Beatrice Lugger
Beatrice Lugger (Illustration: Irene Sackmann)

Raus auf die Straßen! Und Türen auf!

Kolumne,

Am 22. April 2017 werden erstmals weltweit Forscher für Wissenschaft auf die Straße gehen. Eine neue Politisierung von Wissenschaft. Die Debatte darüber ist berechtigt. Der Marsch verdient Unterstützung, findet Beatrice Lugger.

Als Reaktion auf den Mann mit dem blonden Schopf, der in unglaublicher Häufung über Twitter schlechte Botschaften unters Volk bringt, planen Wissenschaftler am 22. April 2017 einen „March for Science“. Noch ehe die rund 220 Satellitenmärsche in Washington und in zahlreichen anderen Städten rund um den Globus stattfinden, warnen Bedenkenträger vor einer falschen Politisierung von Wissenschaft. Dabei eröffnet diese Aktion eine große Chance. Sie bringt Forscher auf die Straße, sie zeigen ihr Gesicht, sie engagieren sich, sie setzen sich als Menschen dafür ein, dass Fakten etwas wert sind, ganz persönlich.

Das Gute an Donald Trump: Er lässt Wissenschaftler weltweit zusammenrücken. Eine Forscherin hatte genug: Als bekannt wurde, dass alle Hinweise zum Klimawandel von der Webseite des Weißen Hauses entfernt worden waren, verschaffte sich die an der University of New Mexico in Albuquerque forschende Anthropologin Valerie Aquino in einem Reddit-Beitrag Luft. „There needs to be a Scientists' March on Washington“, schrieb Aquino am 20. Januar. Dies machte schnell die Runde – vor allem über Facebook und an zahlreichen Standorten begannen Forscher sich zusammenzutun. Die Karte auf der Webseite der jungen Aktion zeigt aktuell auch geplante Demonstrationen in Hamburg, Berlin, Leipzig, Dresden, Frankfurt, Heidelberg und München. 

Wissen.Werte.Worte

Beatrice Lugger
Beatrice Lugger (Illustration: Irene Sackmann)

Wissen. Werte. Worte. ist eine Kolumne zur Wissenschafts­kommuni­kation von Beatrice Lugger. Die Wissenschafts­journalistin und Direktorin des Nationalen Instituts für Wissenschafts­kommunikation, NaWik, legt großen Wert auf eine verständliche Kommunikation von Wissen und Wissens­wertem. Diese gilt es zu stärken. Denn heute reden alle mit – mehr oder weniger qualifiziert, ambitioniert und motiviert. Es gibt eine Flut an Informationen, richtigen und falschen Behauptungen oder in die Irre leitenden Metaphern. Gerade deshalb plädiert Lugger für den Dialog, für die Nutzung interaktiver Formate und eine Debatten­kultur in der Wissenschafts­kommuni­kation auf Augenhöhe.

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Doch noch ehe der erste Forscher gewappnet mit einem der bereits vielfach verkauften „March for Science“-T-Shirts am 22. April seinen Fuß auf die Straße setzt, wird innerhalb der Wissenschaften schon fleißig debattiert, ob ein solcher Schritt denn sinnvoll sei. „Dies ist eine schreckliche Idee“, meint etwa der Küstengeologe von der Western Carolina University Robert Young in der New York Times. Young argumentiert, ein „March for Science“ könne Wissenschaft trivialisieren und unnötig politisieren. Es wäre besser, wenn die Forschenden in Kirchen, Schulen und auf Landmärkte gingen und den Wissenschaften dort als Personen ein Gesicht verleihen würden.

Den Rat des Küstengeologen Young verfolgen die Organisatoren des „March for Science“ übrigens längst. Sie sehen es als (zwingend) notwendig an, sowohl zu demonstrieren als auch in Schulen und Behörden zu gehen. So heißt es auf deren Webseite: „This movement cannot and will not end with a march. Our plans for policy change and community outreach will start with marches worldwide and a teach-in at the National Mall, but it is imperative that we continue to celebrate and defend science at all levels – from local schools to federal agencies – throughout the world.“

Auch Dominique Brossard, Kommunikations­wissenschaftlerin von der University of Wisconsin in Madison, äußerte gegenüber Science online, ein solcher Marsch könne Wissenschaft noch mehr politisieren und das Vertrauen in Wissenschaft als Institution verletzen. Zudem empfahl ebendort die Physikerin Cherry A. Murray von der Harvard University, statt zu demonstrieren sollten Wissenschaftler mit Kongressmitgliedern über Forschungsförderung sprechen und Wege suchen, wie sie mit der Trump-Administration zusammenarbeiten könnten. 

Also lieber schön brav im stillen Kämmerlein bleiben, die Labortüren geschlossen halten, das Elfenbeinturm-Image pflegen und sich nur ja nicht aus dem Fenster lehnen? Nur dann reden, wenn eine Kommission dazu auffordert, und ansonsten bitte keine Meinung äußern? Soll das die Zukunft der Kommunikation und Politikberatung durch Wissenschaftler sein? Nein. Im Gegenteil. Es ist gut, wenn Forschende zu ihren Themen kommunizieren, sei es in einem Bürgerdialog, online oder beim Tag der offenen Tür. Es ist gut, wenn sie als Menschen zeigen, dass sie für ihre Themen brennen. 

Nur dann reden, wenn eine Kommission dazu auffordert, und ansonsten bitte keine Meinung äußern? Soll das die Zukunft der Kommunikation und Politikberatung durch Wissenschaftler sein? Nein.

Beatrice Lugger

Keine reine Anti-Trump-Demo

Dennoch sind die bisher geäußerten Einwände bedenkenswert. Bis zum 22. April bleibt Zeit, um festzumachen, wie diese erstmalige weltweit orchestrierte Demonstration für Wissenschaft inhaltlich ausgerichtet sein soll. Eine reine Anti-Trump-Demo wäre dumm und verschenkt. Das würde kaum zu mehr als zu weiteren Tweets aus dem Weißen Haus gegen „diese Elite“ führen. Auch sollte der Schulterschluss mit den Organisatoren des Earth Day, der traditionell am 22. April stattfindet, nicht dazu führen, dass hier zwei Themen komplett vermengt werden.

Wichtiger ist es, dem Niedergang des Wertes von Erkenntnis in Form von Fakten mit dieser Demonstration entgegenzutreten. Diese weltweit erstmalige Aktion basiert in diesem Fall auf dem Erleben der Forschenden, dass ihre Stimmen zu evidenzbasierten Erkenntnissen von Entscheidungsträgern und der Gesellschaft zunehmend ignoriert werden.

„The mischaracterization of science as a partisan issue, which has given policymakers permission to reject overwhelming evidence, is a critical and urgent matter.“

Deshalb wollen viele Wissenschaftler nun ihre Stimme erheben und ihre Meinung äußern. Wenn sie gemeinsam mit Freunden, Interessierten und Bürgern für Wissenschaft, für Erkenntnisse und Fakten auf die Straße gehen und sie so der Diskussion über den Wert von Wissenschaft einen eigenen Impuls geben, sind dies gute Schritte.