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Der Grenzgänger

Gutes tun heißt für Unternehmen viel mehr, als nur Projekte zu finanzieren. Richtig verstandenes Corporate Citizenship bedeutet, die Gesellschaft mit den eigenen Stärken zu bereichern und verlässlicher Teil der Engagement-Infrastruktur zu werden, meint Peter Kusterer (IBM).

Gutes tun und unternehmerisch handeln – sind das nicht eigentlich Gegensätze? Schließlich erwarten die meisten Unternehmen bei Investitionen häufig einen Gegenwert.
Wenn man es oberflächlich betrachtet, könnte man auf diese Idee kommen. Corporate Citizenship ist aber mehr als irgendein Deal und geht über das übliche Abfotografieren von Spendenscheinübergaben durch die Lokalpresse weit hinaus.

Geht es Unternehmen bei Corporate Citizenship und den klassischen CSR-Strategien (CSR: Corporate Social Responsibility) nicht vor allem um Reputation? Man tut Gutes, um als verantwortungsvolles Unternehmen wahrgenommen zu werden?
CSR mag früher in Unternehmen seinen Ursprung beim Thema Reputation gehabt haben. Aber etwas nur zu tun, um Öffentlichkeit zu erzeugen, ist immer ein schlechtes Ziel für Unternehmen. Wenn man es falsch macht, geht das schnell nach hinten los. Dann wird das Engagement mit Green- oder Whitewashing betitelt. Für IBM kann ich aus Überzeugung sagen: Wir leben die Idee von Corporate Citizenship wirklich. 

Dann weihen Sie uns bitte ein: Was macht Corporate Citizenship aus?
Zunächst einmal heißt Corporate Citizenship, dass Unternehmen nicht bloß Finanziers von Projekten sind oder klassische Hilfsaktionen mit möglichst vielen Mitarbeitern ins Leben rufen, wie Kleiderspenden für Flüchtlinge oder den Frühlingsputz in der Gemeinde während einer Kehrwoche oder Ähnliches.

Bei guter Corporate Citizenship bringen sich Unternehmen wirklich mit ihren Stärken in die Gesellschaft ein: Da übernimmt ein Sales-Experte das Fundraising für eine neue Kita, Programmierer passen in Tag- und Nachtaktionen eine Open-Source-Software an die Bedürfnisse einer Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge an und trainieren anschließend Laien, mit diesem Programm, der Datenverwaltung und der Datensicherheit umzugehen. Das sind ganz andere Dimensionen, als einfach nur einen Scheck mit der Post zu schicken.

Und wie tickt Ihr Unternehmen in Sachen Corporate Citizenship?
Beispielsweise ermuntert IBM seine Mitarbeiter, rauszugehen und die Gesellschaft mit den eigenen beruflichen Kompetenzen ein Stückchen besser zu machen. Wenn dies passiert, ein Mitarbeiter ein gemeinnütziges Projekt mit mindestens 40 Einsatzstunden in fünf Monaten auf diese kompetente Art und Weise bereichert, gibt das Unternehmen auch 500 bis 2.000 Dollar Projektbudget dazu.

Der Scheck wird immer noch geschickt, ist aber nicht mehr so wichtig?
Viel wichtiger und wertvoller ist, was die IBM-Mitarbeiter in ihren vielen Stunden freiwilliger Arbeit leisten: Sie bringen ihr professionelles Können, ihr Wissen ein. Dagegen sind die paar Hundert Dollar Projektzuschuss in der Tat Peanuts. 

Zur Person

Peter Kusterer (Foto: privat)

Peter Kusterer verantwortet für IBM Deutschland seit zehn Jahren die Bereiche Corporate Citizenship und Corporate Affairs. Für ihn ist es „der genialste Job der Welt“: permanent neue Herausforderungen, kaum Routine, intensiver Kontakt zu Menschen, ständig in der Gesellschaft unterwegs. Das Allerbeste aber sei: Er bekomme sehr viel positives Feedback für sein Tun, empfinde eine hohe Selbstwirksamkeit durch den Beruf, was es so im beruflichen Alltag nur selten gebe.

Konfliktfrei ist Peter Kusterers berufliche Aufgabe aber keineswegs, denn Corporate Citizenship bedeutet auch, dass man immer wieder Neuland erkunden muss und zwischen der Unternehmenswelt und der Gesellschaft hin und her wechselt, deren Kulturen sich nicht auf Anhieb immer grün sind. Er selbst bezeichnet sich als Grenzgänger, der zwischen den Welten vermittelt, der beide Seiten zusammenbringen will, damit sich etwas Wichtiges verbessert. Wenn das dann gelingt, schwärmt Kusterer, entfalte sich in Citizenship-Projekten ein Zauber, der all die Mühe locker wieder wettmache.

