Foto: iStock/wildpixel

Wer die Sprache beherrscht, gewinnt auch Wahlen

Was hiesige Wahlkämpfer von Donald Trump lernen können: Ein Gespräch mit Elisabeth Wehling über erzkonservative Hirne, die Werte der neuen Mitte und die Aufgaben, die jetzt vor Martin Schulz liegen.

Viele Intellektuelle machen mangelnde politische Bildung als Ursache für Phänomene wie „Trump“ und „Brexit“ aus – frei nach dem Motto: Wo die Wähler nicht genug Faktenkenntnis haben, fallen sie auf Populisten herein, die komplexe Dinge über Gebühr vereinfachen. Sie als Linguistin betonen stattdessen, dass vor allem der bewusste Einsatz von Sprache den Ausgang politischer Wahlen entscheidet.
Für die meisten Wähler ist ausschlaggebend, wie sie die politischen Kandidaten persönlich einschätzen. Deswegen achten sie darauf, ob jemand authentisch wirkt und ob die Sprache eines Kandidaten der eigenen Wertehaltung entspricht. Deswegen gewinnt man Wahlen, wenn man die eigenen Werte klar darstellt und richtig verkauft. Hillary Clinton sprach im US-Wahlkampf viel zu oft von sich selbst, etwa wenn sie in TV-Debatten beteuerte: „Ich bin Politikexpertin. Ich werde das regeln.“ Damit vernachlässigte sie das Miteinander – einen Kernwert fürsorglich geprägter Progressiver. Statt überhaupt weit mehr für progressive Werte zu werben, arbeitete sie sich an Trumps Rüpeldiskursen ab. Klar hat sie das getan, um Falschaussagen zu widerlegen, Fakten zu klären und so weiter, aber bei all dem wurde irgendwann nicht mehr klar, was sie eigentlich selber will.

Was hat Donald Trump denn besser gemacht?
Trump hat seine eigene Zielgruppe, all diejenigen, die ein eher strenges Wertemodell leben, ganz klar angesprochen: Er hat bewusst die liberal-progressiven Sprachvorgaben der Political Correctness verhöhnt und dabei als „furchtloser Rüpel“ gepunktet, der stets sagt, was er für richtig hält, und sich das auch umzusetzen traut. Er hat stets die strengen, konservativen Werte Wettbewerb, Selbstdisziplin und Eigeninteresse betont: „Du kannst nie gierig und reich genug sein.“ Und: „Seht her, was für ein erfolgreicher Geschäftsmann ich doch bin. Mir könnt ihr das Land anvertrauen.“ Er hat den Wert der Hierarchie hochgehalten. Und als eine Art John Wayne der Politik versprach er, die Gemeinschaft gegen das Böse auf der Welt durch eine starke, männliche Autoritätsfigur zu verteidigen. All das sind wichtige Bausteine eines strengen, erzkonservativen Werte- und Familienmodells, das bis heute in den USA Wohlhabende, Arme, Weiße, Schwarze, Mexikaner und so weiter ideologisch und politisch eint.

In einem modernen Wahlkampf bemühen sich doch alle Kandidaten darum, die eigene Kerngruppe klar anzusprechen.
Aber Trump hat verinnerlicht, dass der politische Streit immer auch ein moralischer ist und dass die reine Sachebene, auf der politische Argumente ausgetauscht werden, im Bewusstsein der Wähler des Öfteren zurücktritt. Natürlich geht es im Wahlkampf vor allem auch um die politische Mitte, die sogenannten swing voters, die mal so, mal so wählen. Sie sind ideologisch flexibel, können von eher konservativen und eher progressiven Werten angesprochen werden. Man muss diejenigen Werte in ihnen ansprechen, die sie mit einem teilen. Das Schlimmste wäre aber, sich bei diesem Kampf zu weit von den eigenen Idealen zu entfernen. Wenn zum Beispiel Progressive plötzlich eine über die Maßen strenge Flüchtlingspolitik fordern, dann machen sie sich schnell auf beiden Seiten unglaubwürdig. 

