Nutzung. Dann gilt es, alle sozialen und technischen Daten zu überblicken und zu entscheiden, die effektivsten Punkte zur Veränderung zu nutzen. Im Lebensmittelbereich wird zum Beispiel sehr viel über Plastikverpackungen geredet. Aber nicht darüber, ob die Lebensmittel selbst nachhaltig produziert werden – was viel mehr CO2 einsparen würde.

Systeme sind bekanntlich träge und gegen Veränderung gibt es oft Widerstand.
Ja, zu den transformativen Skills gehört auch, die Menschen mitzunehmen und nicht zu übersehen, dass man sie und ihre Fachkenntnis braucht. Hilfreich ist eine gewisse Demut gegenüber dem, was ein Unternehmen schon tut, die Leistungen anderer zu honorieren. Alles andere ist kontraproduktiv. Wenn es um Nachhaltigkeit geht, dann treffen oft extreme Auffassungen aufeinander. Die einen sagen: „Es muss alles ganz grün sein.“ Die anderen resignieren und sagen: „Das können wir eh nicht ändern.“ Es fehlt die aktive Gestaltung zwischen diesen beiden Polen. Hier mangelt es an der Umsetzung der wirklich effektiven Ideen, weil das Thema fachlich noch nicht genügend besetzt ist.

Die Stiftungsprofessur

Brigitte Biermann (Foto: Daniel Schmitt/Spitzlicht)
Brigitte Biermann (Foto: Daniel Schmitt/Spitzlicht)

Brigitte Biermann lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen Nachhaltiges Produktmanagement. Der Studiengang startete 2012 unter Beteiligung der Württembergischen Metallwarenfabrik (WMF). Das Studienangebot ist in Deutschland einmalig. Im Jahr 2015 wurde durch die Förderung von WMF zusätzlich die Stiftungsprofessur eingerichtet, unterstützt durch das Servicezentrum Stiftungsprofessuren des Stifterverbandes.

WMF ist Mitglied des Stifterverbandes und engagiert sich für den Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Oliver Kastalio, CEO bei WMF: „WMF steht seit rund 170 Jahren für langlebige und qualitativ hochwertige Produkte. Nachhaltiges Produktmanagement spielt daher für das Unternehmen eine zentrale Rolle. Vom Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Praxis profitieren beide Seiten: Erkenntnisse aus der Forschung werden nachhaltig im Unternehmen implementiert und dringend benötigte Fachkräfte an der Hochschule praxisorientiert ausgebildet. Mit der Kooperation im Studiengang und der Förderung der Stiftungsprofessur kommt die WMF ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu ökologischem Handeln, insbesondere gegenüber zukünftiger Generationen, nach und stärkt dauerhaft den Wirtschafts-, Forschungs- und Wissenschaftsstandort Deutschland.“

Sind die Unternehmen denn generell offen für dieses Thema?
Bedingt. Betriebswirtschaftliche Überlegungen und Nachhaltigkeit gehen nicht gerade Hand in Hand. Denn die Betriebswirtschaft setzt auf Gewinnmaximierung auf kurze Sicht, ungefähr über einen Zeitraum von drei Jahren. Die Kosten dieses Vorgehens trafen die Unternehmen bisher nicht, sie wurden der Gesellschaft aufgebürdet. 

Aber die Rahmenbedingungen ändern sich. Die Regierungen sind den Klimazielen verpflichtet, müssen also den Druck auf die Unternehmen erhöhen. Dazu kommt eine zunehmend unsichere globale Lage: Durch Krisen wie den Krieg in der Ukraine oder die COVID-19-Pandemie sind Lieferketten zusammengebrochen, Materialengpässe entstanden. So hat sich deutlich gezeigt, wie verwundbar globale Wertschöpfungsketten sind. 

Auch die Auswirkungen auf die Umwelt gehen am Produktionssektor nicht vorbei: Wenn der Rhein einen historischen Niedrigwasserstand hat, funktioniert der Transport auf dem Fluss nicht mehr. Und Industrieanlagen können nicht mehr so einfach mit Flusswasser gekühlt werden, wenn die Flüsse insgesamt zu warm werden. Das sind ganz konkrete Bedrohungen. Und je mehr dieser langfristigen Risikofaktoren ein Unternehmen in seine betriebswirtschaftliche Rechnung mit einbezieht, desto mehr wird Nachhaltigkeit ein Teil des Kerngeschäfts.

