Jürgen Tautz (Foto: Christian Bohnenkamp)
Jürgen Tautz (Foto: Christian Bohnenkamp)

Ein Leben für die Biene

Der Würzburger Jürgen Tautz bezeichnet sich als Spätberufenen: Er war 40 und längst schon erfolgreicher Biologe, als er zum ersten Mal vor einem Bienenstock saß – und sich entschloss, seine Forschung komplett umzustellen. / Serie „20 Jahre Communicator-Preis“, Teil VIII.

Irgendwo in diesem Garten muss es passiert sein, dass Jürgen Tautz seine lebenslange Leidenschaft entdeckte. Idyllisch eingewachsen, umgibt er ein früheres Bauernhaus, in dem Tautz mit seiner Familie wohnt, eingebettet in die fränkischen Hügel in der Nähe von Würzburg. „Dort vorne stand mein erstes Bienenvolk“, sagt Tautz und deutet in eine Ecke des Gartens. 40 Jahre alt war der Biologe damals, ein Kollege hatte ihm die Bienen geschenkt: „Dabei wusste ich über Bienen nur zweierlei, nämlich dass sie erstens stechen und zweitens Honig machen.“

Heute, drei Jahrzehnte später, ist Jürgen Tautz einer der weltweit renommiertesten Bienenforscher: Kaum jemand weiß so viel über die Insekten wie er, kaum jemand ist so tief vorgedrungen in die Geheimnisse der Bienen. „Damals hatte ich den Bienenstock im Garten aufgebaut, mich davor gesetzt und die Bienen einfach nur beobachtet, stundenlang. Und ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus“, erinnert sich der 70-Jährige an den Beginn seines Forschungsinteresses. Schon davor war er erfolgreicher Wissenschaftler, er forschte in Australien und in Stanford, zuletzt über die Neurobiologie von Krebsen.

Aber die Bienen ließen ihn nicht los: Immer tiefer tauchte Jürgen Tautz in die Materie ein, er las alles, was es zu dem Thema gab, er machte erste eigene Experimente, bis er sich schließlich entschloss, ganz zum Bienenforscher zu werden. Und immer wieder stellte er fest, wie stark dieses Thema alle Menschen interessiert: „Als sich herumgesprochen hatte, dass ich einen Bienenstock im Garten stehen habe, kamen erst ein paar Lehrer, dann kamen ganze Klassen, schließlich kam auch eine Kindergartengruppe. Alle wollten sich das einmal aus der Nähe anschauen“, sagt Jürgen Tautz. „Da habe ich gemerkt: Das Thema kommt an!“

Illustration: Lisa Syniawa

Diese Forscher sind Stars. Denn sie arbeiten nicht nur in Labors, sitzen nicht nur in Bibliotheken. Stattdessen stehen sie als Medienprofis sehr oft auf den großen Bühnen des Landes. Sie können meisterhaft über Forschung reden, sie begeistern für das, was vielen Bürgern sonst nicht zugänglich wäre. Solche begnadeten Wissenschaftskommunikatoren als Vorbilder zu adeln und ihr außergewöhnliches Engagement zu belohnen, war im Jahr 2000 die Idee des Stifterverbandes und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Seitdem vergeben sie gemeinsam jährlich den „Communicator-Preis – Wissenschaftspreis des Stifterverbandes“. Der Stifterverband steuert das Preisgeld bei (50.000 Euro), die DFG sucht die Preisträger aus. Jürgen Tautz erhielt den Communicator-Preis im Jahr 2012.

