„Diversität bedeutet für mich in allererster Linie, Unterschiede auszuhalten.“

Video von der Jubiläumsveranstaltung „Embrace Diversity“ im Wissenschaftszentrum Bonn

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Diversität an Hochschulen - was wir gelernt und erreicht haben

Wie weit deutsche Hochschulen beim Umgang mit Vielfalt sind und was noch auf der Agenda steht, beschreibt Bettina Jorzik. Die Diversitäts-Expertin des Stifterverbandes zeigt, welche Faktoren und Voraussetzungen für Hochschulen besonders erfolgversprechend sind. Eine Erkenntnis ist ihr besonders wichtig.

Im Herbst 2008 reisten wir durch die USA. Es ging um „The Importance of Excellence in University Teaching“. An der Reise mit der Fulbright-Kommission nahmen auch eine Reihe von deutschen Hochschulrektoren und Uni-Präsidentinnen teil. Bei jedem Hochschul-Besuch gab es einen einführenden Vortrag, in dem ausnahmslos jede Hochschule auch skizzierte, wie sie in Bezug auf das Thema Diversität aufgestellt sei. Am Abend des dritten Tages sah sich ein Mitglied der Reisegruppe – Vizepräsident für Lehre an einer späteren Exzellenzuniversität –, sichtbar genervt, zu folgender Bemerkung veranlasst: „Ich verstehe gar nicht, was die immer mit ihrer Diversität haben – als hätte das etwas mit Exzellenz zu tun.“

Eine solche Bemerkung wäre heute sicher nicht mehr denkbar, jedenfalls nicht im öffentlichen Diskurs. Trotzdem gibt es an den Hochschulen in Deutschland sicher noch etliche, die insgeheim darauf hoffen, dass Diversität nur ein vorübergehendes „Modethema“ ist, dass sich weitgehend folgenlos aussitzen lässt, bis es vom nächsten Hype verdrängt wird. Von einem Verständnis, das Diversität auch als Chance sieht, sind wir noch weit entfernt.

Dies zeigt sich auch an einigen Hochschulen, bei denen das Diversitätsressort beim Wechsel der Hochschulleitung „kassiert“ oder in ein größeres Ressort für quasi „Sonstiges“ integriert wurde und dadurch eine geringere Sichtbarkeit hat. Beispiele hierfür sind etwa die Universität Düsseldorf, wo Diversität heute beim Prorektor für Internationales und Wissenschaftskommunikation verortet ist, oder die Hochschule Bochum, die seit dem Präsidiumswechsel 2022 kein Ressort mehr für Diversität hat. Auch in jüngeren Hochschulentwicklungsplänen sucht man mitunter vergeblich nach dem Thema Diversität – offenbar wird diese Aufgabe als „erledigt“ betrachtet. Und die operativen Stellen, die vielfach eingerichtet wurden, sind in der Mehrzahl der Fälle befristet und projektfinanziert.

Finanzierung steht im Zentrum

Andererseits: Wenn ein Diversitätsressort in der Hochschulleitung fehlt, muss das nicht zwangsläufig heißen, dass kein organisationaler Wandel stattgefunden hat und das Thema womöglich keine Rolle spielt. Es gibt durchaus Hochschulen, die Diversität zur „Chefsache“ machen, ohne dies explizit auszuweisen – die Universität Mainz beispielsweise. Andere, vor allem kleine Hochschulen wie etwa die EBZ Business School in Bochum, zeigen, dass ein organisationaler und kultureller Wandel auch ohne nennenswerte (zusätzliche) personelle Ressourcen möglich ist.

Um einen Wandel an Hochschulen zu beschleunigen, ist die Forschungsfinanzierung ein zentrales Instrument – auch in Bezug auf Diversität. Seit die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) angekündigt hat, Diversitätsstandards für die Begutachtung von Forschungsprojekten einzuführen, beobachten wir ein gestiegenes Interesse und einen konstant starken Zulauf zu unserem Audit „Vielfalt gestalten“ (siehe Kasten).

Global betrachtet, dominieren an Hochschulen eher defensive Bewältigungsstrategien, die darauf abzielen, mit der vorhandenen Vielfalt im Hochschulalltag einigermaßen konfliktfrei zurechtzukommen. Eher selten streben Hochschulen an, die vorhandene Diversität gezielt auszuweiten – also beispielsweise mehr nicht-traditionelle Studierende zu rekrutieren. 

