Ulrich Dirnagl (Foto:Peter Himsel)

„Wir produzieren zu viel Forschungsmüll“

Viele präklinische Studien taugen nichts. Das führt zu teuren Fehlschlägen bei der Suche nach neuen Medikamenten. Wissenschaftler, Förderorganisatoren und Herausgeber von biomedizinischen Journalen müssen sich deshalb gemeinsam für eine gute wissenschaftliche Praxis einsetzen, meint der Schlaganfallforscher Ulrich Dirnagl. Er war zu Gast in der jüngsten Ausgabe von "Forschergeist", dem Podcast des Stifterverbandes.

Die präklinische Biomedizin hat ein Qualitätsproblem, sagt Ulrich Dirnagl. Der renommierte Schlaganfall-Forscher von der Berliner Charité hat Hunderte Fachveröffentlichungen zu Schlaganfall und Krebs untersucht und ist zu alarmierenden Erkenntnissen gekommen: Die Studien-Ergebnisse sind oftmals nicht reproduzierbar, Protokolle sind lückenhaft, wichtige Daten nicht verfügbar. Es gibt Mängel im Design und der Auswertung von experimentellen Studien, wie zum Beispiel das Fehlen von randomisierter (also zufallsgesteuerter) Versuchsgruppen-Zuordnung, fehlende oder fehlerhafte Anonymisierung („Verblindung“). Hinzu kommen niedrige Standards im "Reporting", also den Dingen, die bei einer Publikation angegeben werden müssen. Es gibt - so Dirnagl - eine starke Tendenz zur Veröffentlichung von nur scheinbar vielversprechenden Resultaten. In der Folge würden oft aufwendige klinische Prüfungen begonnen, deren (negatives) Ergebnis bei Durchführung von präklinischen Studien hoher Qualität eigentlich vorhersehbar gewesen wäre. 

Ulrich Dirnagl zu Gast bei "Forschergeist"

Hören Sie hier das ganze Gespräch mit Ulrich Dirnagl in unserem Podcast "Forschergeist"

Wissenschaftlicher Erfolgsdruck

Der Erfolgsdruck bei Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Einrichtungen scheint also groß, wenn permanente Verstöße gegen gutes wissenschaftliches Arbeiten zur Regel werden. Sind unsere Belohnungssysteme und Karrierewege in der akademischen Forschung also fehlgesteuert? Ja, sagt Ulrich Dirnagl und fordert neue Ansätze der Auditierung und des Monitoring sowie mehr Kontrolle durch wissenschaftliche Journale. 

Großes Potenzial biete hierbei Open Science, so Dirnagl. Würden alle Originaldaten nach der Veröffentlichung der Studie ins Netz gestellt, können sich Wissenschaftler untereinander selbst kontrollieren. Und es gibt einen weiteren positiven Nebeneffekt: „Stelle ich meine Daten anderen Wissenschaftlern zur Verfügung, können diese damit Sachen machen, an die ich gar nicht gedacht habe.“ Für Wissenschaft und Forschung ein großer Gewinn.

Ulrich Dirnagl (Foto:Peter Himsel)
„Wissenschaft ist auf Vertrauen gebaut. Es gibt bei uns keinen anderen Bereich in der Gesellschaft, wo sie nur deshalb, dass sie Mitglied einer Profession sind, für sich reklamieren können, dass man ihnen trauen muss.“

Ulrich Dirnagl

Leiter der Klinik für experimentelle Neurologie an der Charité Berlin

Forschergeist

Foto: Ansgar Pudenz/ DZP

Forschergeist ist der Podcast des Stifterverbandes zu den Themen Bildung und Forschung. Er bietet Einblicke in die Arbeit von Wissenschaftlern und versucht auszuloten, was Forschergeist ausmacht: Neugier, Ausdauer und Mut. Moderiert wird der Podcast von Tim Pritlove (Metaebene Personal Media). Das Handout zur Sendung gibt es hier als PDF

Forschergeist ist über alle üblichen Podcast-Verzeichnisse abonnierbar (zum Beispiel iTunes) und auch direkt im Webplayer zu hören.

Alle Folgen des Podcasts „Forschergeist“

Zur Person

Ulrich Dirnagl ist Arzt und leitet seit 1999 die Klinik für experimentelle Neurologie an der Charité Berlin. Seit 2013 ist er auch für das DZNE in Berlin aktiv und koordiniert den Aufbau von Strukturen zur Durchführung klinischer Studien. Innerhalb seiner Forschungsgruppe untersucht er die Mechanismen und möglichen Behandlungsansätze für vaskuläre Demenzen. Dirnagl wurde zehn Jahre lang von der Hermann und Lilly Schilling-Stiftung im Rahmen ihres Programms für kliniknahe Grundlagenforschung "Neurowissenschaften in der Klinik" im Rahmen einer Stiftungsprofessur gefördert. 

Ulrich Dirnagl (Foto:Peter Himsel)
Ulrich Dirnagl (Foto:Peter Himsel)
Ulrich Dirnagl (Foto:Peter Himsel)