Alexander Krichel (Foto: Henning Ross/Sony Classical)

„Es ist nichts Schlechtes, anders zu sein“

15 Fragen, 15 Antworten – und eine Zugabe: Der Konzertpianist Alexander Krichel hat als Schüler an den Wettbewerben von Bildung & Begabung teilgenommen. Heute studiert er Musik in London und ist bei Sony unter Vertrag. Eine steile Karriere, doch wer ist die Person hinter dem Musikgenie? Ein Interview.

1. Bitte stellen Sie sich in einem kurzem Videoclip selbst vor:

Alexander Krichel in 15 Sekunden

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2. Und wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?
Vermutlich würden meine Freunde sagen, dass ich hyperemotional und viel zu ehrlich bin. Diplomatie ist zwar etwas sehr Wichtiges, aber irgendwie ist sie meiner Ansicht nach auch oft mit einer gewissen Unehrlichkeit verbunden. Tendenziell bin ich lieber etwas zu ehrlich, was dann manchmal auch mit einer bestimmten Flapsigkeit einhergeht. Wenn ich etwas blöd finde, dann sage ich das auch.

3. Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Ihre Schulzeit denken?
Ich kann es kaum glauben, dass nun nicht nur meine Schulzeit, sondern diesen Sommer mit dem Ende meines zweiten Aufbaustudiums in London auch meine Studienzeit vorbei ist. Mit meiner Schulzeit verbinde ich eine gewisse Unbefangenheit. Es gab unfassbar viele schöne Momente und ich habe einige der auch heute noch für mich wichtigsten Menschen in meiner Schulzeit kennengelernt. Alles, was ich gemacht habe, sei es Musik, Mathe oder Sprachen, habe ich gemacht, weil ich Freude daran hatte. Irgendwann kam dann die Zeit der Entscheidung. Dann geht der Ernst des Lebens los. Ich bereue aber nichts – zumindest bisher – und würde vermutlich alles genauso wieder machen.

4. Und wie denken Sie an „Bildung & Begabung“ zurück?
„Bildung & Begabung“ hat es mir ermöglicht, mich sehr vielseitig, sprich in unterschiedlichen Fachgebieten, zu entwickeln und auszuprobieren. Ich habe durch „Bildung & Begabung“ andere Menschen beziehungsweise Schüler kennengelernt, die ähnliche Interessen hatten wie ich und mit denen ich mich auf dieser Ebene natürlich auch ganz anders unterhalten konnte. Auch wenn man sich nicht kannte, hatte man sofort ein Thema. Was sehr wichtig war: „Bildung & Begabung“ hat mir gezeigt, dass es nichts Schlechtes ist, „anders“ zu sein als die meisten seiner Mitschüler. Ich kann nicht sagen, dass ich mit 14 zu den coolen Kids gehörte. Ganz im Gegenteil!

Musik ist wie eine Sprache ohne Worte und gerade das macht sie so unantastbar.

Alexander Krichel

Alexander Krichel (Foto: Henning Ross/Sony Classical)

5. Was fasziniert Sie an Ihrem Job?
Als Musiker habe ich eigentlich das Gefühl, gar keinen Job zu haben, sondern den ganzen Tag das zu machen, was ich liebe, quasi mein Lieblingshobby auszuführen, und dafür auch noch bezahlt zu werden. Künstler befinden sich ihr Leben lang auf der Suche nach der absoluten Wahrheit, die sie aber niemals finden werden. Perfektion gibt es in der Kunst nicht. Genialität schon, aber perfekt ist man nie. Dennoch machen Künstler pausenlos (genau wie alle anderen Menschen auch) Entwicklungen durch und man weiß nie vorher, wo man in fünf Jahren mit seiner Musik ist. Das Publikum dabei an seiner Seite zu haben, ist etwas sehr Beflügelndes. Mit der Musik Menschen zu erreichen und zu berühren, ist etwas unfassbar Schönes. Sie ist wie eine Sprache ohne Worte und gerade das macht sie so unantastbar. Musik sagt jedem etwas anderes und dadurch berührt sie jeden Menschen an einer ganz persönlichen Stelle. Als Musiker das Medium zu sein, das dies auslöst, ist für mich etwas sehr Schönes und ein großes Privileg.