Wissenschaft spannend erzählen

Drei Stunden habe ich erzählt und man hätte eine Stecknadel fallen gehört.
Jürgen Tautz (Foto: Christian Bohnenkamp)
Jürgen Tautz (Foto: Christian Bohnenkamp)

Jürgen Tautz

Als das Wort „Bienensterben“ in die Schlagzeilen kam, schrieb Jürgen Tautz das erste populärwissenschaftliche Buch über Bienen. „Bis dahin gab es zwar jede Menge Literatur, aber das waren alles Fachtitel für Imker.“ Er hielt Vorlesungen für seine Studenten, er gab Interviews, trat auf Tagungen auf und irgendwann auch vor Automanagern. Jürgen Tautz schmunzelt, wenn er daran denkt: „300 wichtige Leute aus den Konzernen hatten einen Kongress hier in Würzburg, und ich sollte für die Abendunterhaltung sorgen und etwas über Bienen erzählen.“ Seinen Vortrag nannte er „Die Honigbiene – der heimliche Helfer der Automobilindustrie“.

Als er auf die Bühne kam, erinnert er sich, seien die Zuhörer müde gewesen nach einem langen Tag, „aber aus Höflichkeit sind sie noch sitzen geblieben“. Und dann legte Jürgen Tautz los: Er erzählte über die Wabenstrukturen und die Parallelen zur Leichtbauweise bei Autos. Er erzählte vom U-Bahn-Netz in Tokio, in dem automatisiert ständig Züge kreuz und quer fahren, aber nie zusammenstoßen. „Und jetzt schauen Sie sich einmal den Verkehr vor Bienenstöcken an, vor diesem kleinen Eingangsloch. Da herrscht Gewimmel, aber es gibt keine Rempler“, sagte Tautz. Er zeigte Zeitlupenaufnahmen aus seiner Forschung. „Wie machen das die Bienen – und was können wir daraus für den Verkehr lernen?“ Die Automanager hörten gebannt zu. Oder, ein Vortrag bei anderer Gelegenheit: Tautz referierte im Waldkindergarten, den seine Enkel besuchen. 20 Minuten würden reichen, sagte ihm die Erzieherin vorher, länger könnten sich die Kleinen sowieso nicht konzentrieren. „Drei Stunden habe ich erzählt“, ruft Jürgen Tautz triumphierend, „und man hätte eine Stecknadel fallen gehört!“

Faszination Forschung

Foto: Nadine Gerold
Foto: Nadine Gerold

Es ist eine faszinierende Welt, in die Jürgen Tautz seine Zuhörer mitnimmt. Jedes Detail, das er wie beiläufig erwähnt, gehört zu einem großen Mosaik: Tautz schildert die Duftmarkierung, die eine Biene an jeder Blüte hinterlässt, um ihren Artgenossen mitzuteilen, dass der Nektar hier schon abgeerntet ist, und dass dieser Duft in dem Maße schwächer wird, in dem die Blüte wieder neuen Nektar produziert. Er weiß, dass es in Deutschland 600 Berufsimker gibt und dass jeder von ihnen mindestens 1.000 Bienenvölker benötigt, um eine Familie zu ernähren. Dass jedes Bienenvolk 300 Kilogramm Honig pro Jahr produziert, von denen der Imker aber nur ein Zehntel ernten kann, weil die Bienen den Rest selbst verwenden. 

Wenn eine Biene eine neue Höhle entdeckt, vermisst sie sie zunächst, indem sie ihre Schritte zählt, und sofern die Höhle geeignet ist als neue Behausung für den Stamm, holt sie die anderen Bienen nach. Frisch geschlüpfte Bienen sind die ersten drei Tage ihres Lebens nicht in der Lage zu stechen, danach schon. Er erzählt, dass der Biene im Koran eine eigene Sure gewidmet ist und sie in allen Weltreligionen eine Rolle spielt. Dass die amerikanischen Ureinwohner keine Bienen kannten, aber die europäischen Siedler sie als Nutztier mitbrachten; „die Fliege des weißen Mannes“ wurde sie deshalb von den Ureinwohnern genannt.