Sie betreiben Neuro- und Kognitionsforschung an der Universität Berkeley. Was hat Sprache nun genau mit Wahlkampf zu tun?
Sprache aktiviert in unseren Köpfen sogenannte Frames, das sind gedankliche Deutungsrahmen und Bilder, die weitreichende Schlussfolgerungen über eine Sache oder Situation implizieren. Wenn ich ein Wort wie „Salz“ ausspreche oder auch nur an das Wort denke, aktiviere ich schon gewisse neuronale Verbindungen im Gehirn, zum Beispiel Sinneseindrücke wie Geschmack – denn Salz hat einen starken Geschmack. Auch wenn ich „Flüchtling“ sage, „Terrorist“ oder „Gotteskrieger“, werden sofort automatisch Frames aktiviert. Es ist zum Beispiel nicht neutral, wenn wir in der Tagesschau von „Flüchtlingsströmen“ sprechen, denn das aktiviert die Vorstellung einer Naturgewalt. Damit werden Geflüchtete zu einer Gefahr und wir selbst zum Opfer. Außerdem blendet die Metapher von den Wassermassen aus, dass es sich um Menschen handelt. In unserem Kopf werden Fakten immer innerhalb von Frames verarbeitet – anders geht Denken nicht. Und wenn Politiker bestimmte Assoziationen bewusst und geschickt aktivieren, stärken sie „ihre“ Frames in unserem Gehirn. Und dabei bleibt selbst dann etwas hängen, wenn man dem Inhalt der Aussage gar nicht zustimmt. Wer also seine Frames geschickter setzt als andere, kann den politischen Diskurs dominieren. Das hat Donald Trump mustergültig vorgemacht. Er aktivierte Frames, die sein Weltbild propagierten – und setzte oft auf Wörter, die ganz einfache und eindrückliche Bilder stimulieren. Zum Beispiel sagt er nicht: „Wir werden die Migration aus Mexiko eindämmen“, sondern: „Wir bauen eine Mauer.“ Da haben wir alle sofort ein klares Bild vor Augen, das jeder versteht.

Elisabeth Wehling

Elisabeth Wehling

Elisabeth Wehling, geboren 1981 in Hamburg, studierte Soziologie, Journalistik und Linguistik in Hamburg, Rom und Berkeley. Sie promovierte in Linguistik an der University of California, Berkeley, ihr Forschungsbereich ist die politische Werte-, Sprach- und Kognitionsforschung. Seit 2013 leitet sie am International Computer Science Institute in Berkeley Forschungsprojekte zu Ideologie, Sprache und unbewusster Meinungsbildung mit Methoden der Neuro- und Verhaltensforschung sowie der kognitionslinguistischen Diskursanalyse. 

Es bringt nichts, Trump zu widerlegen

Über seine Art zu sprechen machen sich Linke und liberale Intellektuelle ja gerne lustig.
Nun, sie teilen seine Werte nicht. Donald Trump wird nie Amerikaner erreichen, die ein durch und durch fürsorgliches Weltbild haben und einen Bernie Sanders oder eine Elizabeth Warren verehren. Es macht jetzt übrigens keinen Sinn, wenn die liberalen Medien ständig vorexerzieren, der Bevölkerung quasi vorrechnen, dass Trump mit diesen und jenen Aussagen falsch liegt. Damit wiederholt und festigt man seine Frames! Wichtiger ist es jetzt, dass die demokratische Partei nach dem Wahldebakel für ihre eigenen Werte wieder klarere Worte findet.

Das alles zeigt, wie tief die Spaltung in den USA bereits geht. Für Sie ist diese tiefe politische Spaltung ja auch eine neuronale Spaltung.
Weil das erzkonservative Gehirn – salopp formuliert – ganz anders tickt als das liberal-progressive Hirn.

Nicht im Ernst, oder?
Gehirne sind plastisch, sie verändern sich über unser ganzes Leben hinweg. Und bestimmte politische Werte und Positionen gehen oft mit bestimmten Gegebenheiten im Gehirn einher. Wir haben zum Beispiel die Gehirnaktivitäten von jungen politisch Engagierten getestet – rekrutiert vom demokratischen und republikanischen Studentenclub an der Uni. Ergebnis: Das erzkonservative Gehirn reagiert stärker auf Ekelstimuli in der Sprache. Von anderen Studien weiß man, dass Gehirne von Konservativen auch stärker auf Angst reagieren.

