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Working out loud!

Weiterbildung erfährt in Unternehmen einen rasanten Wandel. Lernen wird zum digitalen Networking-Event, innovative Technologien halten verstärkt Einzug. Auch über Firmengrenzen hinweg experimentieren Bildungsenthusiasten mit offenen Formen des selbstbestimmten Lernens.

Bei Merck, Bosch oder BMW verwischt die Grenze zwischen Arbeiten und Lernen, denn qualifizierte Wissensarbeiter müssen ständig hinzulernen, um in einer sich rapide wandelnden digitalen Arbeitswelt das Leistungsniveau zu halten. Je qualifizierter ein Mitarbeiter ist, desto dringender benötigt er neue Fähigkeiten. Neue E-Learning-Werkzeuge und Formen der Zusammenarbeit verwandeln innovative Unternehmen in Hightechlernumgebungen.

Allerdings: In mehr als der Hälfte aller Betriebe nimmt E-Learning nur „10 Prozent oder weniger“ an der gesamten betrieblichen Weiterbildung ein. Das stellt der neue „Trendmonitor 2017: Betriebliche Weiterbildung“ des Stifterverbandes (siehe Kasten) fest. Und folgt man der Argumentation des mmb-Trendmonitors zu Corporate Learning, dann reichen klassische Präsenzseminare, Workshops und bloße E-Learning-Kurse längst nicht mehr aus, um den aktuellen Anforderungen firmeninterner Weiterbildung zu genügen. Der Report beschreibt Blended-Learning-Methoden – also Kombinationen aus Präsenzunterricht und E-Learning – als bereits gut etablierte, sinnvolle Lehr- und Lernform. Dabei werden Lernmethoden je nach Zielgruppe, Ziel und Kontext gemischt. Bei der innerbetrieblichen Weiterbildung sind zurzeit vor allem mehr firmeneigene Erklär- und Lernvideos sowie der Einsatz von Podcasts und Webinaren stärker gefragt.

Illustration: Sebastian Niemann/K3
E-Learning hat sich noch nicht in allen Unternehmen etabliert (Quelle: Trendmonitor 2017)

MOOCs für Unternehmen

Vor allem große Unternehmen setzen außerdem bereits auf den Einsatz von Massive Open Online Courses (MOOCs). Diese kombinieren traditionelle Formen der Wissensvermittlung wie Videos, Lesematerial und Prüfungssituationen mit digitalen Foren, in denen Lehrende und Lernende direkt miteinander kommunizieren und dabei digitale Lerngruppen und Lerngemeinschaften bilden. Noch greifen viele Firmen auf die Inhalte bekannter MOOC-Dienstleister zurück – wie Coursera, Udacity, edX, iversity und openSAP –, einige experimentieren mit ersten selbst produzierten MOOCs für die Mitarbeiterschulung. Kommt es hierbei zu neuen Kooperationen zwischen Lernenden und Lehrenden über Abteilungen hinweg, können MOOCs zum Entstehen flacher Hierarchien in Unternehmen beitragen.

Technikaffine Unternehmen zieht ein weiteres Lehr- und Lernformat verstärkt in den Bann: Augmented Reality, also virtuelles Lernen in 3-D. So könnten etwa in einer Fabrikhalle dreidimensionale Erläuterungstexte für einzelne Maschinen computergeneriert eingeblendet werden. SAP erprobt bereits erste Ideen zur Gamification des Lernens sowie den Einsatz von Chatbots und virtuellen Assistenzen für neues, digitales Lernen am Arbeitsplatz. 

In vielen Unternehmen werden Zuständigkeiten und Hierarchien fluider, die Abteilungsgrenzen durchlässiger. Vorreiter der Digitalisierung wie Google, Apple und AlphaGo setzen in ihren innerbetrieblichen Strukturen betont auf mehr Selbstorganisation der Mitarbeiter in Teams und Netzwerken. Das Credo: Gut qualifizierte Wissensarbeiter lernen am besten, wenn sie ihre Lernentwicklung eigenständig steuern, dabei sogar selbst entscheiden, was sie wann lernen, mit wem und mit welchen Methoden. Auch der Trend zu Training-on-the-Job und mehr informelles Lernen führen zu stärkerer Kollaboration über „Abteilungssilos“ hinweg. So entstehen im Wissenschafts- und Technologieunternehmen Merck erste eigenständige Lerngemeinschaften. „Offene Lernportale“ nennt man es bei Miele: Im Austausch mit Kollegen und dem Coaching-Pool der Firma lernen Mitarbeiter gemeinsam in moderierten Lerngruppen, in denen Kollegen über Erfahrungen aus ihrer eigenen Arbeit berichten. 

