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Der Flow und seine Feinde

Kolumne,

Eine konzentrierte und ruhige Arbeitsatmosphäre macht Mitarbeiter nicht nur zufriedener, sondern auch produktiver. In den Managementetagen ist das allerdings noch nicht angekommen, meint unser Kolumnist Gunter Dueck.

Es ist sattsam bekannt, wann Menschen am besten arbeiten oder wann sie die höchste Leistung erbringen. Sie sollten zeitvergessen bei der Arbeit ein Lied vor sich her summen – so stelle ich mir das bei mir selbst vor. Ich schreibe dann im Flow, die Ideen sprudeln nur so und ich spüre die Freude des steten Gelingens. Es klappt, alles passt zusammen. Ich habe von Tom DeMarco (aus seinem Buch Peopleware – must read!) das Wort jell im Kopf, wie „Gestalt annehmen/gelieren“ oder „zum Klappen bringen“. Ich fühle Schaffenskraft in mir, ich arbeite auf meinem höchsten Niveau ... 

Im Flow ist man nicht abgelenkt, sondern voll konzentriert. Sie kennen dieses Phänomen sicherlich bei Computern, wenn Sie ein wichtiges Programm starten oder einen zeitkritischen Download schnell haben müssen – und wenn genau in diesem Moment gleichzeitig die Backup-Maschine startet und das Antivirusprogramm einen deep run veranstaltet. Das ist zum Haare raufen, denn jetzt ist die Maschine nicht auf das konzentriert, wofür ich sie will. Die CPU befasst sich leider mit anderen Dingen, sie ist stark abgelenkt.

Stellen Sie sich nun vor, Sie arbeiten im totalen Flow und schaffen „richtig was weg“. Da kommt der Chef rein und fragt, ob Sie nicht noch eine Schippe drauflegen können – denn der Kunde sei ungeduldig. Er möchte deshalb von Ihnen gerne einen kurzen Bericht haben, wie weit Sie im Augenblick sind und warum noch nicht weiter. Na? Da haben Sie doch das Gefühl, Ihrem Chef die Krawatte richten zu müssen – und zack sind Sie raus aus dem Flow und ärgern sich tierisch über die Unterbrechung. Die tötet nämlich alle Arbeitsfreude, weil es sinnlose Arbeit hagelt und weil die Bitte des Chefs als solche Ihnen gegenüber Misstrauen ausdrückt. Das stimmt natürlich nicht – es sind ja nur die kalten Prozesse des Unternehmens und die mangelnde Empathie Ihres Chefs. 

Da denke ich, dass ein Manager doch irgendwie unfähig ist, wenn er Leute aus dem Flow oder Takt bringt, oder? Er ist der eigentliche Low Performer, nicht Sie! Am schrecklichsten sind Momente, in denen man als Programmierer gerade einem Fehler im Programm auf der Spur ist und in diesem Moment die volle Komplexität des Problems im Hirn hat – und dann kommt so ein nervöser Chef daher und fragt, wann der Fehler endlich weg ist. Dieses dämliche unzeitige (!) Fragen, wie weit man ist – das beendet jeden Flow blitzartig und abrupt. Gute Arbeit ist dann nicht mehr möglich, weil es einen Teil des Körpers wurmt. Dennoch wird das ständige Nachfragen als wichtiges Führungsinstrument betrachtet; es befriedigt wohl den Machtkitzel, verschlechtert aber die Ergebnisse.

Schlimmer noch: Manager glauben allgemein, dass Menschen im Flow wegen ihres glücklich-zufriedenen mentalen Arbeitszustandes eben nicht im optimalen Zustand arbeiten, sondern noch schneller rudern könnten. Für sie müssten alle Mitarbeiter eigentlich verzerrte Gesichter haben, wie Ruderer kurz vor dem Finish. Daher fragen sie voll absichtlich in den Flow hinein, warum die Gesichter nicht verzerrt sind. Das sind diese dann auch sofort, aber unter Totalabfall der Leistung. 

Direct Dueck

Gunter Dueck (Illustration: Irene Sackmann)
Gunter Dueck (Illustration: Irene Sackmann)

Gunter Dueck besitzt die Gabe, einen in innere Jubelstürme ausbrechen zu lassen. Das gelingt ihm, wenn man ihn als Vortragenden auf der Bühne erlebt, aber auch mit seinen Texten und Büchern, mit seinen Interviews. Er schafft es auf ganz außergewöhnliche Weise die Dinge auf den Punkt zu bringen: Oft schleicht er sich erst an ein Thema heran, um dann umso hartnäckiger ein Problem herauszuarbeiten. Seine Thesen trägt er zumeist ruhig und gelassen vor, und doch sind sie oft – das merkt man manchmal erst später – messerscharfe Fallbeile. Dann erheben sich – siehe oben – die inneren Jubelstürme. Und oft jubeln ihm die Menschen nicht nur innerlich zu: Auf großen Tagungen wie der re:publica ist er ein unumstrittener Star. Umso schöner, dass er das MERTON-Magazin mit einer regelmäßigen Kolumne bereichert. Er nennt sie „Direct Dueck“, was auf ein paar schöne scharfe Fallbeile in Textform hoffen lässt. 

Alle MERTON-Kolumnen von Gunter Dueck

Ich denke, dass ein Manager doch irgendwie unfähig ist, wenn er Leute aus dem Flow oder Takt bringt.
Gunter Dueck
Gunter Dueck (Foto: Michael Herdlein)

Gunter Dueck

Im Grunde könnte ich folgern – darf ich das mal ganz knackig? –, dass die Manager damit ein wichtiger Feind des Arbeitserfolges sind. So lautet eine Kernthese meines ersten Buches Wild Duck. Ich habe damals gedacht, dass der IBM-Mainframe die Welt rettet. Wenn nämlich per Big Data, Sensoren und Cognitive Computing alle Handgriffe des Mitarbeiters live gemessen (IoH, Internet of Humans) und vom Rechner beurteilt werden (nicht vom Chef, der ist wegrationalisiert), dann weiß ja der Rechner, dass er seine Mitarbeiter im Optimum, also im Flow, halten muss. Deshalb kann es ein nicht emotional belasteter und gut ausgebildeter Computer schaffen, dass alle Menschen optimal arbeiten.

Welche Eigenschaften hat ein optimaler Mitarbeiter? Er ist teamfähig, empathisch, hilfsbereit, systemisch denkend, verantwortungsvoll, initiativ, pflichtbewusst, ausdauernd, humorvoll und freundlich. Merken Sie etwas? Ungefähr das Gleiche wollen Konfuzius, Jesus und Buddha ja auch von uns, aber die haben nur gepredigt und viele Worte gemacht. Der IBM-Mainframe aber – so meine damalige Prognose – wird nicht nur weitgehend wirkungslos predigen, nein! Er wird die Menschheit als ihr Herrscher optimal einstellen und damit echt umsetzen, wovon Religionsstifter nur träumen konnten.

Leider ist es nicht so gekommen. Warum nicht? Woran lag’s? Ich weiß es bestimmt: Es liegt an den zu kleinen Mainframes. Mit der Cloud und dem IoH muss es klappen. In zehn Jahren. Ganz sicher.