Gehirne von Konservativen reagieren stärker auf Angst.
Elisabeth Wehling (Foto: privat)

Elisabeth Wehling

Und Trump wusste das alles?
Natürlich, er benutzt ja weiterhin ständig Ekelmetaphern, die im Gehirn – und zwar bei allen – zur Simulation tatsächlichen physischen Ekels führen. Da sind „lügende Medien“ „widerlich“, Einwanderer aus Mexiko „eklig“ und so weiter. Trump weiß, dass seine Wähler diejenigen sind, die neuronal schneller zu Angst und Ekel tendieren. Man kann ihre Gehirne sozusagen schneller beunruhigen. Zur Sprache Donald Trumps kommt dann noch, dass wir ständig in den Nachrichten von Bedrohung und Krankheit hören – ein neuer Grippevirus ist ausgebrochen, ein Krieg tobt im Ausland. Es entsteht ein großes Gefahrenszenario und das konservative Gehirn reagiert stärker darauf.

Ist das ein Grund, warum viele Menschen, die bekunden, die AfD wählen zu wollen, oft besonders sensibel, auch schneller ängstlich, zurückgezogener wirken, sich schon mal schneller aufregen oder – aus verschiedenen Gründen – sogar schneller Lebensangst empfinden?
In der sozialpolitischen Forschung unterscheidet man zwischen approach behaviour und avoidance behaviour, also zwischen Menschen, die eher auf Dinge zugehen, und Menschen, die eher Abwehrverhalten zeigen. Zum Beispiel, weil sie schneller Ekel und Angst empfinden oder eine größere Aggressionskompetenz haben. Zusammen mit sprachlichen Metaphern, die politische Herausforderungen als Problem der Reinheit formulieren, kann die Tendenz zu Angst und Abwehrverhalten zu einem unglaublich starken psychologischen Paket werden. Menschen, die so funktionieren, lassen sich eher zu konservativer oder erzkonservativer Politik rekrutieren und im Zweifelsfalle auch zu neofaschistischen Ansichten.

Tatsächlich?
Ja. Wenn wir in fMRIs (funktionelle Magnetresonanztomographie) die Gehirnaktivitäten zu bestimmten Bildern, Reizen und Inhalten messen, lässt sich erkennen: Manche Gehirne haben mehr Kapazität für Angst und Ekel. Und aus der Verhaltenspsychologie wissen wir: Wer an den eigenen Tod erinnert wird, wird im Politischen konservativer. Diese Angst kann durchaus auch metaphorisch auf die Sorge um das „Sterben“ von Regionen oder der eigenen Kultur übertragen werden, etwa bezüglich der demografischen Entwicklung in ländlichen Regionen und Kleinstädten jenseits der großen Zentren – im Dorf, wo es früher noch fünf Vereine gab, sind es vielleicht nur noch zwei. Vielleicht werden Feste und Riten der Region bei Weitem nicht mehr so stark wie früher gelebt. Da spiegelt sich dann metaphorisch gesehen tatsächlich im Kollektiven auch die eigene Sterblichkeit, zumindest kann die Sache so gedacht und kommuniziert werden. Was wir vielerorts sehen. 

Nicht ohne Grund sprechen auch Mitglieder der AfD und sogenannte Identitäre oft davon, dass „die deutsche Kultur stirbt“, dass man sich „dem Fremden unterwirft“, dass man „die eigene Natur aufgibt“, sich geradezu „masochistisch“ dem Fremden „unterwirft“. Es werden Sprachbilder bemüht wie dasjenige, dass Deutsche sich anderen Kulturen „opferten“ und so weiter. Diese Metaphern von Leben und Sterben, um die Veränderungen in einer globalisierten Gesellschaft zu benennen, werden sicher nicht von ungefähr genutzt. 

Mehr zum Thema

Buchcover

Politisches Denken ist bewusst, rational und objektiv – diese althergebrachte Vorstellung geistert bis heute durch die Flure von Parteizentralen und Medienredaktionen und die Köpfe vieler Bürger. Doch die Kognitionsforschung hat die „klassische Vernunft“ längst zu Grabe getragen. Nicht Fakten bedingen unsere Meinungen, sondern Frames. Sie ziehen im Gehirn die Strippen und entscheiden, ob Informationen als wichtig erkannt oder kognitiv unter den Teppich gekehrt werden. Frames sind immer ideologisch selektiv, und sie werden über Sprache aktiviert und gefestigt – unsere öffentlichen Debatten wirken wie ein synaptischer Superkleber, der Ideen miteinander vernetzen kann, und zwar dauerhaft. In der Kognitionsforschung ist man sich daher schon lange einig: Sprache ist Politik. Höchste Zeit also, unsere Naivität gegenüber der Macht politischer Diskurse abzulegen. Dieses Buch legt dazu den Grundstein.

