Illustration: Stifterverband/ D. Meloni

Kann Blockchain die Wissenschaft verbessern?

Die Hoffnungen vieler Investoren ruhen auf der Blockchain-Technologie, sie gilt als die eigentliche Innovation hinter der digitalen Währung Bitcoin. Welche Einsatzmöglichkeiten bietet die Technologie für besseres Wissenschafts- und Innovationsmanagement?

Die Blockchain kann als Datenbank und Buchführungssystem neuen Typs definiert werden. Sie gilt als besonders fälschungssicher. Indische Universitäten reagierten auf zunehmende Fälschungen von Diplomen mit der Einführung blockchainbasierter, kryptografisch sicherer digitaler Diplome. Wichtigster Vorteil einer Blockchain ist die Eindeutigkeit in der Zuordnung sehr komplexer Daten, erzeugt wird quasi Transparenz per Technologie: Jede Aktion muss von mehreren Beteiligten im Rechnernetzwerk bestätigt werden, jede Änderung in der dezentralen Datenstruktur kann von allen Nutzern nachvollzogen werden. Somit entsteht Vertrauen zwischen vielen Beteiligten digitaler Netzwerke, obwohl sich diese persönlich nicht kennen. Als Folge „kann die Blockchain etablierte Formen digitalisierter Wissensvermittlung und -steuerung aufbrechen“, glaubt Shermin Voshmgir. Die Gründerin des Thinktanks BlockchainHub ist überzeugt: „Dank der Blockchain werden Menschen digitale Dienstleistungen, Güter (etwa Strom) und Wissen im direkten Peer-to-Peer-Modus zwischen Rechnern handeln, tauschen und teilen.“ Dafür würde man aber blockchainbasierte Rechnernetzwerke benötigen, die verschiedene Blockchains miteinander verbinden und effizient steuern. Erste Prototypen werden zurzeit von Start-ups wie Parity und Polkadot entwickelt. 

Foto: David Ausserhofer
Blockchain-Expertin Voshmgir: „Wir werden digitale Dienstleistungen im Peer-to-Peer-Modus tauschen.“

Wer hat's erfunden?

Welche Einsatzmöglichkeiten bietet die Blockchain für besseres Wissenschafts- und Innovationsmanagement? Weltweit gibt es schon mehr als 30 größere „Blockchain for Science“-Projekte, beobachtet Sönke Bartling, Forscher am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG). Bartling ist Gründer des Thinktanks Blockchain for Science (BFS). Er ist Teil einer wachsenden Szene von Wissenschaftlern, die die neue Technologie als Hebel für eine Modernisierung des Wissenschaftsbetriebes einsetzen möchte. Zum Beispiel entwickeln Start-ups wie Authenteq und Bernstein fälschungssichere digitale IDs für erste Blockchain-Anwendungen in der Wissenschaft: Über einen sogenannten Private Key können Wissenschaftler Publikationen, Bildungsabschlüsse und Projektdokumentationen auf einer Open-Access-Plattform platzieren und sich fälschungssicher authentifizieren.

Seit September 2018 ist DEIP online: Diese auf Blockchain basierte Plattform im Testmodus wird von Wissenschaftlern genutzt, um ihre Projekte zu veröffentlichen, digital zu verwalten und dabei Prozessabläufe, etwa von Laborexperimenten, transparent zu machen. Relevante Daten werden von wissenschaftlichen Kollegen eingesehen und bestätigt. Mit solchen Verfahren könnte die wissenschaftliche Community etwa die bei Innovationen häufig auftretende Frage, wer eine spezifische Neuerung als Erster entdeckt oder erfunden hat, klären: über automatisiertes Abgleichen aller Daten sowie über eine klare Zuordnung aller Zeitpunkte, bei denen Daten geändert wurden.

Genau das leistet die Blockchain. „Die Daten können mit einem Zeitstempel versehen werden, somit hat man einen unveränderbaren Nachweis zur Datengewinnung zur Hand“, führte Sönke Bartling auf der Konferenz „Software and Services for Science (S3)“ weiter aus. Selbst das Problem des „p-Hackings“ – das nachträgliche Verändern von Daten in wissenschaftlichen Studien, um Ergebnisse „passend“ zu machen – ließe sich „durch vergleichbare Anwendungen lösen“, ist Bartling überzeugt. In Zukunft könnten Wissenschaftler auch Forschungsbedingungen und Hypothesen im Voraus zu einem bestimmten Projekt auf der Blockchain veröffentlichen und diese durch Kollegen bewerten lassen (Smart Evidence).