Aber das mindert die Gewinne.
Die meisten Unternehmen versuchen mit ihren bewährten Strategien noch so lange Gewinn zu erwirtschaften, wie es möglich ist. Gleichzeitig arbeiten aber die Entwicklungsabteilungen an alternativen Geschäftsmodellen: Immer mehr Fleischerzeuger erobern den Markt für vegane Produkte. Und Automobilkonzerne befassen sich mit der Stadt der Zukunft: Sie entwickeln Carsharing-Modelle, Hard- und Software für die Nutzung von Mobilitätsdaten oder arbeiten an Ladestrukturen für Elektromobilität. Entsprechend gibt es auch die Initiative „Science Based Targets“, in der sich weltweit Unternehmen verpflichtet haben, bis 2050 klimaneutral zu arbeiten. Hier wird für die einzelnen Unternehmen verschiedener Sektoren eine maximale Obergrenze für ihre Emissionen benannt. Und es sieht natürlich schlecht aus, wenn man im eigenen Sektor der Letzte ist, der sich darum kümmert.

Wir haben keine klare Utopie, die wir mit Wirtschaftskonzepten verbinden: Wie kriegen wir es auf attraktive Weise hin, die Gesellschaft menschenfreundlich zu gestalten? Wie können wir Zeitwohlstand und Lebensqualität als wirtschaftliche Ziele setzen? Hier hinein sollten Hochschulen Zeit, Geld und Ressourcen investieren.
Brigitte Biermann (Foto: Daniel Schmitt/Spitzlicht)
Brigitte Biermann (Foto: Daniel Schmitt/Spitzlicht)

Brigitte Biermann

Welche Rolle spielen dabei die Verbraucherinnen und Verbraucher?
Unternehmen geraten natürlich auch durch ihre Kundinnen und Kunden unter Druck. Protest gegen umweltzerstörende Rohstoffgewinnung oder Billiglöhne schaden einer Geschäftsstrategie. Auf der anderen Seite werden Unternehmen, die schon umdenken, bisher von den Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht ausreichend belohnt: Recyclingkunststoffe gelten zum Beispiel zurzeit im deutschen Mittelstand als Nachhaltigkeitshebel. Aber verdienen kann man damit noch nichts. Umweltlabel nehmen wir als Konsumierende gerne mit – aber eigentlich interessiert uns das Produkt. Denn von der Klassifizierung „Öko“ haben wir ja auf den ersten Blick nichts. Es ist deshalb unrealistisch zu erwarten, dass Menschen ihre Konsumentscheidungen in erster Linie nach ökologischen Gesichtspunkten treffen.

Das klingt für viele Menschen nach Einschränkung und Verzicht.
Genau das ist das Problem: Wir müssen Wege finden, wie wir die Transformation positiv vermitteln. Hier stecken doch ganz viele Chancen für Forschung und Innovation. Wir reden immer nur vom Krisenszenario: Keine Inlandsflüge mehr. Man könnte ja auch über ein besseres Bahnsystem oder angenehmere Onlinekonferenzen nachdenken. Wir haben keine klare Utopie, die wir mit Wirtschaftskonzepten verbinden: Wie kriegen wir es auf attraktive Weise hin, die Gesellschaft menschenfreundlich zu gestalten? Wie können wir Zeitwohlstand und Lebensqualität als wirtschaftliche Ziele setzen? Hier hinein sollten Hochschulen Zeit, Geld und Ressourcen investieren.

KOMPETENZEN FÜR NACHHALTIGKEIT

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Der Stifterverband begleitet die Transformation in Wirtschaft und Wissenschaft und trägt dazu bei, dass Hochschulen und Unternehmen nachhaltiger agieren und die dazu notwendigen Kompetenzen frühzeitig an junge Menschen vermittelt werden. Wie er dabei agiert und welche Schwerpunkte er setzt, lesen Sie hier