Es ist mir wirklich wichtig, das zu verdeutlichen: Wenn wir Unternehmen lediglich als Finanziers oder Sponsoren von gemeinnütziger Arbeit sehen, geben wir uns nur mit den Krümeln dessen zufrieden, was eigentlich möglich wäre. Unternehmen müssen gerade in Deutschland – wo man immer noch in der Gedankenschiene der klassischen Spenden- und Sponsoring-Ansätze feststeckt – endlich Teil der Engagement-Infrastruktur werden.

Etwas nur zu tun, um Öffentlichkeit zu erzeugen, ist immer ein schlechtes Ziel für Unternehmen.
Peter Kusterer (Foto: privat)

Peter Kusterer

Leiter Corporate Citizenship und Corporate Affairs bei IBM Deutschland

Aber wälzt das Unternehmen Corporate Citizenship so nicht auf seine Mitarbeiter ab? Die werden zwar freigestellt, leisten aber ihre freiwillige Arbeit de facto in ihrer Freizeit, weil das Arbeitspensum in der Regel nicht verringert wird.
Das ist das Schöne am Corporate Volunteering: Das Unternehmen kann es nicht auf die Mitarbeiter „abwälzen“. Sie engagieren sich freiwillig und nur wenn das gelingt, wird es auch ein Gewinn für die Gesellschaft – und das Unternehmen. Die Zahlen, denke ich, sprechen für sich: Seit Gründung unserer On Demand Community (ODC) im Jahr 2004 wurden bei IBM mehr als 20 Millionen gemeinnützige Arbeitsstunden von Mitarbeitern allein in diesem Programm weltweit geleistet. Und es ist nur eines unserer Formate. Mit Programmen wie dem Corporate Service Corps, der Smarter Cities Challenge, den Impact Grants oder, ganz neu, dem IBM Health Corps haben wir ein mächtiges Portfolio an Pro-bono-Einsätzen geschaffen – und in diesen werden Mitarbeiter auch komplett freigestellt und bezahlt. Für IBM kann ich sagen, dass sehr viele unserer Mitarbeiter weltweit gesellschaftlich einen Unterschied machen wollen und glücklich sind, dass wir ihnen die Möglichkeiten geben – auch neben dem Beruf.

Gestatten Sie uns doch einen Blick hinter die Kulissen: Wie kommt ein Mitarbeiter zu seinem gemeinnützigen Engagement? Wendet er sich mit seiner Idee an Sie oder an einen Kollegen von Ihnen?
Zunächst einmal kann jeder Mitarbeiter sich in der ODC selbst aussuchen, ob und wo er sich einbringen will, und diese Ideen vorschlagen. Wir schließen lediglich die Bereiche Kirche, Religion, Politik und Sport aus – aus unterschiedlichen Gründen. Ob jetzt jemand einen Alpenverein unterstützen oder als Telefonseelsorger einspringen will, ist den Mitarbeitern freigestellt. Wir bewerten auch nicht – gute Idee oder weniger gute Idee – oder geben Mitarbeitern vor, welche Zwecke IBM gut finden würde oder auch nicht. Die einzige Maßgabe ist: Die Mitarbeiter müssen sich mit ihren professionellen Fähigkeiten in ein Projekt einbringen und nicht bloß Kuchen backen oder Ähnliches, was jeder könnte.

Ob sich ein Mitarbeiter an mich oder an einen Kollegen aus dem Bereich Corporate Citizenship wendet, ist dabei zweitrangig. Das ist das Schöne an einem globalen Unternehmen: IBM bietet Formate an, die genau für solche Anfragen gedacht sind und die die Organisationsarbeit rund um das ehrenamtliche Engagement sehr vereinfachen. 

Wer bekommt einen Zuschlag und wer nicht?
In der ODC verfolgen wir den Ansatz first come, first serve. Unser Budget für den Projektzuschuss ist auch endlich. Wer in einem Jahr zu spät seine Anfrage stellt, kann aber im nächsten Jahr dann mit einer Zusage rechnen.

Das klingt nach großer Freiheit. Verfolgt IBM nicht eine inhaltliche Strategie für Corporate Citizenship?
Es gibt bei IBM eine weltweite Citizenship-Strategie, wobei die ODC nur ein Format ist. Engagements im Rahmen der anderen Formate folgen unseren weltweiten Schwerpunkten, beispielsweise im Bereich der Bildung oder des Gesundheitswesens. So wird geregelt, dass nicht jedes Land bloß seinem eigenen Flavour nachgeht, sondern einer weltweit einheitlichen Themenschiene folgt, die unsere Stärken aufgreift: Technologie, Know-how und Innovation.

Letztendlich will sich das Unternehmen in Corporate-Citizenship-Aktivitäten auch widerspiegeln können. Im Übrigen ergibt sich die thematische Ausrichtung sozusagen fast von selbst, weil die Mitarbeiter ja mit ihren beruflichen Kompetenzen nach draußen gehen, die sie im IBM-Alltag sowieso einsetzen. Das alles ist also gar nicht so kompliziert, wie es auf den ersten Blick scheint.