Mehr Partizipation in Peer-Review-Prozessen

Illustration: Jens Bonnke
Peer Review in der Wissenschaft (Illustration: Jens Bonnke)

Heute schon sorgen blockchainbasierte Plattformen für wissenschaftliches Publizieren, wie Pluto.network oder Scienceroot, für Aufsehen. Die Blockchain ermöglicht hier neue Bewertungssysteme für wissenschaftliche Publikationen: Smart Contracts – das sind einfache Wenn-dann-Regeln, die automatisiert auf einer Blockchain ablaufen – bestimmen die Regeln. Zum Beispiel, dass nur Menschen mit gleichem Universitätsabschluss wie der Verfasser dessen wissenschaftliche Facharbeit bewerten dürfen. „In die Bewertung könnten auch die Anzahl der Downloads sowie Kommentare von Kollegen mit einfließen“, sagt Benedikt Fecher, Leiter des Forschungsprogramms „Lernen, Wissen, Innovation“ am HIIG. Auch könnten die Reviewer selbst durch Smart Contracts bewertet werden: zum Beispiel basierend auf der Zahl der Urteile, welche diese bereits abgegeben haben, oder nach Gewichtung ihrer Kommentare zum Abstimmungsverhalten aller Beteiligten. Tut sich jemand mit fundierter Kritik hervor und generiert im Netzwerk viele Likes, werden dessen zukünftige Kommentare höher gewichtet. Über Tokens, digitale Tauschmittel in Form einer Kryptowährung, werden kompetente Kommentare belohnt. Behauptet man im Netzwerk etwas offensichtlich Falsches, verliert man automatisch Tokens.

Lernende und Forschende werden durch direkte Interaktionen auf der Blockchain an Autonomie gewinnen.

Lambert Heller

Leiter des Open Science Lab an der TIB (Hannover)

Befürworter erhoffen sich von solchen Verfahren mehr Partizipation der wissenschaftlichen Community in Peer-Review-Prozessen. Steigt die Akzeptanz für solche und ähnliche Verfahren, könnte sich eine wissenschaftliche Arbeit, die auf einer Blockchain für Science Publishing zum Beispiel 30.000 Likes von Kollegen erhält, auch finanziell auszahlen – etwa wenn die Bewertung in Prüfvorgängen für neue Finanzierungsmittel mit berücksichtigt wird. Unternehmen wie Digital Science entwickeln hierzu größere Modellversuche. Shermin Voshmgir denkt schon weiter: „Man könnte vergleichbare Verfahren auch nutzen, um das Gutachtensystem selbst zu demokratisieren.“  

Auch im Bildungssystem können blockchainbasierte Peer-to-Peer-Plattformen bald die Logik zentralisierter Abläufe aufbrechen, etwa wenn Lehrende ihre Bewertungen über dezentralisierte Protokolle direkt den Lernenden übergeben. „Lernende und Forschende werden durch direkte Interaktionen auf der Blockchain an Autonomie gewinnen“, glaubt Lambert Heller, Leiter des Open Science Lab an der TIB – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften und Universitätsbibliothek in Hannover.

Was spricht nun gegen eine schnelle Verbreitung in der Wissenschaft? Der enorme Energieverbrauch der Blockchain in großen Rechnernetzwerken bleibt die Herausforderung. Auch ist es technisch aufwändig, sie auf existierende komplexe Datenbanken aufzusetzen. Wird es sich für die meisten Wissenschaftler lohnen, ihre Datenbanken in eine Blockchain zu übertragen? „Unwahrscheinlich“, behaupten Datenwissenschaftler wie Daniel Himmelstein in der Physics Today. „Zentrale Datenbanken sind weit flexibler, auch können sie viel einfacher geändert werden.“

Und es gibt noch ungeklärte Grundsatzfragen: Wer entscheidet darüber, was als korrekte Daten erkannt und in die Blockchain eingetragen wird? Noch wichtiger: Wer entscheidet, auf welche Absicht hin eine Blockchain programmiert wird? „Bei digitalen Innovationen entscheiden meist Entwickler und Programmierer darüber, welche Regeln durch neuen Code gesetzt werden. Und diese Regeln wirken in der Anwendung dann quasi wie Recht“, beobachtet die Wissenschaftsmanagerin Denise Feldner. Sie betont: „Damit sich eine neue Technologie gesellschaftlich sinnvoll entwickelt, braucht es möglichst große Vielfalt bei den von den Menschen eingebrachten Wertvorstellungen.“ Hierzu eine Zahl: Im Moment sind nur rund fünf Prozent aller Entwickler und Coder in der deutschen Blockchain-Welt Frauen.

Vielleicht sorgt ja ausgerechnet eine neue Blockchain-Anwendung für mehr Diversity bei der Auswahl zukünftiger IT-Entwickler? Das Start-up Learning Machine entwickelte zusammen mit dem MIT Media Lab einen neuen Technologiestandard, der Bildungstitel und Abschlüsse mit wenigen Klicks auf der Blockchain verifizierbar machen soll. Die Innovation könnte es „Millionen Migranten ermöglichen, sich mitgebrachte Bildungsabschlüsse unbürokratisch und glaubwürdig bestätigen zu lassen“, versprach die Projektleiterin auf dem Global Education & Skills Forum 2018.