6. Welcher Beruf hätte Sie gereizt, wenn Sie nicht Pianist geworden wären?
Als kleines Kind wollte ich immer Zauberer werden. Wir reden hier aber nicht von einem Trickzauberer, ich wollte die Art von Gandalf-Dumbledore-Zauberer werden, die es (leider!) nicht wirklich gibt. Als mir meine Großmutter dann einmal sagte, dass ein Arzt ja Menschen gesundzaubert, war das fortan mein neuer Wunsch. Die Tatsache, dass einige meiner Cousins, die alle älter sind als ich, in diese Richtung gegangen sind, hat sicherlich auch dazu beigetragen. Je älter ich wurde, umso größer wurde aber die Liebe zur Musik und der Wunsch, das große Risiko einzugehen und Musiker zu werden.

7. Was können Sie denn gar nicht?
Das ist jetzt etwas unangenehm, aber ich habe praktisch null Orientierung. Und wenn ich sage „praktisch null“, meine ich eigentlich null. Als ich mein zweites Sony-Album im polnischen Radiogebäude in Warschau aufnahm und in der Pause einfach (im Gebäude!) etwas herumgehen wollte, fand ich nicht mehr zum Konzertsaal zurück und die Aufnahme musste 15 Minuten später anfangen, weil Solist Krichel auf Entdeckungstour war ... Besonders unangenehm war, dass ein ganzes Orchester inklusive Dirigent und natürlich dem Team im Studio auf mich gewartet hat. 

8. Stellen Sie sich vor, Sie hätten ab sofort ein ganzes Jahr frei …
Kommt darauf an, was „frei“ heißt. Wenn „frei“ heißen würde: kein Klavier spielen, würde ich Sie bitten, mir das nicht anzutun. Wenn ein Jahr „frei“ heißen würde, dass ich ein Jahr lang keine Konzerte spiele – sogar das ist nicht wirklich leicht vorstellbar, aber ich spiele mal mit –, würde ich vermutlich nach Venezuela fliegen zu meiner „Familie“ dort und ein Jahr lang irgendwo zwischen Dschungel, Gebirge und Strand neues Repertoire erarbeiten. Ein Leben ohne Musik ist für keinen Musiker vorstellbar, aber wenn ich meinen Beruf im warmen Südamerika ausüben könnte, wäre das schon toll. Als gebürtiger Hamburger, der in Hannover studiert hat und nun in London lebt, wird man mir nachsehen, dass ich vom nordeuropäischen Wetter so langsam einfach die Nase voll habe.

9. Was wollten Sie immer schon mal lernen?
Japanisch! Und Russisch! Um ehrlich zu sein: Russisch möchte ich schon sehr lange lernen, aber ich habe den Willen noch nicht aufgegeben. Japan hat für mich eine faszinierende Kultur und ich fühle mich dort sehr wohl, deshalb möchte ich sehr gerne die Menschen dort besser verstehen.

Zur Person

Alexander Krichel (Foto: Henning Ross/Sony Classical)

1989 in Hamburg geboren, begann Alexander Krichel im Alter von sechs Jahren mit dem Klavierspiel. Als Schüler hat er am Bundeswettbewerb Fremdsprachen sowie an der Mathematik-Olympiade von „Bildung & Begabung“ teilgenommen. Mit 15 Jahren wurde er Jungstudent an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. 2007 setzte er seine Studien an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover bei dem legendären Pianisten Vladimir Krainev bis zu dessen Tod fort. Zurzeit studiert er am Royal College of Music in London bei Professor Dmitri Alexeev.

2011 unterschrieb Alexander Krichel einen Exklusivvertrag bei Sony Classical. Sein inzwischen drittes Album für Sony hat er Rachmaninov gewidmet und mit der Dresdner Philharmonie unter Michael Sanderling aufgenommen.2013 gewann er für sein Debütalbum „Frühlingsnacht“, das direkt nach der Veröffentlichung in die Klassik-Charts einzog, den ECHO Klassik als „Nachwuchskünstler des Jahres“.

Einfach mal entschleunigen

Alexander Krichel (Foto: Henning Ross/Sony Classical)
Alleine in der Natur: Alexander Krichel würde gerne einmal für 24 Stunden seinen Job mit einem Schafhirten tauschen.

11. Einen Tag lang jemand anderes sein: Mit wem würden Sie gerne für 24 Stunden tauschen?
Mit einem Schafhirten! Unbedingt! Ich denke, dass es vielen Menschen sehr gut tun würde, einmal 24 Stunden mit sich selbst und der Natur – und natürlich den Schafen – alleine zu sein. Durch die Hetze und die Schnelllebigkeit der heutigen Zeit meine ich zu spüren, wie Menschen immer mehr sich selbst verlieren und leider auch gar nicht mehr die Zeit haben, sich zu fragen, wer sie selbst überhaupt sind. Diese Entschleunigung würde einem selbst und auch der ganzen Gesellschaft wirklich gut tun.