„Man macht in der Lerngruppe die eigene Arbeitsweise sichtbar und bespricht sie. So kann jeder von jedem etwas lernen – sogar von offengelegten Fehlern.“

Katharina Krentz, Bosch

Unsicherheit zulassen und Routinen aufbrechen

Über Firmengrenzen hinweg bildet sich gerade eine rege Szene von Lern- und Beteiligungsenthusiasten: So brachte im Sommer 2017 das „Corporate Learning 2025 MOOCathon“ 1.200 Bildungsexperten und Mitarbeiter von Unternehmen zu einem mehrwöchigen digitalen Lernevent zusammen. Das alles beherrschende Thema: experimentieren mit firmeninternen Lerngruppen. Die Mitarbeiter sollen „aus sich heraus mehr Offenheit und Unsicherheit zulassen und Routinen aufbrechen“, erklärt Karlheinz Pape, Gründer der Corporate Learning Community (CLC) und Lernexperte. „Es wird wichtiger, bei den Mitarbeitern innovative Talente zu identifizieren“, beobachtet Kristina Muth, Leiterin der Innovator Academy bei Merck. „Offen zusammen zu arbeiten – das klappt bei uns bereits ganz gut“, beobachtet Katharina Krentz vom Working-Out-Loud-Team bei Bosch. „Man macht in der Lerngruppe die eigene Arbeitsweise sichtbar und bespricht sie. So kann jeder von jedem etwas lernen – sogar von offengelegten Fehlern.“ Soft Skills wie Eigeninitiative, Selbstmanagement, Kreativität oder Teamarbeit stärker in die eigene Unternehmenskultur zu verankern, erfordert ein Umdenken – auch bei den Mitarbeitern selbst: „Wer sich zur Teilnahme an öffentlichen Lehr- und Lernformaten entscheidet, sollte wissen, worauf er sich einlässt. Kreativität entsteht vor allem da, wo man gestört wird“, beschreibt Harald Schirmer, Manager Digital Transformation and Change der Continental AG, die Herausforderung. 

Illustration: Sebastian Niemann/K3
Quelle: Trendmonitor 2017

Auf dem MOOCathon stellte das Team von Merck vor, wie man die Mitarbeiter motiviert, sich außerhalb von Hierarchien und Abteilungen in neuen Lernumgebungen zu vernetzen und erste Lern-Communities zu bilden. Dank spielerisch gestalteter Events entsteht eine offene Lernatmosphäre, zum Beispiel bei einem sogenannten Lernespresso – das ist ein kompakter Impulsvortrag, der Themen anstößt. Nach dem Vortrag entwickeln alle Teilnehmer in Gruppen eigenständige Ideen zum vorgestellten Thema.

Bei Inhouse-Barcamps, also kurzen Tagungen mit offenen Workshops, referieren ebenfalls zuerst hauseigene Experten – bei Merck zu Themen wie Digital Innovation und 3-D-Druck. Die weiteren Inhalte und Abläufe des Lernevents werden dann von den Teilnehmern eigenständig weiter entwickelt und gestaltet. Stolz ist das Trainerteam von Merck auf die internen FuckUp-Nights – halbjährlich stattfindende Events mit Keynote-Speakern aus den eigenen Managementreihen, die an Beispielen aufzeigen, wie man aus Fehlern lernen kann. Auch hier werden Begegnungsmöglichkeiten für selbstlernende Gruppen gestaltet – aus denen Mitarbeiterteams ihre eigenen Trainingsinhalte zum Beispiel in Form von Webinaren entwickeln. Mittlerweile experimentieren viele Unternehmen mit solchen offenen, kollaborativen Lernformaten, mit Lernexperimenten und mit mehr Austausch über Abteilungsgrenzen hinweg.

Soll dieser Kulturwandel hin zu mehr Kollaboration in Firmen klappen, braucht es vor allem kompetente Coaches und Guides, die die digitale Networking-Kultur vorleben. Hier sind insbesondere die Personaler gefordert: „Sie werden in Unternehmen verstärkt als Moderatoren und Mentoren für selbstlernende Gruppen eingesetzt“, beobachtet Thomas Jenewein, Business Development Manager bei SAP Education.

In Zukunft können weniger als 10 Prozent aller Lernaktivitäten in Unternehmen in webbasierten Trainings und Seminaren stattfinden, die klassisch Top-down angeboten werden. Die restlichen 90 Prozent sollen dann aus informell-selbstorganisiertem Lernen bestehen – im Wissensaustausch durch die Mitarbeiter in digitalen Netzwerken innerhalb der Firma und in Netzwerken und Lerngruppen, die dabei sogar mit anderen Firmen kooperieren. 

Trendmonitor Weiterbildung

Cover: Stifterverband/ iStock/ Anders

Was macht die Digitalisierung mit dem Weiterbildungsmarkt? Bis jetzt noch weniger, als man meint, zeigt diese frisch erschienene Studie. Die Veränderungen sind zwar schon spürbar, aber noch in einem relativ frühen Stadium. Für die Anbieter von Weiterbildung — und damit sind sowohl Unternehmen als auch Hochschulen gemeint — kann das nur eines heißen: dass sie nun die Gelegenheit haben, den Wandel aktiv zu gestalten und mit neuen Formaten den Markt erobern können. Der Trendmonitor kommt zu dem Schluss: Dieses Zeitfenster sollten sie unbedingt nutzen.

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