Elisabeth Wehling: Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht. edition medienpraxis, 14 - 2016, 226 Seiten. 

Kann man vermuten, dass durch das dominante Framing vom „demografischen Wandel“ einiges an den Entwicklungen in den strukturschwachen Regionen gezielt geschönt worden ist?
Je nach Kontext – gut möglich. Es gibt das Phänomen, durch Sprache zu verschönen. Zum Beispiel in der Umweltdebatte bei Begriffen wie „Klimawandel“ – wandeln können sich die Dinge zum Guten wie zum Schlechten. Wo wir von einer desaströsen Entwicklung sprechen möchten, bräuchten wir einen anderen Begriff.

Liegt ein Teil des Erfolges von Trump und der AfD auch daran, dass diese ihre Ideologie unmissverständlicher formulieren?
Selbstverständlich. Und da gilt es nun, genau hinzusehen, wieso sich in unserer Kultur Menschen zunehmend bei den Werten der erzkonservativen bis hin zur autoritären Ideologie psychologisch zu Hause fühlen. Ein Grund ist die Sprache. Unsere politische Gestaltung hat sich historisch stark an Werten wie Empathie, menschlichem Wohlwollen, Gegenseitigkeit und Schutz orientiert und tut es bis heute. In unseren öffentlichen Debatten werden diese Werte aber nicht solide vermittelt. Stattdessen sehen wir viele faktische Argumente, die politische Handlungsvorschläge ohne eine klare moralische Prämisse kommunizieren. Die Konsequenz ist, dass Menschen nicht mehr klar erkennen können, wie zentral fürsorgliche Werte für unser erfolgreiches Miteinander sind. Und dann kann es leichter passieren, dass Menschen für autoritäres Denken offen sind und Kernwerte wie die Empathie nicht als zentrales Moment des Miteinanders begreifen.

Neurologen wie Paul MacLean konnten wissenschaftlich nachweisen, dass autoritäre Erziehung die Entwicklung von Empathie im Gehirn hemmt.
Diese Form von Erziehung ist in den USA weiterhin relevanter, als wir es aus Europa kennen. Wir haben in 19 Bundesstaaten der USA die Prügelstrafe in Klassenzimmern. Wir haben große Institutionen, die aktiv für das physische Disziplinieren von Kindern werben, inklusive der Kleinkinder. Die Tendenz hin zur erzieherischen Strenge, die in Amerika mancherorts noch vorherrscht, ist ein kultureller Aspekt, den wir als Europäer manchmal übersehen. Donald Trump hat zum Beispiel im Wahlkampf auch deshalb so punkten können, weil er sich als strenge Vaterfigur und autoritärer Entscheider stilisierte, der hart durchgreift. Das ist für viele Amerikaner ein positives Bild, wie das Wahlergebnis gezeigt hat. 

Framings für die „neue Mitte“

Kommen wir zum Wahlkampf in Deutschland: Kürzlich kritisierte die FAZ recht harsch die Sprache der Kanzlerin: Es wäre überhaupt nicht mehr klar, was sie denken und wollen würde.
Angela Merkel wirkt in ihrer Sprache sehr authentisch, und sie hat eine sehr authentische Mimik und Körpersprache. Eine Sache übrigens, die sie Hillary Clinton voraushat, um noch einmal kurz auf die jüngste US-Wahl Bezug zu nehmen. Merkels Authentizität hat Vorteile. Wir wissen aus der Forschung, dass man Menschen politisch mit zwei Dingen abholt: Das Erste ist, über Werte klar zu sprechen und ideologische Anliegen klar zu formulieren, und das Zweite ist, authentisch zu sein. Merkel gelingt es natürlich nicht immer, ihr Weltbild als Grundlage ihrer Einordnung der Fakten klar kommuniziert zu bekommen. Aber sie hat einen diskursiven Startvorteil: Die deutschen politischen Diskurse sind oft von Framings durchzogen, die eher dem strengen, konservativen Weltbild in die Hände spielen, das beginnt bei Begriffen wie „Regulierungen“ und endet bei Begriffen wie „Steuerbürde“. Da sie nun für eine Gruppe antritt, die eher strenge Werte vertritt, muss sie vieles nicht schaffen, was ein Martin Schulz jetzt erreichen muss – nämlich die Debatten nach Sprachbildern zu durchforsten, die der eigenen Ideologie widersprechen und diese durch neue, ehrlichere Sprachbilder zu ersetzen. Als politische Person ist die Kanzlerin ganz eindeutig, was wir in der Forschung als „bikonzeptuell“ bezeichnen: Ihr politisches Denken und Handeln speist sich aus zwei Ideologien, aus der sogenannten strengen und aus der fürsorglichen. Diese Attribute teilt sie mit vielen Menschen aus der politischen Mitte: Menschen, die je nach Thema oder politischem Moment eher in die progressive oder in die konservative Richtung gehen und sich damit insgesamt zu einer metaphorischen Mitte sammeln. Der ideologisch fürsorglichen Komponente ist zum Beispiel Merkels Entscheidung zur Aufnahme von Menschen auf der Flucht im letzten Jahr anzurechnen. Diese Entscheidung machte sie übrigens bei vielen Mitbürgern beliebt. Sie könnte darauf diskursiv aufbauen.