Für seine Forschung nutzt Jürgen Tautz immer die neuesten technischen Möglichkeiten, die es gibt. Er war der erste Wissenschaftler, der Bienen mit sogenannten RFID-Chips ausstattete. Im Gewimmel eines Bienenstocks konnte er damit auf einmal individuelle Bienen beobachten: Er konnte beschreiben, wie lange sie im Stock verweilen und wer mit wem gemeinsam den Stock zum Sammelflug verlässt. Er konnte untersuchen, ob alle Bienen gleich fleißig sind und wie sie auf ein aufziehendes Gewitter reagieren. Mit Wachs klebte sein Team die kleinen Chips auf die Brust der Bienen, vom Gewicht her seien sie nicht weiter belastend, so Tautz, in etwa so wie ein leichter Rucksack für einen Menschen. „Solche neuen Methoden sind von den Auswirkungen vergleichbar mit einem Teleskop in der Astronomie: Auf einmal sieht man Dinge, von denen man vorher keine Ahnung hatte.“

Foto: Christian Bohnenkamp
Foto: Christian Bohnenkamp
2012 erhielt Jürgen Tautz den Communicator-Preis. Kölner Maler und Medienkünstler Michael Bleyenberg hat die Trophäe in Form eines Hologramms gestaltet.

Digitaler Bienenstock

Wer mit Jürgen Tautz von seinem Haus in den fränkischen Hügeln zum Gebäude seines Instituts in Würzburg fährt, sieht dort ein Projekt, auf das er besonders stolz ist. Ihre Büros haben Tautz und seine Mitarbeiter in einem früheren Kasernengebäude; ein dreigeschossiges, lang gestrecktes Haus ist es, das einstmals amerikanischen Offizieren als Unterkunft diente. Tautz ist im Erdgeschoss untergebracht, aus seinem Fenster führt ein Kabelstrang nach draußen – hin zu einem Bienenstock, den er dort vor dem Fenster platziert hat. Er gehört zu dem besagten Projekt: HOBOS heißt es, HOneyBee Online Studies. Dessen Nachfolgeprojekt we4bee richtet sich gezielt an Schulen. Sie können über das Internet das Leben der Bienen verfolgen: Der Bienenstock ist mit Sensoren ausgestattet, dazu gibt es etliche Messwerte aus der Umwelt, wie Wetter und Feinstaub. Derzeit sind, gesponsert durch die Audi Stiftung für Umwelt, 100 Schulen an dem Projekt beteiligt, alle mit eigenen Bienenvölkern. Die Bienen, so hat Jürgen Tautz beobachtet, sind ein ideales Vehikel, um Schüler für die Biologie und generell für die Naturwissenschaften zu begeistern. Mit seinem neuesten Buch Honigbienen – geheimnisvolle Waldbewohner, für das er mit Ingo Arndt, einem der weltweit renommiertesten Naturfotografen, an Bienenstöcken auf der Lauer gelegen hatte, will er weiter für die Bienen trommeln.

Seinen Studenten, die sich mit Bienen beschäftigen wollen, gibt Tautz immer den gleichen Rat: „Setzt euch am Anfang einfach mal vor einen Bienenstock, stundenlang, und beobachtet die Bienen“, sagt er ihnen. „Und mit der Fachliteratur fangt ihr am besten erst danach an. Verlasst euch drauf: Jeder findet seinen ganz eigenen Zugang zu den Bienen!“

Dieses Selbstbeobachten, das Sich-faszinieren-Lassen ist genau der gleiche Weg, den Jürgen Tautz gegangen ist, damals vor 30 Jahren mit dem ersten Bienenstock, den ihm der Kollege geschenkt hatte.

ÜBER DIESE SERIE

Foto: Nadine Gerold
Foto: Nadine Gerold

20 Jahre Communicator-Preis - Grund genug für MERTON, die bisherigen 20 Preisträger in einer besonderen Bild- und Artikelserie zu würdigen. Nicht nur der Fotograf Christian Bohnenkamp setzt die Protagonisten in stimmungsvolles Licht, auch der Autor Kilian Kirchgeßner bringt sie in seinen Texten zum Leuchten. Wer die ausdrucksstarke Bilder einmal aus der Nähe sehen will: Das Wissenschaftszentrum Bonn präsentiert die Werke voraussichtich im Sommer 2021 in einer kleinen Retrospektive. 

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