Unternehmen müssen gerade in Deutschland endlich Teil der Engagement-Infrastruktur werden.
Peter Kusterer (Foto: privat)

Peter Kusterer

Sie managen all das in Ihrem Unternehmen. Was spiegeln Ihnen Mitarbeiter zurück, die sich für Corporate Citizenship einsetzen?
Eigentlich das, was ich selbst auch immer wieder empfinde: großartig, mehr davon! Man stellt plötzlich fest, welche gesellschaftliche Wirkung das eigene Tun und auch das der Firma entfalten kann. Diese Erkenntnis ist dann tatsächlich erst einmal neu und überwältigend, weil man es so in der Regel noch nie irgendwo in der Presse gelesen hat. Die tiefen Einsichten in so eine Arbeit und die Reaktionen darauf bekommt man wirklich erst, wenn man es tut. 

Ärgert es Sie manchmal, dass oberflächlich über Corporate Citizenship berichtet wird oder Unternehmen an ihrer Scheckstrategie kleben bleiben?
Klar, immer wieder. Man erlebt und erfährt ja hautnah, was alles möglich wäre, wenn mehr Unternehmen mit ihren Mitarbeitern dieser Idee folgen würden – und Zivilgesellschaft und Medien diese Differenzierung auch besser wahrnähmen.

Wie gehen Sie damit um? Ich erlebe Sie hier gerade als einen sehr heiteren Menschen.
Dann kann ich schon mal sehr ungeduldig werden! Aber im Ernst: Das gehört zu meinem Job dazu, das muss man aushalten. 

Sie bezeichnen Citizenship-Manager als Grenzgänger. Inwiefern?
Weil man in dieser Funktion nicht die Position der Unternehmenswelt einnehmen und diese Position der Gesellschaft sozusagen „verkaufen“ kann – man steht definitiv dazwischen, wandelt hin und her und versucht in Corporate-Citizenship-Projekten, beide Seiten zusammenzubringen.

Und wo liegen die Fallstricke?
Wenn man sich in den Ideen zu weit vom Team entfernt, kann man sie verlieren, was keinen Sinn ergibt. Manchmal hat man blendende Einfälle und auch die entsprechenden Personen im Unternehmen, die das sehr gerne umsetzen würden – aber die Organisation, für die man das erdacht hat, will die Leistung gar nicht und lehnt ab, weil sie einen anderen Handlungsstrang für wichtiger hält. Oder dem eigenen Management erscheint es, sagen wir mal, als zu abgehoben.

Sie selbst stoßen viele Ideen an, von denen manche nicht in der Citizenship-Strategie Ihres Unternehmens stehen. Haben Sie sich schon mal allein auf weiter Flur gefühlt?
Ja, das kann passieren. Das erste Flüchtlingsprojekt in Deutschland im Jahr 2011 war so eine Erfahrung. Wir haben aber dann 2015 auf gutem Boden aufbauen und es auch letztendlich in die Citizenship-Strategie integrieren können. Zunächst aber – im Frühsommer 2015 – standen mein italienischer Kollege und ich noch ziemlich alleine da, weil wir auch hier mit Stärken des Unternehmens konkret helfen wollten, statt zum Beispiel nur Kleiderspenden oder Patenschaften anzustoßen.

Was wurde dann umgesetzt?
Als jeden Tag Tausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen, haben IBM-Experten gemeinsam mit dem Deutschen Roten Kreuz in Mannheim, das dort Betreiber einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge ist, eine Open-Source-Software aus dem Katastrophenschutzkontext über ein verlängertes Wochenende und in manch langer Nacht an den Flüchtlingskontext angepasst und Mitarbeiter vom DRK in dieser Software geschult. Es ging darum, Bedarf und Nachfrage vernünftig miteinander abzugleichen: Welche Wohnungen sind beziehbar, wie viele Familienmitglieder sind gekommen – um sie nicht auseinanderzureißen, sondern an einem Ort einzuquartieren –, wer muss noch welchen Gesundheitscheck machen und so weiter. Das hat dann auch hervorragend geklappt. Kleidungsspenden und Patenschaften gab es natürlich auch.

Müssten Unternehmen solche guten Corporate-Citizenship-Ansätze nicht auch viel mehr miteinander teilen?
Natürlich wird das auch getan. Wenn sie aber auf bestimmte Kompetenzen von Mitarbeitern setzen und deren Unternehmen in ganz Deutschland verteilt sind, dann ist ein Austausch nicht ganz so einfach, wie man vielleicht zunächst denkt. Denn eine vertrauensvolle und enge Kommunikation setzt immer voraus, dass sich die Personen inhaltlich, räumlich und zeitlich auch treffen, was in der Realität die Zahl der Akteure schneller schrumpfen lässt, als einem lieb ist.