Wie findet man die richtigen Framings für „die neue Mitte“? An dem Punkt entzündet sich jetzt doch der semantische Wettstreit zwischen CDU und SPD.
Bisher ist man oft davon ausgegangen, dass die politische Mitte gar keine klaren Werte an sich vertritt oder dass Menschen in der politischen Mitte besonders agreeable sind, also zu allem ein bisschen Ja und ein bisschen Nein sagen möchten. Diese Mythen sind mittlerweile widerlegt. Studien in Deutschland haben gezeigt, dass ein knappes Drittel der Bürger ideologisch bikonzeptuell ist. Die politische Mitte setzt sich aus Menschen zusammen, die ideologisch sowohl konservativ als auch progressiv sind und damit in ihrem alltäglichen Denken für beide Modelle ansprechbar bleiben. Das Denken der politischen Mitte speist sich aus zwei Weltbildern.

Die deutschen politischen Diskurse sind oft von Framings durchzogen, die eher dem strengen, konservativen Weltbild in die Hände spielen, das beginnt bei Begriffen wie „Regulierungen“ und endet bei Begriffen wie „Steuerbürde“.

Elisabeth Wehling

Dies könnte erklären, warum sich in der bürgerlichen Mitte viele wiederfinden, die zu Teilbereichen der Politik im Einzelfall ganz unterschiedliche Positionen beibehalten, und warum gleichzeitig die Parteien der Mitte immer wieder Probleme haben, ihr eigenes Profil zu schärfen.
Wer ideologisch bikonzeptuell ist, erkennt im strengen und im fürsorglichen Weltbild einen Wert. Wer etwa mit fürsorglichen Konzepten wie der Empathie aufgewachsen ist und später im Leben positive Erfahrungen mit Strenge sammelt, der ist für beide Denkweisen ansprechbar – und ist beispielsweise politisch eher dem linken Spektrum angehörig, erkennt aber auch den Wert im Denken und Handeln des eher rechten Spektrums. So entstehen zum Beispiel Wechselwähler: Menschen wollen einerseits ihrem gedanklichen Heimatgebiet treu bleiben, andererseits sehen sie die Relevanz der Werte der politischen Gegenseite. Wer sich dann gar nicht mehr entscheiden kann, geht einfach nicht zur Wahl.

Was heißt das für den Wahlkampf?
Wer die politische Mitte erreichen will, muss sich bewusst machen, dass sie bikonzeptuell ist. Es gilt also, das eigene Weltbild als Grundlage politischer Vorschläge klar zu kommunizieren. Damit holt man Menschen in der Mitte bei jenen Werten und Idealen ab, die sie mit einem selbst teilen. Martin Schulz macht das immer dort gut, wo er die Relevanz fürsorglicher Werte betont, und zwar in einfacher Sprache und mit klaren Worten.

Sie gehen also rein in die Wahlkampfdebatten ...
... und betonen ihr eigenes ideologisches Heimatgebiet, denn das macht ihre Stärke als Mensch und Politiker aus. Sie zeigen, wie sie als Mensch gestrickt sind und was das mit ihrer Politik zu tun hat. Das ist nicht nur wirkkräftig, sondern auch ehrlich und authentisch. Wer selbst bikonzeptuell ist, der betont am besten immer sein psychologisches Heimatgebiet – ideologische Strenge oder Fürsorge – und geht im zweiten Schritt auf diejenigen Werte des Gegenmodells ein, die für die eigene politische Gestaltung relevant sind.