Diversity Audit und Diversity Kompass

2023 feiert der Stifterverband zehnjähriges Jubiläum des Diversity Audits „Vielfalt gestalten“. Seit nunmehr einer Dekade begleitet und unterstützt das Audit Hochschulen sowie seit ein paar Jahren auch außeruniversitäre Forschungseinrichtungen dabei, Strukturen, Instrumente und Maßnahmen zu konzipieren, um diverse Personengruppen in den Hochschul- beziehungsweise Wissenschaftsalltag zu inkludieren. Dazu wird Organisationsentwicklung mit kollegialer Beratung und externer Begleitung verknüpft. Das Audit für Hochschulen wird auch 2024 wieder ausgeschrieben; außer-universitäre Forschungseinrichtungen können sich aber noch bis zum 15. November 2023 für die diesjährige Runde bewerben.

Auch die Wirtschaft wollen der Stifterverband und die Charta der Vielfalt e.V. zukünftig bei diesem Thema eng begleiten: Sechs Unternehmen nehmen an einer Pilotphase des sogenannten Diversity Kompasses teil. In einem Strategie- und Organisationsverfahren werden die Unternehmen bei der nachhaltigen Integration und Professionalisierung ihres Diversity Managements begleitet. 

Wenn sie dies tun, dann fast ausschließlich in Bezug auf Gender oder Nationalität. Darüber hinaus sind die Diversitätsstrategien meist stark maßnahmengetrieben, als ließe sich der Reifegrad des Diversitätsmanagements anhand der Zahl der diversitätsbezogenen Angebote und Maßnahmen ermitteln.

Neben den Fortschritten und erfreulichen Entwicklungen sind natürlich auch Rückschritte zu verzeichnen. In den letzten Jahren ist der Ton des Diversitätsdiskurses, jedenfalls auf operativer Ebene, deutlich aggressiver und das Klima rauer geworden. Diversität wird teilweise auf Anti-Diskriminierung und Anti-Rassismus verengt; persönliche Betroffenheit und Diskriminierungserfahrungen werden mitunter als Voraussetzungen für Diversitätskompetenz definiert oder gar mit dieser gleichgesetzt.

In den letzten Jahren ist der Ton des Diversitätsdiskurses, jedenfalls auf operativer Ebene, deutlich aggressiver und das Klima rauer geworden.
Bettina Jorzik (Foto: Bussenius/Reinicke)

Bettina Jorzik

Stifterverband

Voraussetzungen und Erfolgsfaktoren

Doch was haben wir nun gelernt in diesen 10 Jahren „Diversity Audit“? Folgende Voraussetzungen und Erfolgsfaktoren für ein nachhaltiges Diversitätsmanagement an Hochschulen lassen sich identifizieren:

  1. Es gibt keine Blaupause für das „richtige“ Diversitätsmanagement; jede Hochschule muss ihren eigenen Weg finden: Wie verstehen wir Diversität und wie wollen wir sie verstehen? Was bedeutet Diversität für unsere Arbeit, für Lehre und Forschung, für unseren Umgang miteinander?
  2. Ein klares Bekenntnis der Hochschulleitung und eine entsprechende Übernahme von Verantwortung sind unerlässlich.
  3. Diversitätsmanagement ist eine Daueraufgabe, die nie abgeschlossen ist.
  4. Die Befassung mit Diversität darf nicht ausschließlich denjenigen überlassen werden, die offiziell zuständig sind. Diversität betrifft alle.
  5. Diversitätsmanagement muss an der Hochschule strukturell verankert werden, damit es als Transmissionsriemen in die Hochschule hineinwirken kann. Es braucht personelle und finanzielle Ressourcen, die für Diversitätsbelange zur Verfügung stehen.
  6. Für die Nachhaltigkeit des Diversitätsmanagements ist es wichtig, dass Diversität in allen Regelprozessen berücksichtigt wird.
  7. Ein begleitendes Monitoring sollte die Wirkungen des Diversitätsmanagements evaluieren: Inwieweit werden die verfolgten Ziele erreicht? Wo sind unerwünschte Folgen festzustellen? Dabei sollte auch betrachtet werden, welche Personengruppen in der Hochschule unterrepräsentiert sind oder auch gar nicht vorkommen.
  8. Schließlich die vielleicht wichtigste Erkenntnis: Es geht nicht ums Ankommen, sondern darum, sich auf den Weg zu machen.

Bettina Jorzik leitet im Stifterverband das Fokusthema „Schulische Bildung stärken“. Dieser Artikel ist die gekürzte Version eines Beitrages, der im Oktober 2023 in dem Band „Die Poesie der Reformen“ erscheinen wird. Wir danken dem transcript-Verlag für die Genehmigung zur Veröffentlichung.