12. Auf welche Website oder App können Sie kaum verzichten?
Die Antwort auf diese Frage entspricht (oder widerspricht, je nachdem ...) meiner Antwort auf die vorherige Frage. Eine der Apps, die ich am häufigsten verwende, ist sicherlich die Mail-App. Eigentlich ist es selbstverständlich, immer und überall per Mail erreichbar zu sein und innerhalb der normalen Geschäftszeiten binnen kürzester Zeit zu antworten. So funktioniert es einfach, das ist heutzutage normal. Und auch wenn ich als Künstler eigentlich keine festen Arbeitszeiten habe – am liebsten übe ich nachts, wenn ich weiß, dass alles schläft! –, muss ich mich da dann doch anpassen.

13. Worüber können Sie sich aufregen?
Ich bin in alltäglichen Situationen im Prinzip nur schwer aus der Ruhe zu bringen. Die Musik ist ein super Ventil und ich kann mich energetisch komplett entladen, wenn ich Klavier spiele.
Im „echten“ Leben rege ich mich nur dann auf, wenn es sich wirklich lohnt. Ignoranz von Menschen finde ich am schlimmsten, in großer oder in kleiner Manier. Wenn Menschen keine Empathie haben für die Lage anderer Menschen und wegschauen, anstatt aktiv zu werden. Als ich in Venezuela bei den großen Protesten im Februar 2014 mitgelaufen bin – obwohl ich als Deutscher eigentlich ja damit nichts zu tun hatte –, haben mich zwar viele für verrückt erklärt, weil es eben leider keine friedlichen Proteste waren, aber gerade so etwas finde ich entscheidend! Diesen Menschen in Venezuela hat es unfassbar viel gegeben, mich an ihrer Seite zu wissen und zu sehen, dass sie mit ihren Problemen und Sorgen nicht alleine sind.

Kindern in sehr jungen Jahren Musik nahezubringen, ist essenziell, nicht nur für die nachgewiesene kognitive, sondern auch für die Persönlichkeitsentwicklung.

Alexander Krichel

14. Welche Überschrift würden Sie gerne in allen Medien lesen?
„Nie wieder Krankheit, Krieg oder Leid – Allheilmittel entdeckt.“

15. Wenn Sie noch mal 15 wären …
... würde ich vermutlich (fast) alles genauso machen, wie ich es gemacht habe. Solange man immer seinem Herzen folgt, macht man nie etwas falsch. Sogenannte „Fehler“ waren nämlich zu dem Zeitpunkt, zu dem sie begangen wurden, keine Fehler. Zu dem Zeitpunkt, zu dem sie passiert sind, waren sie richtig. Sie haben sich dann nur später als Fehler entpuppt, das heißt, sie wurden erst später zum Fehler. Daraus lernt man jedoch und ich denke, dass ich aus keiner Situation rausgegangen bin, ohne etwas gelernt zu haben. Und die Zukunft kann man nicht voraussehen.

16. Zugabe: Braucht die Talentförderung mehr Musik oder die Musik mehr Talentförderung?
Beides! Kindern in sehr jungen Jahren Musik nahezubringen, ist essenziell, nicht nur für die nachgewiesene kognitive, sondern auch für die Persönlichkeitsentwicklung. Das heißt, völlig unabhängig davon, ob Kinder nun später die Musik als Berufsweg wählen oder nicht, sie profitieren so oder so davon. Ich habe die Musik sofort als Sechsjähriger als Sprache und als Ausdrucksmittel kennengelernt. Und darum konnte ich mich so gut mit ihr identifizieren. Ich wünsche mir sehr, dass es mehr Musiklehrer gibt, die genau das vermitteln können.
In den letzten Jahren hat sich das System der Talentförderung in der Musik durch Begabteninstitute an Hochschulen vor allem in Deutschland merklich gewandelt und verbessert. Das ist eine positive Entwicklung, die hoffentlich immer so weitergeht!

Bildung & Begabung

„Bildung & Begabung“ ist eine Tochter des Stifterverbandes. Förderer sind das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Kultusministerkonferenz. Schirmherr ist der Bundespräsident. Als das deutsche Zentrum für Talentförderung setzt „Bildung & Begabung“ die Standards für die außerschulische Talentförderung in Deutschland und erreicht mit Akademien und Wettbewerben wie dem Bundeswettbewerb Fremdsprachen jedes Jahr rund eine Viertelmillion junge Menschen. Es unterstützt Jugendliche aller Schulformen, vernetzt Experten auf Fachtagungen für Wissenschaft und Praxis und hält Informationen für Lehrer, Eltern und Schüler bereit.

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